Das Gefühl von Watte im Kopf – Ein Interview mit dem Unipsychologen

Für manche Studenten gibt es sicher eine gewisse Hemmschwelle, zu einem Psychologen zu gehen. Wann ist Ihrer Meinung nach der Zeitpunkt erreicht, an dem man sich Hilfe suchen sollte?

Wolfgang Wibmer: Wenn das Umfeld reagiert und sagt „Hey Alter, was ist mit dir, warum gehst du nicht mehr zur Uni?“ Das ist oft ein guter Indikator. Außerdem wenn man selber für sich merkt: Ich komme nicht mehr aus dem Bett, ich vernachlässige Dinge, die mir früher wichtig waren, meine Gedanken kreisen ununterbrochen um bestimmte Sachen und ich komme nicht mehr davon weg – und dabei rede ich jetzt gar nicht unbedingt von Suizidgedanken.

Auch wenn man bemerkt, dass der Antrieb verloren geht. Dinge, über die ich mich früher gefreut habe, sind mit jetzt egal. Das ist dann wie ein Gefühl von Watte im Kopf.

Was raten Sie solchen Personen dann?

Dann macht es schon Sinn, sich an jemanden zu wenden. Man kann zum Beispiel zum Hausarzt gehen oder mit guten Freunden und der Familie sprechen: „Ich bin mir nicht sicher, ist irgendetwas an mir anders geworden? Wie seht ihr das?“ Wenn man sich gut kennt und mag, dann spürt man solche Veränderungen.

Und grundsätzlich geht es auch, hierher zur Beratungsstelle der Uni zu kommen. Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, gemeinsam mit den Leuten abzuklären, ob es wirklich etwas ist, was krank sein könnte, oder einfach eine vorübergehende Krise. Das ist eigentlich auch normal im Leben, man hat immer wieder mal Krisen. Irgendwann bricht das System einfach zusammen, wenn man zum Beispiel zehn Sachen gleichzeitig für die Uni machen soll. Das ist dann aber nicht gleich eine Depression. Bis man zu einer richtigen Depression kommt, gibt es viele Vorformen.

Also einfach mal vorbeikommen?

Genau. Man sollte nicht zu viel Scheu haben – lieber einmal nachgefragt als zu lange gewartet, denn dann ist man in dem Fahrwasser schon drin. Oft gibt es Leute, die den Schritt, zu einer Beratung zu gehen, über Jahre vor sich herschieben. Wobei ich das auch verstehe – wer geht schon gern irgendwo hin und sagt „Kann bei mir etwas nicht stimmen?“

Bei uns in der Beratungsstelle kann man die Situation auch oft relativieren: Deine Situation ist zwar schlimm, aber nicht so schlimm wie es sein könnte. Und das ist auch gut so, denn wir haben ja mit jungen Menschen zu tun und die will man nicht unnötig kränker machen. Meistens findet man dann schon Wege, wie man das Problem lösen kann.

Wie viele Studenten kommen im Jahr durchschnittlich zu Ihnen?

In Deutschland suchen schätzungsweise sieben Prozent der Studenten an den Universitäten Beratung. Hier in Passau kommen ca. 350 Personen im Jahr zur psychologischen Beratungsstelle, das sind weniger als die sieben Prozent.

Mit welchen Problemen kommen die Studenten zu Ihnen?

Meist mit Problemen im Studium oder in der Familie. Ein paar Studenten sind auch dabei, die schon vorher erkrankt waren, aber das ist die Minderheit.

Außerdem machen wir natürlich die Abklärung: Braucht man eine Therapie? Welche Art von Therapie? Lieber eine Klinik oder im ambulanten Setting einer Psychotherapie?

Auch Antidepressiva sind hierbei ein Thema. Ich war zwar immer etwas zurückhaltend mit der Empfehlung von Antidepressiva, aber das hat sich geändert. Ich habe ein paar Mal schon erlebt, dass sich dadurch alles sehr positiv entwickelt hat. Manchmal sind Antidepressiva durchaus sinnvoll.

Ihre Tipps für ein ausgeglichenes Leben als Student?

Oft gibt es Probleme mit dem Studium, weil man sich vielleicht nicht mehr die Zeit dafür lässt. Es gibt so viele junge Menschen, die versuchen, ihren Bachelor in fünf statt in sechs Semestern zu schaffen.

Wenn man sich ein bisschen mehr Zeit lässt, bricht die Welt auch nicht zusammen und man kann das ganze Studium etwas besser koordinieren. Aus Gründen der psychischen Gesundheit sollte man sich deshalb überlegen, wie viel man sich gleichzeitig antut.

Bei jungen Erwachsenen findet man außerdem eine hohe Kritikbereitschaft – das, was man macht, ist nie gut genug. Es geht immer noch besser, noch schneller, noch mehr soziales Engagement, noch mehr Hochschulgruppen. Ich denke mir dann, macht doch einen Tick langsamer und freut euch auch einmal über das, was ihr schon könnt und geschafft habt. Einfach ein bisschen mehr Wertschätzung für die eigenen Errungenschaften.

Möchten Sie noch etwas loswerden?

Ja! Eine Information wäre mir noch sehr wichtig. Lehramtsstudenten haben oft große Angst, sich Hilfe zu suchen – egal ob bei mir oder bei ambulanten Psychotherapeuten. Sie nehmen an, wenn man zu einer Beratung oder Therapie geht, ist man automatisiert krank und kann später nicht mehr verbeamtet werden.

Bei Psychotherapeuten gibt es da zwar die Schweigepflicht, sie dürfen die Inhalte also nicht weitergeben, aber natürlich weiß die Krankenkasse, dass man behandelt wurde. Dann kommt beim Einstellungsgespräch die Frage, ob es sich um eine akute Behandlung handelt oder ob sie in der Vergangenheit lag. Viele haben Angst davor, inwieweit man das dann aufklären und besprechen muss.

Bei der Beratungsstelle der Uni ist das aber anders. Von meinen Unterlagen geht nichts an die Krankenkassen, von der Behandlung weiß keiner. Deswegen sollten auch Lehramtsstudenten keine Scheu haben, zur Beratung zu kommen, wenn sie Probleme haben, und nicht versuchen, alles mit sich selbst auszumachen.

Vielen Dank für das Interview!

 

Wolfgang Wibmer hat jeden Mittwoch von acht bis zehn Uhr telefonische Sprechzeit und von zehn bis zwölf Uhr offene Sprechstunde in Raum VW 115.