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Der Veganuary – vom Otto Normalesser zum Veganer und wieder zurück

Es war wieder so weit: das neue Jahr beginnt und zack – man ist urplötzlich ein besserer Mensch. Zumindest für die nächsten vier Wochen. Abnehmen, weniger Alkohol trinken, öfter mal die Oma besuchen, alles schön und gut. Doch wenn die Neujahrs-Challenge auch noch mit einem englischen, fetzigen Ausdruck betitelt werden kann, macht das Ganze doch gleich noch viel mehr Spaß. Willkommen im Veganuary. Dem einen Monat im Jahr, in dem mehrere Tausend Menschen weltweit – nach Angaben der Initiative „Veganuary“ waren es 2021 über 580 Tausend registrierte Teilnehmende [1] – versuchen einen Monat lang auf ihr geliebtes Schnitzel vom Discounter, ihr Frühstücksei und ihre Kuhmilch im Kaffee zu verzichten und sich an die vegane Ernährung wagen.

Bald merken sie jedoch, dass sich das schwieriger gestaltet, als es der Instagram-Account @veganuarydeutschland vermuten lässt. Dieser teilt viele Tipps, Tricks und Rezepte, die den Einstieg in die vegane Ernährung erleichtern sollen. Viele Dinge, die gebraucht werden, hat jedoch ein Otto Normalesser nicht auf Lager und so beginnt die Einkaufs-Odyssee am 3. Januar. Der 1. und 2. Januar waren ja noch eine Ausnahme, denn schließlich hatten alle Läden zu. Im Supermarkt angekommen wird zuallererst einmal die Obst- und Gemüseabteilung durchforstet. Denn vegan sein, heißt doch, keine Tiere zu essen, sondern zu essen wie die Tiere! Also wie die herbivoren natürlich. Da noch zwei Äpfel, hier noch drei Karotten und weiter – halt! Die Birnen kann man bestimmt auch noch gebrauchen.

Der zweite Schritt, um zur vollständigen Veganisierung voranzuschreiten, ist natürlich, sich erst einmal mit den veganen Ersatzprodukten in der Kühltheke (unweit vom eingepackten Billig-Hack) vertraut zu machen. Drei Euro für ein Möchtegern-Schnitzel? Das ist ja doppelt so teurer wie das Original in Bio-Qualität! Das ist ja nicht zu glauben! Haben die Erbsen, die in diesem „Schnitzel“ stecken, etwa auch einen ganzen Quadratmeter Außenfläche zur Verfügung, genauso wie die Mastschweine in der Bio-Haltung? [2] Naja, was solls. Dann werden eben die Birnen wieder zurückgelegt, die schmecken eh viel zu gesund. Was stand denn noch auf der gescreenshotteten Einkaufsliste aus dem Internet? Ach ja, stimmt. Noch schnell eine Milchalternative und eine Packung Tofu in den Einkaufswagen und ab nach Hause.

Das erste vegane Gericht, das man genießt, muss gleich noch mit dem Hashtag #veganuary versehen in die Instagramstory gepackt werden. Man darf ja schließlich stolz sein, dass man die Sache mit dem Vegan-sein so durchzieht. Doch dann folgt auch schon bald die Ernüchterung: nach einer Woche und nichts anderem zu essen außer Gemüseeintopf, kommen langsam die Zweifel. Der Elan, der nach dem Einkauf am 3. Januar noch dagewesen war, ist spätestens dann verflogen, als man das „Schnitzel“ probiert und man merkt, dass das Möchtegern-Schnitzel mit Pommes und Ketchup überhaupt nicht so schmeckt wie das originale Schnitzel mit Pommes und Ketchup. Es ist zwar richtig lecker, aber es schmeckt halt einfach nicht wie das echte. Der Tofu war auch ein richtiger Flop, denn der schmeckt ja nach Garnichts, so direkt aus der Packung angebraten! Wahrscheinlich schmeckt so auch ein Kilo Hack, wenn man es ohne Gewürze zubereitet, aber wer würde so etwas schon tun? Eine Frage bleibt also: was kann man denn überhaupt noch essen, wenn man kein Fleisch, keine Milchprodukte und keine Eier mehr isst? Und die Oma hat nächste Woche auch Geburtstag, doch wie soll man denn bitte ohne Eier und Schmalz, Butter und Salz backen? Halt, ist Salz vegan?

Voller Stolz und Freude wird in Woche 2 des Veganuary der vegane Kuchen präsentiert – doch bei der Oma trifft man dann eher auf Stolz und Vorurteil. Naja, sie probiert auch ein Stück – aber nur ein ganz kleines. Naserümpfend steckt sie sich die Gabel in den Mund und muss zu ihrem Erstaunen feststellen, dass Eier auch nur als Bindemittel in den Kuchen kommen und nicht zum Geschmack beitragen. Die Margarine schmeckt wie Butter und die pflanzliche Milch ist scheinbar auch nur irgendeine Flüssigkeit, die man im Kuchen nicht mehr direkt schmeckt. Der vegane Kuchen ist zwar richtig lecker, aber er schmeckt halt einfach nicht wie der echte. „Doch Kind, wie kommst du denn überhaupt an deine Nährstoffe? Ist das nicht total ungesund? Wäre es da nicht gesünder, weiterhin zu denken, dass mit einem Pfund Fleisch zum Frühstück, Mittagessen, Abendessen und als Mitternachtssnack alle erforderlichen Nährstoffe abgedeckt werden?“ – Nein, Oma, eine ausgewogene Ernährung ist einfach das Wichtigste. Und ein Pfund Fleisch zum Frühstück, Mittagessen, Abendessen und als Mitternachtssnack zu essen, ist nicht gerade das, was man als ausgewogene Ernährung bezeichnen würde. Die Tiere, die zwischen hundert anderen Artgenossen leben, dienen ja lediglich als „Zwischenspeicher“ der Nährstoffe, die sie über ihre Nahrung aufnehmen oder die ihnen supplementiert werden. Dann kann man sich doch gleich diesen Zwischenschritt sparen und diese Nährstoffe auf direkte Weise (zur Not über Nahrungsergänzungsmittel) zu sich nehmen. „Und was ist mit regional essen? Wegen diesem labbrigen Tofu wird bestimmt irgendwo in Südamerika ein Baum gefällt! Egal, was da auf der Verpackung steht, die Sojabohnen kommen bestimmt nicht aus Österreich! Die Massensojahaltung ist also für den Klimawandel verantwortlich, da der Tofu ja schließlich einmal um die halbe Welt geflogen wird!“ Dass das zukünftige Discounter-Schnitzel aber mit Soja gemästet wird, der in Südamerika angebaut wurde, steht ja nicht auf der Packung und ist somit überhaupt nicht relevant. [3] Das Schwein lebte ja schließlich in Europa.

Nach knapp vier auslaugenden Wochen ist es so weit. Die letzten Tage des Veganuary nähern sich. Bald ist es vorbei. Endlich wieder was Richtiges essen. Sich keine blöden Sprüche mehr von weiß-Gott-wem anhören müssen, den man eigentlich nur flüchtig kennt, den es jetzt aber plötzlich brennend interessiert, dass auf der Pizza kein Käse ist. In Erinnerungen (natürlich vom Weihnachts-Gänsebraten) schwelgend, döst man am 31. Januar weg, der neue Monat beginnt und zack – man ist urplötzlich wieder der Mensch vom letzten Jahr. Man kippt sich wieder Muttermilch (die ja eigentlich für das Kalb bestimmt wäre) ins Müsli und in den Kaffee und hat zum Frühstück, Mittagessen, Abendessen und als Mitternachtssnack wieder ein Pfund Fleisch auf dem Teller, aber natürlich alles in Bio-Qualität! Denn Hauptsache den Tieren ging es mal gut. Das Mastschwein auf dem Teller hatte schließlich ganze 1,3 m2 Stallfläche zur Verfügung! [2] Was ein Luxus! Der Zeitpunkt des Veganuarys wurde aber auch nicht optimal gewählt, Neujahrsvorsätze gelten ja schließlich ohnehin nur für den Januar, das weiß doch jeder! Und um sich für diesen einen Monat ernsthaft mit diesem Thema zu beschäftigen, fehlt neben regelmäßig zum Sport gehen und die Oma besuchen halt einfach die Zeit. Und diese dummen Sprüche von allen anderen verderben einem auch die Laune.

Doch warum versucht man es nicht einfach mal für sich selbst, ohne den Druck alles von Anfang an perfekt zu machen? Warum beschäftigt man sich nicht einfach länger damit, wie unterschiedlich man Tofu zubereiten kann anstatt diese Challenge als Verzicht zu sehen? Und warum versucht man sich nicht einfach im Februar (oder irgendwann anders) an veganer Ernährung, so wie es unsere Autorin Hanna tut? Vielleicht klappt es dann das nächste Mal auch besser mit diesem „vegan“ und man merkt, dass dahinter mehr steckt als nur irgendein Trend zum Jahresanfang.


Anmerkungen & Quellen

[1] Veganuary Kampagnenbericht 2021

[2] Flächenbedarf von Mastschweinen bei einem Lebendgewicht von 85 – 110 Kilogramm gemäß EU-Rechtsvorschrift für den ökologischen Landbau

[3] Haupteinsatzbereich für Soja ist die Nutztierhaltung