Heute ist die Hochzeit der Hexenverfolgung schon fast 400 Jahre her, in den Köpfen der Menschen ist sie aber immer noch lebendig. Viele Frauen wurden rückschauend aus kaum nachvollziehbaren Gründen qualvoll hingerichtet. Deshalb ist diese Periode ein dunkles Kapitel unserer Geschichte und bringt immer noch Schmerz für die Nachfahren aller Beteiligten mit sich.
Dazu haben wir Christa Meier, Mitglied des Bayerischen Landesvereins für Familienforschung, befragt. Sie ist ehemalige Lehrerin und beschäftigt sich vereinsmäßig mit unterschiedlichen Themen rund um die Ahnenforschung. Im Zuge dessen untersuchte sie auch den Prozess um die letzte Hexenverbrennung am 13. Juli 1703 in Fürsteneck, das zum ehemaligen Hochstift Passau gehörte.
“Und das war ein richtiger Wahn”
Der Glaube an Hexen reicht bis in die Antike zurück. Aufgrund der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Spannungen, wie sie die kleine Eiszeit und der 30-jährige Krieg zu Folge hatten, entwickelte sich im Spätmittelalter die Hexenverfolgung als Antwort auf die extrem schlechten Lebensumstände. “Wenn ein Kind krank geworden oder gestorben ist, wenn ein Unglück mit dem Vieh im Stall passiert ist oder wenn es eine schlechte Ernte gab, dann vermutete man oft Hexen am Werk. Die Leute waren sehr abergläubisch, konnten sich viele Geschehnisse einfach nicht erklären und riefen oft direkt nach dem Verbrennen einer Hexe, um das Unheil zu bannen. Und das war ein richtiger Wahn”, erklärt die Ahnenforscherin Christa Meier. So habe einerseits der etablierte Katholizismus, auf der anderen Seite Volksfrömmigkeit und viel Aberglaube hier im Erzbistum Passau zur Hexenverfolgung geführt. Je nach Gebiet wurde auch im Namen der Protestanten verfolgt. Man suchte Sündenböcke und fand diese vorwiegend in Frauen.
Das Jahr 1703 fällt eigentlich in eine Zeit abseits der großen Hexenverfolgungen. Es liegt in der frühen Neuzeit, einer Zeit des Humanismus mit einem neuen selbstbewussten Menschenbild, dem Zeitalter der Aufklärung. Trotz dieser Rahmenbedingungen ereignete sich in der Nähe von Passau eine Hexenverfolgung, die für die Angeklagten tödlich endete.
Die kleinen Orte Perlesreut, Ringelai und Fürsteneck, in denen sich der Prozess abspielte, befinden sich im Tal der Wolfacher Ohe, relativ abgeschottet, in der sich zur damaligen Zeit Aber- und Hexenglaube hartnäckig hielt.
“Hui, Teufel fahr zum oberen Tor hinaus”
10.02.1703 „Erste gütliches Examen des Hütermädchens Maria Bauman“
Am 10.02.1703 brannte der Bauernhof des Bauern Frueth in Wittersith. In Verdacht, das Feuer gelegt zu haben, gerieten das Hütermädchen Maria Bauman und die Magd Arfa Dick. “Und dieser Brand war ein Auslöser für einen ganzen Hexenprozess. Es wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt und die Anklagepunkte waren: Milch wegzaubern, Schaden durch Brandstiftung, buhlerischer Umgang mit dem Teufel und anscheinend auch noch Giftmord.” veranschaulicht Christa Meier mit ihrer Transkription der Prozessakten zu diesem Fall.
Die 13-jährige Maria Bauman, die bei dem Bauern Frueth angestellt war, geriet zuerst unter Verdacht, da ihr zwei Zeugen absonderliches Verhalten unterstellten. Die beiden Männer, die als Zeugen fungierten, hatten einen guten Ruf. “Also eine Frau hätte nicht die Möglichkeit gehabt Zeugin zu sein.”, beurteilt die Ahnenforscherin. Das in den Akten als absonderlich beschriebene Verhalten würde heute als kindliches, ausgelassenes Spiel aufgefasst werden, da sie einem der Zeugen auf den Rücken sprang und ihm den Hut vom Kopf riss. Die ehemalige Lehrerin interpretiert: “Das war ein junges Mädchen. Die hat sich halt einen Scherz erlaubt. Sie war deswegen keine Hexe.” Bereits an diesem Abend wurden dem Hütermädchen 20 Suggestivfragen vorgelegt. Welche dazu führten, dass sie die Magd Afra Dick der Hexerei bezichtigte, sich selbst aber entlastete.
Alle an diesem Prozess Zugelassenen waren Männer mit Ausnahme der beiden Angeklagten. Die Frauen erhielten keinen Verteidiger. Der Scharfrichter bestimmte, wie vorzugehen war.
12.02.1703 „Erstes gütliches Examen der Magd Afra Dick“
Durch die Bezichtigung wurde Afra Dick dann einem gütlichen Examen unterzogen. Das heißt einer Befragung ohne Folter. Im Gegensatz dazu steht das peinliche Examen, das durch Folterung erfolgt. Die Protokolle dazu sind jedoch durch den Stadtbrand in Passau vernichtet worden. Aus den Akten zum zweiten gütlichen Examen der Afra Dick geht hervor, dass die Magd wiederum die Bäuerin Maria Kölbl der Hexerei beschuldigte.
26.02.1703 „Denunzierung der Maria Kölbl und zweites gütliches Examen der Afra Dick“
Zusätzlich zur Beschuldigung durch Afra Dick sagten drei Männer als Zeugen gegen Maria Kölbl aus. “Die drei bringen ganz vage Aussagen. Die Zeugenaussagen beruhen größtenteils auf Vermutungen und auf allgemeinem Gerede der Dorfbewohner von Neidberg. Sie haben aber für die Verhaftung ausgereicht.” berichtet Christa Meier. Diese Behauptungen handelten vor allem von der Untreue Maria Kölbls, ihrem Gefluche und dass ihre Kühe auffällig viel Milch gaben. Zudem hätte sie “aussätzige Füße” gehabt und wäre mit dem Teufel in Kontakt. Obwohl der dritte Zeuge für Maria Partei ergriff, reichten die anderen Zeugenaussagen für ihre Verurteilung aus. “Denn wenn zwei namhafte Zeugen das Gleiche aussagen, dann kann man den dritten weglassen, aber es passt alles ins System. ”, stellt Frau Meier fest.
Anzumerken dabei ist, dass Kühe zu dieser Zeit die Lebensgrundlage der Bauern darstellten. Dadurch ist zu vermuten, dass der Überschuss an produzierten Schmalz durch die Milch der Kühe des Bauern Kölbls Neid bei den Nachbarn hervorrief. Um die Kühe zu schützen, wurde ihnen sogar lange Zeit geweihtes Brot zu fressen gegeben. Die pensionierte Lehrerin erklärt: „Mit den Kühen, wenn da was passiert ist, war das eine Katastrophe.”
Afra Dick beschuldigte die Bäuerin Maria Kölbl in ihrem zweiten gütlichen Examen noch einmal der Hexerei. Sie begründete ihre Behauptung damit, dass der Teufel ihnen Hexensalbe gegeben hat, damit sie gemeinsam auf der Heugabel reiten konnten, sie ihre “Lustbarkeit” mit fremden Männern ausgelebt und die Kühe gemolken haben, damit keine Milch mehr für den Bauern vorrätig gewesen ist. “Dann wurde sie gefragt, wo die Kölbl diese Salbe aufbewahrt.” erzählt Frau Meier. Afra konnte die Truhe benennen, in der Maria Kölbl die Salbe lagerte, was dieser später zum Verhängnis wurde. Außerdem gestand die Magd “mit glühenden Kohlen und Schwefelkerzen” den Bauernhof des Bauerns Frueth angezündet zu haben. Afra versicherte, dass ihr der Teufel persönlich Anweisungen gab. Dazu musste sie die Heugabel mit der Salbe beschmieren und die Worte “Hui, Teufel fahr zum oberen Tor hinaus!” sprechen. Die Ahnenforscherin beurteilt, dass “diese Fantasien aus einer riesengroßen Angst als Hexe gesehen zu werden, entsprungen” sein könnten. Nach dieser Denunzierung wurde Maria Kölbl verhaftet und verhört.
28.02.1703 „Erstes gütliches Examen der Maria Kölbl“
An diesem Tag unterzog man Maria Kölbl einem gütlichen Examen. Bei der Befragung verneinte sie die Frage, ob sie wisse, warum sie verhaftet wurde. Anschließend stellte man ihr 13 Fragen zu den Beschuldigungen. Sie beteuerte ihre Unschuld, was aber nicht zur Kenntnis genommen wurde. Hier erfuhr sie auch, dass die Magd Afra Dick sie denunziert hat. “Anschließend wurde das Haus der Maria Kölbl durchsucht. Es wurden 34 verdächtige Sachen gefunden.”, meint die Ahnenforscherin. Darunter befanden sich Salben, Wachs, Salz, Pech, Zwiebelsamen, Blutsteine und Maulwurfshäute. “Am schlimmsten war also diese Salbe. Hier wurde ihr unterstellt, dass sei die Hexensalbe. Bei den anderen Dingen musste sie erklären, wozu sie sie zum Hexen benutzt hat.”, erläutert unsere Interviewpartnerin. Da ihre Erklärungen nicht ausreichten, wurde die Bäuerin als Hexe verurteilt und der Hexenprozess war unumkehrbar. Die Salbe, die ihr zum Verhängnis wurde, war vermutlich für ihre kranken Füße gedacht. Bis zu ihrer Hinrichtung am 13. Juli 1703 wurde Maria Kölbl der Folter unterzogen, da sie ohne Geständnis nicht verbrannt werden konnte.
Sie starb am Strick und wurde anschließend verbrannt. Afra Dick wurde am ersten Juni desselben Jahres geköpft und ebenfalls verbrannt. “Das war ein Gnadenerlass.”, befindet Frau Meier. Die vorherigen Tötungen waren nur möglich, da das Schloss Fürsteneck aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Erzbistum Passau die Blutgerichtsbarkeit besaß. Deshalb durfte getötet werden. Das Hütermädchen wurde aufgrund seines jungen Alters möglicherweise in einem Kloster untergebracht. Dies lässt sich anhand von ähnlichen Fällen der Zeit folgern. “Denn angeblich hat es denen an einer guten christlichen Erziehung gefehlt”, berichtet Christa Meier.
“Das ist so makaber”
“Bis kein Geld mehr zu holen war”, wurden die Hexenverfolgungen getrieben. In diesem Fall mussten die Angehörigen der Maria Kölbl ihren Bauernhof verkaufen, um die Kosten des Prozesses zu stemmen. “Reisekosten für den Scharfrichter, für das Verhör, Folterkosten, Holz und Entgelt für das Töten der beiden Frauen musste bezahlt werden.” Die Summe aller Ausgaben belief sich auf 179 Gulden, 10 Kreuzer und 2 Pfennig. Für einen Gulden musste ein Meister im Jahr 1750 etwa zwei Tage arbeiten. So kostete beispielsweise die Folter durch den Metzger pro Person drei Gulden und die Zimmerleute, die die Säulen für die Hinrichtung errichteten, “haben keinen Lohn bekommen, sondern jede Person hat drei Bier und drei Brote bekommen”. Nach geschehener Exekution zahlte man für die Beteiligten das Mittag- und Abendessen in Fürsteneck für 42 Gulden. “Das ist so makaber”, wertet die Ahnenforscherin.
Abschließend lässt sich feststellen, dass die Jagd auf Hexen und ihre Verbrennung auf die Unaufgeklärtheit der Menschen, wirtschaftlich schlechte Zeiten und die Macht der Kirche zurückzuführen ist. Papst Innozenz bewilligte die Verbrennung von Hexen. “Die Kirchen haben den Rahmen geschaffen, aber der Aberglaube war bei den Leuten da und dieser Aberglaube hat bewirkt, dass ein Sündenbock gesucht und gefunden wurde.” So handelt es sich laut Christa Meier weniger um einen Femizid, viel mehr um eine ungünstige Verkettung von Ereignissen, da auch Männer und Kinder verbrannt wurden. Dies geschah allerdings eindeutig weniger, wie bei den Frauen.