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Einsamkeit – eine stille Epidemie

Zu Hause erwartete mich Stille, ein mir seit Jahren vertrautes Geräusch. Doch wie sehr war mir diese Einsiedlerexistenz inzwischen zuwider, diese Unfähigkeit, am Leben teilzunehmen. Immer nur geträumt, nie wirklich wach gewesen. Sieh dich an, dachte ich, was sehnst du dich in Gesellschaft so oft danach, allein zu sein, wenn du das Alleinsein kaum noch aushältst?

Benedict Wells, Vom Ende der Einsamkeit

Einsamkeit bringt nicht nur eine Distanz zu anderen Menschen mit sich, sondern auch eine verwirrende Distanz zu sich selbst, zu jenen Seiten des Selbst, die nur in der Verbindung mit anderen existieren.

Daniel Schreiber, Allein

Einsamkeit – ein Gefühl, für das es nur wenigen gelingt, treffende Worte zu finden. Benedict Wells und Daniel Schreiber lassen eindrucksvolle Bilder entstehen, die für viele von uns nicht fremd sind. Einsamkeit ist ein leiser Begleiter im Alltag vieler Menschen – eine stille Epidemie unserer Gesellschaft.

Einsamkeit ist nicht Alleinsein

In flüchtigen Gesprächen werden die Worte Einsamkeit und Alleinsein oft als Synonyme verwendet. Jedoch gibt es klare Unterschiede zwischen diesen Phänomenen. Alleinsein ist ein Zustand, der nur vorübergehend ist. Dieser Zustand ist nicht per se positiv oder negativ. So genießen viele es, sich im Trubel des Lebens alleine ein Buch zu schnappen und es am Flussufer zu lesen.  Die Einsamkeit hingegen ist ein Gefühl, welches durch einen empfundenen Mangel in den sozialen Beziehungen entsteht und als unangenehm empfunden wird. Es ist also auch möglich, nicht alleine zu sein, mitten auf einer Party oder in der Universität, und sich einsam zu fühlen.  Studien zeigen, dass es tatsächlich nur einen schwachen Zusammenhang zwischen Alleinsein und Einsamkeit gibt. So beschreibt der US-amerikanische Dichter Charles Bukowski, dass „wirkliche Einsamkeit nicht unbedingt etwas damit zu tun hat, wie alleine man ist.“

Einsamkeit ist nicht gleich Einsamkeit

Laut der Einsamkeitsforscherin Prof. Dr. Maike Luhmann ist es entscheidend, zwischen drei Formen der Einsamkeit zu differenzieren, um das eigene Einsamkeitserleben besser nachvollziehen zu können.  Es gibt eine emotionale, eine soziale und eine kollektive Einsamkeit.  Die emotionale Einsamkeit entsteht dann, wenn eine sehr enge, intime Bindung zu einer Person fehlt, welcher man vollkommen vertrauen kann. Beispielsweise empfinden viele Menschen eine solche Einsamkeit nach einer Trennung.  Etwas weiter gefasst ist der Begriff der sozialen Einsamkeit. Es fehlt das Gefühl, Teil eines persönlichen sozialen Netzwerkes zu sein, also ausreichend gute Beziehungen zu Freund:innen, Bekannten oder zur Familie zu führen. Möglicherweise fühlt man sich im Freundeskreis nicht wohl oder hat in der neuen Stadt noch keinen richtigen Anschluss gefunden. Die letzte Stufe lässt sich als kollektive Einsamkeit bezeichnen. Diese abstrakte Beschreibung betrifft Menschen, die sich keiner größeren Gemeinschaft oder sogar der Gesellschaft nicht zugehörig fühlen. Dieses Gefühl empfinden oft Personen, die zwei verschiedene Nationalitäten in sich vereinen – sich allerdings in keinem der beiden Länder wirklich angenommen fühlen.

Die Vermessung der Einsamkeit

Um die Langzeitentwicklung der Einsamkeits- und Isolationsbelastungen innerhalb der Bevölkerung Deutschlands messbar zu machen, führte das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) im Januar vergangenen Jahres eine bundesweite Vorstudie durch. Diese Initiative wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) finanziell unterstützt. 

Die Studie soll für künftige politische Entscheidungen, insbesondere im Bereich der Vorbeugung und Bekämpfung von Einsamkeit in der Gesellschaft herangezogen werden. 

Aus den erhobenen Daten geht hervor, dass Frauen in der Bundesrepublik um ca. 30 bis 50 Prozent anfälliger für Einsamkeitsbelastungen sind als Männer. Des Weiteren wird deutlich, dass Personen, welche nachweislich eine erhöhte Belastung aufweisen, eine schlechtere psychische und physische Gesundheit haben und somit langfristig anfälliger für Krankheiten sind. Auch ein Zusammenhang zwischen regionalen Faktoren und der individuellen Einsamkeitsbelastung wurde nachgewiesen. So ist die Belastung im Osten Deutschlands höher als im Westen. Insbesondere Berlin zeigt sich dabei als Metropole der Einsamkeit.  Die Untersuchung ergab zudem einen Zusammenhang zwischen Einsamkeitsbetroffenheit sowie politischem Interesse und Parteienbindung. Menschen mit Einsamkeit haben ein geringeres Vertrauen in demokratische Institutionen und politische Parteien.  

Ein Ministerium für Einsamkeit?

Als internationaler Vorreiter in der Bekämpfung von Einsamkeit gilt seit vielen Jahren Großbritannien. Bereits 2018 wurde neben einer Einsamkeits-Bewusstseins-Woche auch ein Ministerium für Einsamkeit einberufen. Die erstmalige Verankerung eines solchen vermeintlichen Tabuthemas in einer politischen Institution wurde von der internationalen Presse weitreichend gelobt. 

Im Februar 2021 folgte schließlich auch in Japan die Gründung eines nationalen Einsamkeitsministeriums. Grund dafür war die im Zuge der Corona-Pandemie gestiegene Anzahl an Suiziden, insbesondere von Jugendlichen und Frauen.

Während sich Großbritannien und Japan als Vorbilder präsentieren, tut sich Deutschland mit der Entwicklung einer nationalen Strategie gegen Einsamkeit eher schwer. Die seit Juni 2022 entwickelte Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit wurde erst am 13. Dezember letzten Jahres final verabschiedet. Ziel der Strategie ist es, Einsamkeit aller Altersgruppen stärker zu beleuchten, präventiv vorzubeugen und zu lindern. Auf insgesamt 33 Seiten werden konkrete Beiträge und Maßnahmen diverser Ministerien formuliert. Eine erste Bilanz soll am Ende der 20. Legislaturperiode vorliegen.

Wesentlich engagierter zeigt sich der Bezirk Reinickendorf in Berlin. Als bundesweit erste Kommune schafft das Bezirksamt ab Februar 2024 eine Vollzeitstelle für eine:n erste:n Einsamkeitsbeauftragte:n. Von der neuen Stelle erhofft sich der Bezirk zunächst ein Rahmenkonzept, das aufzeigt, wo sich Betroffene aufhalten, welche Anlaufpunkte sie in der nahen Umgebung finden und welche Kräfte es erst noch zu bündeln gilt. 

Nightline Passau hört zu

Im 615 Kilometer von Reinickendorf entfernten Passau gibt es zwar noch keine:n Einsamkeitsbeauftragte:n, aber die studentische Initiative Nightline Passau* schafft mittels eines nächtlichen Zuhörtelefons einen anonymen Gesprächsraum. 

Ein Ehrenamtlicher der Initiative betont, dass Einsamkeit spezifisch unter Studierenden relevant sei, da “viele von ihnen sich als junge Erwachsene in einer Übergangsphase befinden, die oft von Veränderungen und neuen Herausforderungen geprägt ist.” Auch der akademische Druck könne zu einem Gefühl der Unsicherheit und Überforderung beitragen. Die Gründe für die Anrufe seien vielfältig, oft liege ihnen das verbindende Element der Einsamkeit zugrunde. 

Häufig sind es auch sehr sensible, teils schambehaftete Thematiken, bei denen die Anrufenden womöglich die Verurteilung durch ihre Mitmenschen befürchten.

Nightline Passau möchte den Anrufenden das Gefühl vermitteln, mitsamt ihrer unangenehmen Erfahrungen vollständig angenommen und verstanden zu werden.

Eine studentische Selbsthilfegruppe 

Nightline Passau wird mit Unterstützung der Universitätspsychologinnen ab Februar 2024 eine studentische Selbsthilfegruppe zum offenen Austausch zu Einsamkeit, Stress und Angst ins Leben rufen. Das erste Treffen soll am 15. Februar stattfinden. Weitere Informationen findest du hier.

Der offene Austausch ist nicht die einzige Möglichkeit, um Einsamkeit zu verarbeiten. Vielen Menschen hilft es auch, ihre Gefühle niederzuschreiben.

Einsamkeit ist erdrückend, wie ein Nebel, der alles umhüllt. Dieser Nebel legt sich um andere Gefühle und dämpft oder verstärkt sie. Schöne Gefühle wie Freude nehme ich schwächer wahr. Negative Gefühle wirken gruseliger – wie in einer nebligen Nacht.

Ich spreche viel über meine Einsamkeit – ganz viel im Internet. Das ist mir schon ein Stück weit peinlich, aber ich ertrage es nicht, das permanent für mich zu behalten. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass es meistens nicht viel verändert, wenn ich darüber rede. Die Menschen nehmen es einfach zur Kenntnis. Das macht es leichter, darüber zu sprechen, aber zugleich tut es auch weh.

 Anonyme Einsendungen

Dieser Artikel ist Teil des Projektes Einsamkeit – eine stille Epidemie der Passauer Hochschulgruppe Blank. Mit diesem Projekt möchten wir das Thema Einsamkeit sichtbar machen und enttabuisieren. Weitere Beiträge zu Einsamkeit in der Gesellschaft, Kunst und Literatur sowie der Universität folgen in den kommenden Tagen (29. Januar bis 04. Februar 2024).

Teil 1 unserer Comicserie Einsamkeit – eine stille Epidemie von Veronika Bigler

 

Weitere Anlaufstellen

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Instagram: @nightlinepassau  

Link: https://passau.nightlines.eu/

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