Will man denn nicht gleich wieder zurück, wenn man in Passau ankommt?

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Bahnhof Passau, November 2015 – müde, erschöpfte Gesichter reihen sich vor den Gittern der Bundespolizei ein. Die Bundespolizisten verteilen Decken und wärmende Jacken. Ein langer Weg liegt hinter den Ankommenden.

Ob seriöses Nachrichtenformat oder kritische Klamauksendung, bald darauf ist die niederbayerische Kleinstadt das Topthema in den Medien. In seiner Talkshow „Schulz und Böhmermann“ etwa erkundigte sich Olli Schulz bei einem syrischen Gast, ob man nach der Ankunft in Passau nicht lieber wieder zurück nach Syrien oder Afghanistan wolle.

Doch Ironie beiseite – wie lebt es sich so als Flüchtling in Passau?

Der 25-jährige Syrer Raffea ist vor knapp anderthalb Jahren mit seinen beiden Brüdern aus seiner Heimatstadt Der ez Zour nach Deutschland geflohen. In Passau lebt er nun seit einem Jahr. Mittlerweile hat er sich eingelebt und freut sich darüber, bayerische Wörter wie „freilich“ an der Supermarktkasse zu verwenden. [/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]

Raffea, du wohnst jetzt seit knapp einem Jahr in Passau. Wie gefällt dir die Stadt und das Leben hier?

Ich finde Passau ist eine sehr schöne Stadt. Besonders die Veste Oberhaus mit dem tollen Ausblick gefällt mir. Auch die Umgebung von Passau ist idyllisch. Mit meinem kleineren Bruder Aeman habe ich zum Beispiel schon öfter einen Ausflug zum Schloss Neuburg gemacht. Die Burgen und Schlösser finde ich faszinierend, so etwas kenne ich aus Syrien nicht.

Hier, in Passau wohne ich zusammen mit meinen beiden Brüdern. Wir teilen uns eine recht große Wohnung, etwas außerhalb der Stadtmitte. Ich fühle mich sehr wohl dort, weil wir auch nette Nachbarn haben.

Passau ist zwar klein, aber ich denke es ist so einfacher zurechtzukommen und sich an die deutsche Kultur und Gesellschaft zu gewöhnen. Mit meinem kleinen Bruder teile ich die Leidenschaft für Fußball. Wir spielen bei der Jungenmannschaft von Hartkirchen mit und konnten so auch deutsche Freunde in unserem Alter finden.

Wie unterscheidet sich das Leben in Deutschland von dem in Syrien?

Das Leben in Passau unterscheidet sich sehr von dem in Syrien. Ich komme aus einer Großstadt namens Derr-ez Zor, sie befindet sich im Osten von Syrien und liegt nahe der Grenze zum Irak. Passau ist im Vergleich zu meiner Heimatstadt eine sehr ruhige Stadt. Heute kann man nicht mehr von einer Stadt sprechen. Alles ist kaputt und alle Einwohner sind geflohen. 

Am Anfang war es sehr komisch für mich das die Frauen hier so unabhängig sind und zum Beispiel Auto fahren dürfen oder Kontakt zu anderen Männern haben. Außer vielleicht in Damaskus haben die Frauen in Syrien nicht viele Rechte. Ein weiterer Unterschied ist, dass das Trinken von Alkohol auf der Straße in Deutschland normal ist. In Syrien ist Alkohol in der Öffentlichkeit verboten.

Auch an das Essen musste ich mich erst mal gewöhnen. Das bayerische Essen unterscheidet sich sehr von typisch arabischen Gerichten. Arabisches Essen ist sehr scharf. Mein großer Bruder ist der Chef in der Küche und kocht meistens arabische Spezialitäten. Ich mache oft die Einkäufe im türkischen Supermarkt.

Mit welchen Erwartungen hast du dich auf den Weg nach Deutschland gemacht?

Ich wusste eigentlich nicht viel über die Deutschen. Mein Vater hat gesagt, dass es in Deutschland besser ist. Aus meiner Heimatstadt sind sehr viele Menschen geflohen. Andere arabische Länder boten auch keine Möglichkeit für mich, nur in Europa gab es Hoffnung. Deshalb habe ich mich dann vor knapp anderthalb Jahren mit meinem großen Bruder und einem Freund aus meiner Heimatstadt auf den Weg nach Deutschland gemacht. Mein kleiner Bruder Aeman ist dann später dazugekommen. Bis Ungarn sind wir zu Fuß gelaufen und haben uns dann für den Rest ein Taxi geteilt.

Hattest du auf dem Fluchtweg Kontakt zu deinen Eltern?

Das Handy war der einzige Weg mit unseren Eltern sprechen zu können. Vor allem mein Vater hat sich große Sorgen gemacht, aber war froh, dass wir Brüder zusammen waren und aufeinander aufpassen konnten. Leider ist die Internetverbindung in Syrien durch den Krieg schlechter geworden. Sodass, ich auch heute meine Eltern nicht immer erreichen kann. Die Nachricht von der Ankunft in Deutschland hat meine Eltern sehr glücklich gemacht.

Laut dem Spiegel sind im Zeitraum Januar bis Mitte September diesen Jahres bereits 507 Fälle fremdenfeindlicher Gewalt registriert. Damit hat sich die Zahl gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt. Wie nimmst du die Stimmung gegenüber Flüchtlingen wahr?

Also ich fühle mich sehr wohl hier in Passau. Ich habe eigentlich noch keine negativen Erfahrungen gemacht, wurde nie beschimpft oder so. Als ich für fünf Monate in Landshut gewohnt habe, war auch alles positiv. Das erleben die Syrer in anderen Städten vielleicht anders. Ich glaube das ist im Osten schlimmer.

Die CDU möchte schon seit längerem eine Obergrenze für Flüchtlinge einführen. Seehofer fordert in seiner Regierungserklärung ein Zuwanderungsgesetz mit einer Obergrenze von 200.000 Personen pro Jahr. Dabei wird jedoch keine Stellung zu der Art und Weise der Durchsetzung bezogen. Wie stehst du dazu, dass dadurch Asylsuchenden die Gewähr des Asyls in Deutschland verweigert wird?

Generell denke ich, dass Deutschland nicht alle Menschen aufnehmen kann.

Du sprichst ja schon gut deutsch, was motiviert dich deutsch zu lernen?

Oh, danke! Wenn man die Sprache kann, sind im viele Sachen im Alltag einfacher. Am Anfang fiel es mir sehr schwer, die deutsche Sprache zsou lernen, aber mit der Zeit ist es einfacher. Deutsch klingt für mich manchmal etwas hart, so nach Militär. Aber mittlerweile rede ich gerne Deutsch. Die Sprache macht auch den Kontakt zu Leuten einfacher.

Besonders zum Hausmeister und dessen Familie habe ich Kontakt. Er ist wirklich sehr nett und manchmal helfe ich ihm bei Handwerksarbeiten. Auch mit der Nachbarin treffe ich mich regelmäßig, so machen wir öfter mal Ausflüge oder gehen spazieren.

Neben dem Sprachkurs der ESG Passau nimmst du am Programm ,,Come together for German“ teil, das Ehrenamtliche an Flüchtlinge, Asylbewerber oder Spätaussiedler vermittelt, die Hilfe beim Deutsch lernen benötigen. Neben der deutschen Sprache wird den Teilnehmern auch die deutsche Kultur vermittelt und es können Freundschaften entstehen. Wie hast du von dem Programm erfahren?

Ich habe einige Freunde, die auch teilnehmen und mir das empfohlen haben. Es ist ein guter Weg besser Deutsch zu lernen.

Möchtest du hier bleiben? Was erhoffst du dir von der Zukunft?

Ich möchte gerne in Passau bleiben. Leider weiß ich noch nicht, ob ich bleiben kann. Ich habe jetzt meinen Sprachkurs der ESG auf der Stufe A1 erfolgreich beendet und mich für den nächsten Kurs angemeldet. Es gibt ein tolles Programm der Stadtwerke Passau. Sie bieten Flüchtlingen eine dreijährige Ausbildung zum Busfahrer an und stellen Führerscheinkurse auf arabisch zur Verfügung. Zuvor muss ich aber den Integrationskurs fertig machen. Ich hoffe, dass ich nach dem Integrationskurs eine Ausbildung oder Arbeit finde, damit ich in Passau bleiben kann. Ich möchte eigentlich nicht wegziehen.

Passau ist ein neues Zuhause für mich geworden.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]

Das Programm „Come together for German“ findet jeden Mittwoch zwischen 12 und 13 Uhr im Raum NK 207 statt. Interessierte sind herzlich willkommen. Du willst helfen?[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]