Semestersehnsucht nach irgendwas mit Medien (Teil I): Ethik & Ästhetik

Was wir momentan durchleben, sind schon sehr ungewöhnliche Zeiten. In die Uni oder zum Bummeln gehen, Freunde treffen, in Cafés sitzen – all das ist von heute auf morgen nicht mehr möglich. Mein Lieblingssatz der letzten Wochen, wenn man doch ausnahmsweise die eigenen vier Wände zur Nahrungsbeschaffung verlassen muss und dabei auf Zufallsbekanntschaften trifft: „Es ist sehr schön mit jemandem zu reden, der nicht mindestens zu einem Viertel meine Gene teilt.“

Immerhin lehrt uns die momentane Zeit, die kleinen Freuden des Lebens zu schätzen. Wenn also der Ozean gerade nicht in Reichweite ist, hört man eben stattdessen AnnenMayKantereit beim Träumen zu und schreibt auf, worauf man sich freut, wenn „die ganze Scheiße […] vorbei ist“.

Außerdem kann ich als Passauer „MuK“-Studentin immerhin eines mit Sicherheit sagen: Wo sich Langeweile und überflüssige Zeit treffen, entsteht Kunst oder zumindest ein kreativer Zeitvertreib. Und ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich mich bisher auf jeden Semesterbeginn gefreut habe. Und jetzt, wo noch alles in der Schwebe hängt und das Sommersemester von Unsicherheiten überschattet wird, darf man an dieser Stelle mal zurückdenken und wertschätzen.

Da meine Interessen breit gefächert sind, kommt mir mein Medien- und Kommunikationsstudium sehr entgegen. Mediensemiotik, Philosophie, Ethik, Pädagogik, Psychologie und Kultur sind nur wenige der vielen Teilbereiche, aus denen sich mein Studium zusammensetzt. Deshalb dachte ich, fange ich mal an zusammenzufassen: Verdammt interessante Inhalte, wegen denen ich mein Studium liebe. Von mir für Euch.

Ein Teilbereich meines Studiums, der mich sehr begeistert hat, umfasst Ethik, Philosophie und Ästhetik im Hinblick auf Filme und Medien. Dazu sollte man sich zuallererst die Frage stellen: Wozu braucht man Philosophie und Ethik?

„[P]hilosophische Ethik hat ihren Ort, wo gewohnte und überkommene Lebensweisen und Institutionen ihre selbstverständliche moralische Geltung verlieren“ (Höffe)

Philosophie sollte nicht nur den Experten überlassen werden, jeder hat das Potential dazu. Ziel der Philosophie ist es,  Selbstverständlichkeiten bewusst zu betrachten und auf ihre Richtigkeit sowie Angemessenheit zu überprüfen. Auf diese Weise kann jeder an dem mitwirken, was das Identitätsgefühl einer Gesellschaft ausmacht: die Übereinkunft vieler Menschen auf bestimmte Werte. Welche das sind und wie sie zur Handlungs- und  Orientierungsgrundlage für politische und gesetzgebende Instanzen werden, bestimmt und definiert eine Gesellschaft gleichermaßen. So darf man den Diskurs über Werte nicht denen überlassen, die am lautesten schreien. Vielmehr muss das sichtbar gemacht werden, was sicherlich den meisten Menschen innewohnt, wobei  Mitgefühl und Weitsicht hoffentlich ein signifikanter Bestandteil sind.

Welche Katastrophen aus einem Mangel von Menschlichkeit folgen können, ist erprobt und bekannt. Mit Katastrophen anderer Art hat sich  Kant beschäftigt: „Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüchen, Stürmen oder Gewittern wohnt dennoch eine gewisse Ästhetik inne, welche „[trotz] Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt.“[…] „Aber ihr Anblick wird nur […] desto anziehender, je furchtbarer er ist, wenn wir uns nur in Sicherheit befinden.“

Der Schriftsteller Edmund Burke hat ebenfalls eine Theorie zur Ästhetik suboptimaler Ereignisse, von ihm stammt folgendes Zitat: „Wenn Gefahr oder Schmerz zu nahe auf uns eindringen, so sind sie unfähig, uns irgendein Frohsein zu verschaffen; sie sind dann schlechthin schrecklich. Aber aus einer gewissen Entfernung und unter gewissen Modifikationen können sie froh machen.“ Damit ließe sich beispielsweise auch die Faszination an Horrorfilmen erklären: Die Freude darüber mit anderen, die einer Gefahr ausgesetzt sind, mitzufühlen und sich gleichzeitig zu freuen, von dieser nicht selbst betroffen zu sein.

Einen Erklärungsansatz zum Interesse des Menschen an der dunklen Seite der Macht liefert „Burke […] [mit] der Triebdynamik des Menschen in seinen philosophischen Untersuchungen über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen:

„Ohne alle Zweifel sind die Martern, die man uns antun kann, in ihren Wirkungen auf den Körper und das Gemüt weit größer als alle Vergnügungen, die die raffiniertste Wollust erfinden oder die lebhafteste Einbildungskraft und der gesündeste und sensibelste Körper genießen kann“

Wenn man also annimmt, dass Katastrophen ihren Reiz haben, so hat auch das menschliche „Böse“ seinen Reiz. Dass Menschen nicht immer gut sind, ist hinreichend bekannt. Handelt eine Figur immer voraussehbar, den moralischen Konventionen folgend, wird sie für den Zuschauer schnell langweilig. Beschränkt sich der Charakter aber nicht nur auf eine Seite der „Macht“, so ist der Zuschauer bei jeder Entscheidung immer aufs Neue gespannt, welche Seite gewählt wird. Ist also der gute Mensch nicht ganz perfekt und der böse Mensch nicht ausschließlich schlecht, so lässt das den Zuschauer intensiver mitfühlen, weil er sich selbst in kleinen Teilen wiederfindet.

Figuren sind ästhetisch interessanter, je komplexer sie sind.

Mit genau diesem Phänomen beschäftigt sich das häufig zitierte Bogart-Theorem, welches  besagt: „Der gute Mensch ist nicht ganz so gut wie der nicht ganz so gute Mensch“ (Seel, 1997). Dies erinnert ein wenig an das biblische „Dem Herrn ist ein reuiger Sünder lieber als 100 Heilige“. Die Kernaussage ist dabei dieselbe: „Wer den Geboten der Moral nur um dieser Gebote willen gehorcht, gehorcht der Moral nur, anstatt freies Subjekt seines moralischen Handelns zu sein.“ (Ebd). Es ist also kein richtig gepolter moralischer Kompass oder ein gebildetes Gewissen notwendig, um den vorgegebenen Regeln zu folgen. In diesem System kann also auch ein Psychopath als guter Mensch erscheinen. Moralisch authentischer und höherwertiger ist es hier, sich bewusst und manchmal auch gegen die eigene Motivation und den eigenen Vorteil für das moralisch Richtige zu entscheiden, als unhinterfragt, blind dem zu folgen, was als gesetzt gilt. Zusammengefasst bedeutet dies: „Wer die Moral nicht verbinden kann mit dem, was er individuell bevorzugt und verabscheut, […] wird zu echter moralischer Motivation nicht gelangen.“ (Ebd)

Um an dieser Stelle eines klarzustellen: Natürlich ist gutes und rücksichtsvolles Handeln immer wichtig und richtig. In diesem Kontext soll es aber nur um den ästhetischen Leinwandwert gehen.

Die Schurken auf den großen Leinwänden nehmen uns erst richtig mit, wenn wir mit ihnen fühlen können. Auch wenn „Star Wars“- Bösewicht Darth Vader in seiner Freizeit am liebsten Planeten sprengt und Leute stranguliert, hat er sich letztendlich nur der Liebe wegen auf den dunklen Pfad begeben, um seine Liebste vor dem Tod zu bewahren. Und letztendlich (Vorsicht, Spoiler!)  ist er es, der das Universum vom Imperator befreit. Darth Vader ist also nicht auf rein gutes oder rein schlechtes Verhalten festgelegt, sondern in der Lage, seine Rolle des Bösewichts zu verlassen und sogar selbst zum Helden zu werden.

In diesem Sinne möchte Ich mit einem Zitat aus Harry Potter enden:

„We´ve all got both, light and dark in us. What matters is the part we choose to act on. That’s who we really are.”