Gewissensfrage: AfD

Darf man der AfD eine öffentliche Bühne bieten, wie unlängst an der Universität Passau? Eine kontroverse Frage über die letztendlich das Gewissen entscheiden muss, diskutiert in zwei Kommentaren.

 

Mehr Raum für Inkompetenz!

Manchmal muss Bernd Lucke voller Entsetzen auf sein Werk starren. Als Viktor Frankenstein der Gegenwart hat er 2013 voller Anti-Euro-Idealismus eine Partei rechts der CDU erschaffen. Doch schon bald verselbstständigte sich die AfD und entriss sich ihrem Schöpfer. In Form von Frauke Petry scheint nun endgültig das Böse den Charakter des Ungetüms zu bestimmen, ganz wie in Mary Shelleys Romanvorlage. Pöbelnd stampft es über die politische Landschaft Deutschlands, immer weiter nach rechts, immer weiter weg von der CDU, immer mehr dorthin, wo das zarte Himmelblau einen Braunstich bekommt. Wütend schimpft es auf die Moslems, die Merkel und vor allem die Medien. Was soll man dem entgegensetzten? Darf man dem pöbelnden Stammtisch-Ungetüm Platz, die vielzitierte Bühne geben?

Man sollte sogar. Denn trotz des billigen Rechtspopulismus, trotz der unzeitgemäßen Geschlechterbilder und Kulturvorstellungen ist die AfD auf dem Papier eine demokratische Partei. Eine ernstzunehmende, zumindest quantitativ.

Die Sonntagsfrage von infratest dimap aus dem Juni sieht die Partei bei immerhin acht Prozent der Stimmen. Geht man von einer ähnlichen Wahlbeteiligung wie 2013 (72,4 %) aus sind unter den momentan etwa 61,5 Millionen wahlberechtigten Bundesbürgern derzeit gut 3,5 Millionen AfD-Wähler. Das sind etwas mehr als die Bevölkerung Brandenburgs plus eine Hälfte Mecklenburg-Vorpommerns, zur Verbildlichung. Gut 43 ausverkaufte Berliner Olympia-Stadien oder dreieinhalb Reichsparteitage, alte Faustregel. Zudem sitzt die AfD in 13 Landtagen, im Schweriner Schloss sogar als zweitstärkste Kraft.

Man sollte also die AfD nicht kleiner machen, als sie ist. Wer sie nicht ernst nimmt hält sich auch die Augen zu, wenn er einen Bettler auf der Straße sieht und redet vom allumfassenden Wohlstand. Die Realität ist manchmal hart, bloßes Totschweigen und Weggucken hat da noch nie geholfen. Es gibt unbestreitbare Probleme in einer Gesellschaft, wenn eine Ressentiment-Partei in diverse Länderparlamente einziehen kann, insbesondere in Deutschland. Und diese Probleme dürfen nicht auf der Straße liegen bleiben.

Nun hat man zur Podiumsdiskussion „Die 4. Gewalt- Die Macht der Medien“ im Rahmen der Passauer Politiktage, als einzigen Politiker ausgerechnet Stefan Möller eingeladen. Möller gehört zwar nicht zur illustren Partei-Spitze, doch teilt sich der Thüringer AfD-Landessprecher sein Amt immerhin mit Björn Höcke. Im Vorfeld der Veranstaltung gab es die erwartbaren Proteste: Die sexistisch-rassistische Universitätsleitung wage es, einen Unmenschen wie Möller einzuladen, ihm Raum zu geben für seine teuflische Nazi-Propaganda. Der Saal ist voll, die Stimmung hitzig, draußen wartet die Polizei. Die AfD füllt Hallen und leert die Staatskasse.

Sicherlich war der Plan der Veranstalter den anwesenden Medienprofis einen maximalen Gegenpol entgegenzusetzen. Ob aus Sensationsgier oder um eine rege Diskussion, gar einen Konflikt zu erzeugen sei einmal dahingestellt, das Motiv spielt keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass indem man Möller die Bühne überließ, der AfD und anderen Lügenpresse-Verschwörern sämtlicher Wind aus den Deutschlandflaggen genommen wurde. Man zieht Möller und Co. heraus aus ihrer komfortablen Paria-Rolle und überlässt ihnen das Mikrofon. Und das ist gut so! Denn, wenn die AfD in der Vergangenheit nur eines bewiesen hat, dann dass sie mit der Öffentlichkeit ebenso gut umgehen kann wie Beatrix von Storch mit ihrer Computermaus: Schenkt man einem AfD-Politiker die ungeteilte Aufmerksamkeit sinniert er schnell über Schandmäler (Höcke), einen Schießbefehl an Deutschlands Grenzen (Petry und von Storch), vermarktet abgeschaffte Glühbirnen (Lucke), erfindet die „Schwulen-Lobby“ (von Storch) oder breitet im TV eine Deutschlandfahne aus und verheddert sich in wilden Rassenlehren (wieder Höcke). Die Liste ließe sich noch lange weiterführen. Was dabei deutlich wird: Wenn die geprobten Stammtisch-Themen ausgehen ist die Partei weder besonders professionell, noch besonders clever. Außer, es geht eben darum sich selbst zu disqualifizieren. Warum ihnen nicht die Chance dazu geben? Vor allem, wenn das Publikum nicht aus gröhlenden Pegida-Mitläufern besteht, sondern aus hochgebildeten, kritischen Studenten, wie man meinen sollte.

Man darf die Partei also ebenso wenig zu etwas Großen hochstilisieren. Denn nach der Flüchtlingspolitik kommt wenig. Betrachtet man den Verlauf der AfD-Zustimmungswerte so scheinen diese stark an die öffentliche Präsenz des Migrationsthemas geknüpft. 2016 etwa stabilisierte sich der zuvor niedrigere Kurs auf 11 bis 13, im September hätten gar 16 Prozent die AfD bei einer Bundestagswahl gewählt, so die Sonntagsfragen-Langzeitstatistik von infratest dimap. Jetzt, wo das Thema kaum noch ein Faktor auf der Medienagenda ist, verliert auch die AfD stetig. Sie ist eine Einthemenpartei. Während man mit Grenzschutz und Abschiebung noch einfache, schnelle Lösungen für simple Ängste hatte, liest sich das restliche Parteiprogramm stellenweise gruselig: „deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus“ oder „Mehr Kinder statt Masseneinwanderung“ heißt es dort wörtlich. Auch die vielen Machtkämpfe, Intrigen, Abkapselungen und ausgebliebenen Parteiausschlüsse haben die Partei nicht wählbarer gemacht. Es sind alles Beispiele für die Angreifbarkeit, die vielen wunden Punkte. Warum die AfD nicht in den Diskurs miteinbeziehen? Warum diesen nicht sogar forcieren? Eigentlich sollte dieser Umgang keine Frage sein in einer funktionierenden Demokratie mit Toleranzanspruch. Ist Ausgrenzung nicht eher Teil der AfD-Politk? Warum Feuer mit Feuer, Desintegration mit Desintegration bekämpfen? Gebe man der Partei die Räume, die ihr aufgrund der demokratischen Legitimation, sowie der nicht zu unterschlagenden Wählerzahl zustehen, es würde bald klar werden, dass sie eine innerlich zerstrittene Einthemenpartei ist. Mehr nicht.

Für die Medien gilt es, einen fairen Mittelweg zu finden. Eine Bühne zwischen Schulaula und Staatsoper, eine realistischen Größeneinschätzung eben, und einen Umgang irgendwo zwischen Samthandschuhen und Pranger. Ohne Sonderbehandlung, wie bei einer normalen demokratischen Partei.

Vielleicht steckt ja doch noch ein Fünkchen Gutes in der AfD. Womit wir wieder bei Frankensteins Monster wären. Das erkennt letzten Endes auch die eigene Grausamkeit und beendet angeekelt sein Dasein. Ein bisschen Hoffnung bleibt also.

Ben Balzereit

Keine Macht den Doofen

Non omne licitum honestum est: Eine lateinische Weisheit, die soviel bedeutet wie „Nicht alles was erlaubt ist, ist auch ehrenhaft.“ Dieser Spruch, so alt er auch sein mag, könnte wohl auch als das inoffizielle Motto der selbsternannten „Alternative für Deutschland“ durchgehen. Es ist zwar nicht verboten, am rechten Rand der Gesellschaft die Netze nach Wählerstimmen auszuwerfen, und dabei verbale Ergüsse von sich zu geben, deren Vokabular wahlweise aus einer Förderschule, oder aus dem politischen Diskurs der späten dreißiger Jahre entnommen zu sein scheint, aber es ist halt auch nicht besonders anständig. Natürlich, formaljuristisch betrachtet ist diese Partei nicht illegal, und verstößt auch nicht offen gegen Gesetze, aber wessen Geistes Kind sie sind haben die Wutbürger und Ewiggestrigen, die sich unter ihrem Banner sammeln, schon mehr als einmal deutlich gemacht. Eine harte Linie in der Flüchtlingspolitik, die man auch einfach herzlos nennen könnte, ein Geschlechterrollenbild aus den 50ern, sowie die diversen verbalen Entgleisungen zahlreicher Funktionäre (siehe Björn Höcke: „der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp“, „Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar“) sind keine Merkmale einer modernen, sozialen und offenen Partei.

Die AfD, so wie sie sich bei ihrem permanenten Drängen in die Öffentlichkeit präsentiert, lebt davon, dagegen zu sein: gegen den Euro, gegen Flüchtlinge, sogar gegen die (angeblich nicht vom Menschen verursachte) Klimaerwärmung. Dennoch, egal was man von ihr hält, die Partei ist, solange sie nicht verboten wird und Wählerstimmen erhält, demokratisch legitimiert, und damit steht es ihr auch zu, in der öffentlichen Debatte gehört zu werden. Die AfD pauschal aus allen politischen Magazinen, Talkrunden und Interviews auszuschließen wäre nicht nur undemokratisch, sondern auch ein Zeichen der Schwäche für unsere Politik, denn es würde sie nur hilflos wirken lassen und wäre somit Wasser auf den Mühlen der Rechtspopulisten. Diesen Gefallen soll und darf man ihnen nicht tun. Der in ernsthaften Debatten meist rhetorisch und logisch unterlegenen AfD muss man die Möglichkeit bieten, sich im Dialog als das zu outen was sie ist: rechtskonservativ, populistisch und dabei in sich chaotisch. Das geht aber nur, wenn man sie ernst nimmt, ihr offen entgegen tritt und dabei jede Lüge sofort klar entkräftet.   

Aber auch wenn man die Partei nicht komplett aus der Öffentlichkeit halten kann und soll, so ist es doch ebenso unverständlich, warum man ihr eine besondere Bühne bieten soll, wie unlängst an der Uni Passau geschehen: Warum lädt man einen nicht mal ortsansässigen AfD-Funktionär zu einer Debatte über „Die 4. Gewalt. Die Macht der Medien“ mit drei Vertretern aus der Medienbranche ein? Die AfD hat vor den Medien ungefähr so viel Respekt wie ein 54-jähringer Industriemetzger vor der deutschen Veganerlobby. Bestenfalls.

Ist dieser Kontrast von drei Medienschaffenden gegen einen (unsachlichen) Medienkritiker gewünscht, so muss man der Uni schlicht Krawallgeilheit vorwerfen, denn es hätte sich sicher eine medienkritische Stimme gefunden, die nicht dem absolut rechten Rand des Parteienspektrums angehört (und vermutlich auch fundierter und nüchterner argumentiert hätte). War der Konflikt nicht geplant, so ist es fast schon ignorant, dieses offensichtliche Spannungsfeld nicht zu erkennen. Welche der beiden Optionen schlimmer ist sei dem Leser überlassen, aber lobenswert sind sie beide nicht. Es ist an sich schon problematisch, bei einer Diskussion nur den Vertreter einer einzigen Partei einzuladen, aber im CSU-Himmel Bayern auch keine allzu große Seltenheit. Wenn aber dieser dann noch einer Partei angehört, deren Werte und Forderungen denen einer Universität (und nebenbei auch einer modernen Gesellschaft) so fundamental widersprechen, so lässt sich das einfach nicht mehr rechtfertigen. Dasselbe Hausrecht, auf das sich Kanzler Dilling berief, als er die lärmenden AfD-Gegner -deren zweifelhafte Klatschproteste an dieser Stelle nicht diskutiert werden sollen- des Saales verwies hätte es der Uni auch erlaubt, von den Organisatoren der Passauer Politiktage einen anderen Diskussionsteilnehmer zu fordern. Es scheint, als hätte hierzu einfach der Wille gefehlt. Man muss sich nur einmal die Wirkung vorstellen, die die Einladung eines solchen Politikers auf vor allem weibliche (aber eigentlich alle geistig klaren) Studierenden haben muss: Da lädt die Uni ein Mitglied einer Partei ein, in deren Reihen ein Mitglied der Führungsriege mit mehr als nur einem Hauch von 1933 erklärt:

Wir müssen unsere Männlichkeit wieder entdecken. Denn nur, wenn wir unsere Männlichkeit wieder entdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde.“ (Höcke, Tagesspiegel, 29.11.15)

Vielleicht wollte sich die Uni Passau mit dieser Diskussion als besonders offen, auch für kontroverse Diskurse präsentieren, doch als Einrichtung, die Werte wie Offenheit, Freiheit und Toleranz vertreten sollte, hat sie damit einen eindeutigen Griff ins Klo getan. Mit ein bisschen mehr Weitsicht hätte man die hohen Wellen, die der gesamte Vorgang schlug durchaus voraussehen können. Es ist ja nicht so als wären die AfD und ihr Konfliktpotential nicht hinreichend bekannt. Von der Alternative für Deutschland kann man halten was man will, das ist eines Jeden gutes Recht, aber sie ist, und auch das steht für mich absolut fest, eine Partei, die in ihrer momentanen Form und Ausrichtung an einer Universität nichts verloren hat. Einer rechtspopulistischen Partei so viel mediale Aufmerksamkeit zu schenken wie es die demokratische Fairness gebietet ist zwar richtig, aber alles was darüber hinausgeht ist ein Fehler, und zwar einer, den wir uns in Zeiten von Trump, Erdogan und Brexit einfach nicht leisten können.

Maximilian Schulz