Keine Lust auf Blankziehen? Asexualität im Fokus

Sex oder Stirb?

Sex wird immer weniger zum Tabuthema – viele Magazine, Artikel, Podcasts und Serien beschäftigen sich mit dem Thema Sex und Sexualität. Obwohl dies eine wichtige und tolle Entwicklung ist, ist eines dabei auf der Strecke geblieben: Die Abwesenheit von Sex. Für manche Menschen unvorstellbar – Sexualität gehört für viele so selbstverständlich zum Leben wie Essen oder Schlafen. Dieses Unverständnis äußert sich oft in Intoleranz:

„Du musst einfach jemanden finden, der richtig gut vögeln kann“

„Du hast bestimmt einen ganz komischen Kink oder eine Krankheit“

„Du hast nur noch nicht die richtige Person gefunden“

Dies sind nur wenige Aussagen, die sich asexuelle Menschen anhören müssen, sollten sie sich trauen gegenüber anderen ihre Asexualität anzusprechen. Dabei ist Asexualität keine Krankheit, kein Mangel, kein Kaputt-Sein. Keine sexuelle Anziehung zu spüren bedeutet nicht, keine sexuelle Erregung zu spüren – viele asexuelle Personen empfinden trotzdem körperliche Reaktionen, wie eine Erektion oder Lubrikation der Vagina und ihr Hormonspiegel ist nicht auffällig. Dies erklärt, dass die körperlichen Funktionen noch intakt sind, das jedoch nichts mit Asexualität zu tun hat.

Eine Frage der Definition

Asexualität ist kaum zu definieren, jeder, der sich asexuell fühlt, ist asexuell – dies ist eine Definition die jeder für sich selbst treffen muss. Asexualität existiert schon seit vielen Jahren, nur der Name ist neu. Es gibt einige wenige Forschungen über dieses Thema, allen voran von Psychologe Anthony Bogaert, welcher das Buch „Understand Asexuality“ schrieb. Er erklärt dort, dass Asexualität von Wissenschaftlern schon seit Langem wahrgenommen wurde – dass es kein Internetphänomen ist, wie es von vielen beschrieben wird. In seiner Studie erschloss er, dass etwa 1% der Menschen noch nie sexuelle Anziehung empfunden haben. Er erklärt außerdem, dass selbst Sexualpsychologe Alfred Charles Kinsey in den 50ern, neben seiner 7-Punkte-Skala (Sieben Abschnitte zwischen Heterosexualität und Homosexualität) auch ein extra Feld als „Kinsey X“ beschrieb. In diesem fasste er Personen zusammen, die sich nicht auf der Skala befanden, das heißt keine sexuellen Kontakte hatten oder sexuelle Reaktionen zeigten. Damals hatte er dies noch nicht als Asexualität beschrieben, sondern als Personengruppe abseits der Statistik – heute wird davon ausgegangen, dass zumindest ein Teil dieser Menschen asexuell war.

Asexualität ist ein Spektrum. „Aces“, wie sich asexuelle Menschen selbst nennen, können nicht alle mit einer Definition festgehalten werden – sie vereint allein: Sie stehen nicht auf Sex. Es gibt solche, die Sex eklig finden, solche, die einfach nur eine Indifferenz gegenüber dem Beischlaf haben. Einige, die masturbieren, aber keinen Koitus vollziehen. Manche sind in einer romantischen, keiner sexuellen Beziehung, manche nur in einer platonischen und suchen psychologische Intimität bei Freunden. Es gibt auch solche, die in festen Beziehungen sind, obwohl der Partner nicht asexuell ist. In diesen Beziehungen kann das Kopulieren ganz entfallen – wenn der asexuelle Partner jedoch dem Verkehr indifferent gegenüber steht, kann sich auch eine asexuelle Person sporadisch physischer Intimität hingeben.

Psychische Intimität auf der anderen Seite, ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen. Diese Art der Intimität kann nicht nur in einer Partnerschaft erlangt werden, sondern können auch Freunde und Familie bieten. In einer Studie von Anthony Bogaert, in der er die sexuelle Orientierung untersuchte, fand er außerdem heraus, dass sich von den 1% der Personen, die niemals sexuelle Anziehung gespürt hatten, ein Drittel in einer festen Beziehung befanden und manche sogar Kinder hatten. (Anmerkung: Die Studie wurde nur in Großbritannien durchgeführt.) Interessant bei diesen wenigen Untersuchungen der Asexualität ist die neue Sichtweise auf Partnerschaften, Sexualität, den Geschlechtsakt, und deren Beziehung zueinander. Leider sind diese Studien noch zu selten, um dazu eine fundierte Aussage zu treffen.

Nicht allein – Onlineforum AVEN und Anschluss finden

Ihr fühlt euch plötzlich verstanden oder seid selbst verwirrt und würdet gerne mit anderen darüber sprechen? Asexuality Visibility and Educational Network – AVEN ist das führende Forum und lehrreiche Online Medium für Asexualität, auf welchem sich darüber ausgetauscht und weitere Informationen gefunden werden können. Auf der Website findet sich auch ein Selbsttest wieder – welcher natürlich nicht immer akkurat sein muss. Man kann sich das Label „asexuell“ aussuchen, ausprobieren, etwas damit rumlaufen und auch wieder ablegen, wenn es einem nicht gefällt. Man kann ein Label auch ganz abwerfen, wenn man es nicht braucht. Doch ein Label zu brauchen ist keine Schwäche – die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und das beschreiben unserer Selbst sind psychologische Grundbedürfnisse. Auch in Passau haben wir eine LGBT* Gruppe, über die ihr vor Ort in Passau Anschluss finden könnt: @lgbtq.stammtisch (auf Instagram). Auch mich könnt ihr gerne auf Instagram anschreiben (@tante_hannah), wenn ihr Redebedarf habt.

 

PS: Wer errät, wie viele unterschiedliche Wörter ich für Sex benutzt habe, bekommt einen Keks von mir.

 

Gemieden und verschwiegen. Noch immer sind bestimmte Themen in unserer Gesellschaft tabuisiert. In unserer neuen Rubrik „Blankziehen“ lassen wir die Hüllen rund um einige Tabus fallen. Denn sind wir der Meinung: Jedes Thema hat eine Stimme verdient.