Unser Geheimtipp: „Plunge“ von Fever Ray

Wenn Abba die Vorzeigeband für Pop-Musik aus Schweden ist, dann gilt das gleiche für „The Knife“ im Bereich der Elektroszene. Hinter The Knife stecken die Geschwister Karin und Olof Dreijer, die mit ihrem ungewöhnlich verspielten Sound international mit Hits wie „Heartbeats“ und „Pass this on“ Erfolge feierten. 2009 wendete Karin Dreijer dem Elektro-Duo vorerst den Rücken zu und veröffentlichte unter dem Namen Fever Ray ihr gleichnamiges Debütalbum. Hinter Schamanen-Masken und düsterer Bühnenästhetik verschwand die öffentlichkeitsscheue Sängerin, zurück blieb nur ihre neu geschaffene Kunstfigur Fever Ray. Nach einer erfolgreichen Tour und diversen Festival-Auftritten wurde es ruhig um Karin Dreijers Alter Ego. Neun Jahre später meldet sich Fever Ray nun zurück. In einer kryptischen Videobotschaft wird das neue Album „Plunge“ angekündigt: „It’s been eight years and much has been learnt and unlearnt“, heißt es. Von der mystischen Atmosphäre des ersten Albums ist wenig geblieben, die okkultistisch anmutenden Kostüme wurden abgelegt, vorbei ist das Versteckspiel hinter Masken. Stattdessen präsentiert sich die Sängerin nun in ihren Musikvideos und auf der Tour mit kahl geschorenem Kopf und verwaschener Clowns-Maskerade, die Texte auf dem neuen Album sind direkter, näher dran an der eigentlichen Person hinter dem Pseudonym Fever Ray.

Die elektronischen Klänge sind geblieben, der warme, fast schon psychedelische Sound vom ersten Album wird durch kalte, unbequemere Klangfarben ersetzt. Das mag aber auch der Thematik geschuldet sein, denn während sich Fever Ray auf ihrem Debüt-Album noch mit der plötzlichen Isolation, die mit dem Mutter-Werden einhergeht, auseinandersetzt, werden auf „Plunge“ gesellschaftliche, ungemütlichere Thematiken angesprochen: es geht um Unterdrückung jeglicher Art, veraltete Denkmuster, die es zu überwinden gilt.
Bereits im Opener „Wanna sip?“ werden wir mit kalten, wummernden Synth-Klängen empfangen, nur um unsere Ohren im Refrain mit penetranten Sirenentönen zu konfrontieren . Das uns auf diesem Album keine entspannte Lagerfeuer-Musik erwartet, wird schnell klar. Doch wer sich nicht von Klangwelten abseits konventioneller Hörgewohnheiten abschrecken lässt, wird mit einem konzeptionell starken Album überrascht.

Plunge, der Titel des Albums, ist Programm: Abtauchen, sich fallen lassen in Fever Rays abgedrehter Musikwelt.
Im Kern des Albums steht der Song „Falling“: „You make me feel dirty again. That old feeling of shame.“ Scham als zentrale Emotion, die uns am Loslassen, am Abtauchen hindert. Uns davon abhält mit gesellschaftlichen Konventionen und dem dahinter steckenden Erwartungsdruck zu brechen. Doch direkt im Anschluss folgt das treibende „IDK about you“, das krasse Gegenstück zum behäbigen „Falling“. Mit 160 Beats per Minute und Latino-Einschlag geht es wesentlich beschwingter weiter, die kalten Soundklänge, mit denen uns das Album begrüßt hat, werden vorerst zurückgelassen. Völlig enthemmt singt Fever Ray „you can trust me baby, there’s a scratch right there.“ Sie scheint sich inzwischen ihrer Sache sicher zu sein und dem Zuhörer die Hand reichen zu wollen, um gemeinsam abzutauchen. In „this Country“ macht die Sängerin eine direkte Kampfansage an festgefahrene Gesellschaftsbilder: „destroy nuclear, destroy boring!“ Mit „destroy nuclear“ ist kein heroischer Feldzug gegen Atomenergie gemeint, sondern die Zerstörung des klassischen Bildes einer „Nuclear Family“, also einer Kernfamilie bestehend aus Mann , Frau und zwei bis drei Kindern. Mit der Aussage „we’re not attracted to this Country Standards“ zementiert die Sängerin ihren Unmut über die derzeitigen Verhältnisse.

Nach dem energiegeladenen mittleren Teil kehrt „Red Trails“ stilistisch wieder zum Anfang des Albums zurück. Ernüchternd singt Fever Ray „waiting for your love is like waiting for a drug that never kicks in.“ Die Liebe bleibt aus, eine Geige wimmert im wohl zerbrechlichsten Song des Albums im Hintergrund und stellt eines der wenigen akustischen Elemente dar. Doch das Begehren bleibt: „Imagine touch by somebody who loves you“, singt Dreijer auf „an itch“, ein Juckreiz, den die Sängerin schon das ganze Album lang zu verfolgen scheint. Doch egal wie viel geschruppt und gekratzt wird, so ganz kann sich Fever Ray von diesem lästigen Gefühl nicht befreien. Mit Mama’s Hand verabschiedet sich Fever Ray nach elf Liedern auch schon wieder vom Zuhörer: „Doing just what I’m told, back to five years old.“ Die Ursache scheint tief zu sitzen, Denkmuster, die einem bereits als Kind eingeflößt wurden und vom titelgebenden Plunge abhalten. Mit den abschließenden Worten „The final puzzle piece: a little thing called love“ scheint sich Fever Ray zumindest im Klaren zu sein, was das Heilmittel für ihren nicht enden wollenden Juckreiz ist: die Liebe, diese kleine Sache.

Bild: Johannes Nebe