Vom Sein, Nicht-Sein und der Verzweiflung dazwischen – Shakespeares Theaterklassiker Hamlet

Manch einer, der sich in der Schulzeit durch Goethe, Schiller und Kafka quälen musste, hat danach wohl ein Leben lang keine Lust mehr auf sogenannte „Literaturklassiker“, die seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten in Bücherregalen verstauben und mit dem heutigen Leben auf den ersten Blick nichts mehr zu tun haben. Doch es gibt Geschichten, die unsere Kultur so stark geprägt haben, dass sie jeder kennen sollte. Die Tragödie „Hamlet“ von Shakespeare ist ein solches Meisterwerk. Shakespeare schrieb das Stück vermutlich zwischen 1599 und 1602 und stützte sich auf eine alte nordische Saga über den legendären Helden „Amleth“ und auf den sogenannten  „Ur-Hamlet“ vom Dramaturgen Thomas Kyd, von dem allerdings heute keine Kopie mehr erhalten ist.

Etwas ist faul im Staate Dänemark: König Hamlet verstirbt unerwartet und sein Bruder Claudius erobert nicht nur Hamlets Thron, sondern innerhalb kürzester Zeit auch seine Ehefrau Gertrude. Da Prinz Hamlet auch nach der Hochzeit zwischen seiner Mutter und seinem Onkel noch um seinen Vater trauert und seinem neuen Stiefvater nicht gerade um den Hals fällt, zieht er schnell Claudius‘ Missbilligung auf sich. Der neue König hat wohl allen Grund, sich Sorgen zu machen. Schließlich könnte sein Neffe ihm die Krone streitig machen.

Als Hamlet der Geist seines Vaters erscheint, bestätigt sich der Verdacht des Prinzen, dass sein Vater von Claudius ermordet worden ist. Doch wie soll Prinz Hamlet mit dieser Enthüllung umgehen? Um Zeit zu gewinnen, beschließt Hamlet so zu tun als sei er dem Wahnsinn verfallen. Der nun sehr beunruhigte Mörder Claudius setzt Gertrude, Hamlets Kindheitsfreunde Rosencrantz und Guildenstern und Hamlets Geliebte Ophelia darauf an herauszufinden, was mit Hamlet los ist. Jetzt fühlt sich Hamlet komplett allein gelassen: Nicht nur ist sein Onkel ein Mörder und seine Mutter eine scheinbar gefühlskalte Opportunistin, es scheint ihn auch noch das halbe Königreich auszuspionieren. Mit der Zeit gleitet Hamlet immer mehr in Selbstzweifel ab. Kann er den Worten des Geistes wirklich Glauben schenken? Sollte er Rache an seinem Onkel nehmen? Oder ist Selbstmord der einzige Ausweg? Unterdessen hat es auch Ophelia nicht leicht. Sie weiß nichts von der Verschwörung und versteht nicht, warum Hamlet, der bis vor kurzem noch seine Liebe bekundet hat, sie nun wüst beschimpft.

In „Hamlet“ beschreibt Shakespeare eindrücklich die innerste Gefühlswelt seiner Figuren und sinnt über Trauer, Wahnsinn, Verrat und Verlassenheit.

“To be, or not to be – that is the question:

Whether ‚tis nobler in the mind to suffer

The slings and arrows of outrageous fortune,

Or to take arms against a sea of troubles,

And by opposing end them? To die, to sleep –

…To sleep, perchance to dream…”

Am Ende muss auch der ewig zweifelnde Hamlet Entscheidungen treffen und besiegelt damit unwiderruflich das Schicksal seiner Familie und eines ganzen Staates. Denn in Shakespeares Tragödien gibt es nie ein Happy End und auch dem Königreich Dänemark ist keines vergönnt.

Prinzipiell ist es empfehlenswert Werke von Shakespeare als Theateraufführung zu genießen, statt ein Buch zur Hand zu nehmen. Erst wenn der Text gesprochen und mit Leben gefüllt wird, kommt der sprachliche Rhythmus, der Witz und die pure Wortgewalt Shakespeares wirklich zum Ausdruck. Im Falle von „Hamlet“ ist die Textfassung im Vergleich zu einigen anderen Werken von Shakespeare noch recht leicht zu lesen und daher auch in der englischen Originalfassung zugänglich.

Was kann uns ein englischer Dramatiker aus dem 16. Jahrhundert also heute noch sagen? Gerade als junger Mensch kennt man das Gefühl der Unentschlossenheit. Möchte ich in meiner Heimat bleiben oder in die weite Welt gehen? Was möchte ich studieren, wo später arbeiten? Wenn dann auch noch eine globale Pandemie ausbricht, die alle Menschen auf sich selbst und den kleinsten familiären Umkreis zurückwirft, kommen die ganz großen Fragen auf. Was ist mir wichtig? Wie möchte ich leben? Wer bin ich und wer will ich werden?

Da kann es schwer fallen eine Entscheidung zu treffen und nicht – so wie Hamlet – in eine Identitätskrise zu verfallen. Auch wenn die meisten Menschen sich nicht mit einem heimtückischen Onkel und der Frage der Thronfolge herumschlagen müssen, ist das Gefühl der Verunsicherung und der Angst vor der Zukunft doch auch noch heute sehr aktuell. Damit ist „Hamlet“ ein sehr empfehlenswertes Werk für alle Freunde der Literatur und des Theaters.

Fotos: Lara Wiebecke