Puls Open Air 2018 – ein Rückblick

Ob ein crowdsurfender Rollstuhlfahrer, Moop Mama knutschend mit einem „Polizisten“ oder eine Unwetterwarnung: Das PULS Open Air deckte vom 8. – 9. Juni das volle Festivalprogramm ab.

PULS ging im Mai 2013 on Air und zielt mit „dieser neuen Musik“ auf eine junge Zielgruppe ab. Das PULS Open Air wurde dieses Jahr zum dritten Mal veranstaltet und bot für jeden Geschmack etwas. Erstmals gab es auch Workshops, wie zum Beispiel zum Thema Nachhaltigkeit oder Fake News und auch Frühsport stand auf dem Programm. Das Festival fand auf dem für seine Ritterspiele bekanntem Schloss Kaltenberg statt. Auf drei Bühnen durften am Freitag und Samstag 60 Bands und DJs verschiedenster Genres ihr Talent für knapp 9000 Besucher zum Besten geben.

Und sogar Gehörlose konnten viele der Acts genießen: Gebärdendolmetscherin Laura M. Schweiger stand mit vielen der Musiker auf der Bühne um ihre Texte in Gebärdensprache und die vorherschenden Emotionen in tänzerische Rythmen zu übersetzen. Sie selber bezeichnet sich als „Leinwand für Sprache“ mit der auch taube Menschen die Stimmung von Konzerten – welche eindeutig nicht nur durch Musik geprägt ist –  voll und ganz wahrnehmen können. Auch die Mitglieder des Main Acts Kraftklub waren am Freitag so von ihrer Arbeit begeistert, dass sie sich kurzerhand entschieden, Laura am nächsten Tag mit auf die Bühne zu nehmen.

Freitag

Hannah&Falco (13:00 Uhr, Waldbühne)

Das Festival eröffnet das Würzburger Duo Hannah&Falco. Privat seit fünf Jahren zusammen, machen Hannah Weidlich und Falco Eckhof seit eineinhalb Jahren auch zusammen Musik. Mit „Familiar Faces“, einem Quartett bestehend aus Schlagzeug, Klavier, Kontrabass und Violine, erschien letztes Jahr mit Hilfe von Crowdfunding die erste eigene EP „Blind for the Moment“.  Musikalisch eine Mischung aus Folk, Americana und Pop zeichnet sich das harmonische Gesangsduo bei diesem Aufritt vor allem durch den heimlichen Star der Show aus: Violinistin Leni. Ob kleine Soloeinlagen oder als harmonische Begleitung in längeren Gesangspassagen, das in einer solchen Besetzung eher unkonventionelle Instrument macht den ersten Showact zu etwas ganz Besonderem. Auch die von Baumkronen umzäunte Waldbühne passt perfekt zu den harmonischen und tendeziell eher ruhigeren Songs des Musikensembles.

Song Blind for the moment

Gurr (16:40-17:20, Kugelbühne)

Als erste Band auf der Hauptbühne – mitten in der sonst für die Ritterspiele üblichen Showarena – ging das Berliner Gesangsduo Gurr an den Start. Die beiden Sängerinnen Andreya Casablanca und Laura Lee lernten sich 2012 kennen. 2015 zeigte ihre erste EP „Furry Dream“ mit punkigen Gesang und fuzzigen Gitarren wohin die musikalische Reise der beiden gehen sollte: Eine Mischung aus Indie-, Garagen- und Poprock.  Mittlerweile sind die beiden mit ihrer Musik international bekannt und Fans warten nach dem Debütalbum 2016 „In my head“ sehnsüchtig auf neuen musikalischen Stoff. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich der Platz vor der Kugelbühne am Freitag schnell mit tanzenden und feiernden Menschen füllte.

 

Trettmann (18:35 Uhr, Kugelbühne)

Für alle Fans des Deutschrappers beginnt der Auftritt mit einer wenig erfreulichen Nachricht: Anstatt mit Songs von seinem neuen Album “#DIY“ startet das Konzert mit der Mitteilung:

„Leider müssen alle Besucher das Festivalgelände bis auf unbekannte Zeit räumen. Wir haben eine amtliche Unwetterwarnung erhalten.“

Die Enttäuschung steht vielen ins Gesicht geschrieben. Nach circa einer Stunde Unterbrechung kann es ohne Gewitter endlich losgehen. Ronny Trettmann macht erst seit wenigen Jahren Musik und ist mit seinen 44 Jahren auch nicht im klassischen Alter für eine steile Musikkariere. Doch gerade seine Lebenserfahrung, welche er in seinen Songs teilt, macht ihn aktuell zu einem der gehyptesten Künstler in der Deutschrap-Musikszene. Das Hiphop-Magazin Juice schreibt in einer Review zum neuen Album: „Wer das nicht fühlt, dessen Herz ist auch nicht mehr als nur eine beschissene Blutpumpe.“ Und gefühlt haben es viele an diesem Abend auf Schloss Kaltenberg.

Secret Act (20:30 Uhr, Kugelbühne)

Die Gerüchte über den Secret Act reichten von Tokio Hotel bis hin zu Bushido. Als um 20:30 Uhr der silberne Vorhang auf der Hauptbühne fiel, haben vermutlich wenige mit der 10-köpfigen Münchner Brassband Moop Mama gerechnet. Spätestens nachdem die erste Live Performance eines neuen Songs durch eine Gruppe mutmaßlicher Polizisten unterbrochen wird, ist klar: Das ist ein Konzert wie kein anderes auf diesem Festival. Einige Minuten später, Sänger Keno reißt einen der „Beamten“ an sich und fängt eine wilde Knutscherei an. „Wie bekämpft man Hass?“, fragt er die grölende Menge. „Mit Liebe!“. Neben einer unglaublichen Bühnenperformance zeichnen sich die zehn Mitglieder in ihren roten Sportanzügen vor allem auch durch eine außergewöhnliche musikalische Beherrschung ihrer Instrumente aus.  Besonders die Solos der Bläser machen sie vielleicht zum heimlichen Star des ersten Festivaltages.

 

 The Wombats (22:45, Kugelbühne)

Den Abschluss des ersten Festivaltages macht das britische Trio The Wombats um Sänger Matthew Murphy. Lieder wie „Give me a try“ oder „Let´s dance to Joy Divison“ der 2003 in Liverpool gegründeten Rockband sind den meisten geläufig, kein Wunder also, dass sich kurz nach Sonnenuntergang die gesamte Festivalgemeinschaft für den ersten Main Act bereit macht. Dementsprechend wird bei diesen Songs auch lautstark mitgesungen. Dass die 3 Absolventen des von Legende Paul MCCartney geleiteten Popmusic-Colleges musikalisch absolut überragend und präzise sind, macht leider nur teilweise eine mangelnde Bühnenperformance weg. Nach dem dritten Lied wird der Name der Band genannt, sonst kommt außer Standardfloskeln wie „we are so greatful to be here“ aber leider nicht mehr viel.

Song „Let’s dance to joy divison“

Samstag

Matija (13:30 Uhr, Pyramidenbühne)

Matija durfte den Samstag auf der Pyramidenbühne um 13:30 Uhr einläuten. Bis 2016 trug die Münchner Band noch den Namen the Capitols, unter welchem sie bereits viel herumgekommen sind. Die Gruppe rund um Matija Kovac (Vocals, Rhythmusgitarre und elektrische Blockflöte), Jan Salgovic (Leadgitarre, Synthesizer, Fender Rhodes), Johann Blake (Bass, Synthesizer, Backing Vocals) und Sami Salman (Drums, Percussion) startete ursprünglich als Schulband, nahm dann aber schnell ihren Lauf in größere Dimensionen. 2016 wechselte mit der großen Plattenfirma Clouds Hill — die auch Pete Doherty unter Vertrag hat — der Bandname 2016 zum Vornamen des Sängers, da es schon eine Gruppe aus den 60ern namens the Capitols gibt und  es persönlicher werden sollte. Das Debütalbum „Are we an electric generation falling apart?“ erschien am 20. Oktober 2017 und beinhaltet einen Stilmix aus Synthi-Pop, Disco und Shoegaze. Die Band riss das Publikum am Samstag mit und auch Weniger-Indie-Begeisterte konnten kaum stillhalten. Das Alleinstellungsmerkmal „Flöte“ ist nach wie vor noch immer Bestandteil des Instrumentenrepertoires, aber nun in der moderneren Form: eine Mollenhauer Elody (eine Art elektrische Blockflöte). Diese kam sofort bei dem ersten Lied „5th Avenue“ zum Einsatz. Die Band begeisterte mit einer abwechslungsreichen Mischung aus ruhigen und tanzbaren Liedern.

Song „Justify your love“

Drangsal (15:50 Uhr, Pyramidenbühne)

Ebenfalls auf der Pyramidenbühne trat Drangsal um 15:50 Uhr auf. Max Albin Gruber alias Drangsal veröffentlichte schon 2013 Demoversionen der Lieder „Wolpertinger“ und „Allan Align“ auf Soundcloud. 2016 war er bereits mit einer Live-Besetzung, bestehend aus Sam Segarra, Tim Roth und Christoph Kuhn (aktuell: Sam Segarra, Christoph Kuhn, Oliver Heinrich, Theo Kraus) im Vorprogramm von Kraftklub und Casper unterwegs. Am 22. April erschien das Debütalbum „Harieschaim“, welches auf Platz 29 der deutschen Albumcharts landete. Max Albin Gruber stammt ursprünglich aus Herxheim bei Landau und somit ist das Debütalbum nach seinem Heimatort benannt. Auch der Name Drangsal ist von dieser Gegend inspiriert, denn in Landau gibt es ein Bestattungsunternehmen unter diesem Namen. Das Album „Harieschaim“ beinhaltet sowohl englische, als auch deutsche Titel und ist stark von Synthie-Pop und Post-Punk der 80er geprägt. Drangsals zweites Album „Zores“ erschien 2018 und stieg auf Platz 12 der deutschen Albumcharts ein. Er liebt es anzuecken, was er am Samstag auch durch seine Outfitwahl bewies, denn seine durchlöcherte Hose gab Einblicke auf die gestreiften Boxershorts. Die Band hatte sichtlich Spaß auf der Bühne und konnte auch das Publikum begeistern. Drangsal ging zudem während einem Cover von 1000 und 1 Nacht (Zoom!) von Klaus Lage mit dem Publikum vom Fotografengraben aus auf Tuchfühlung.

Tom Walker (17:00 Uhr, Waldbühne)

Tom Walker schaute am Samstag für eine viertelstündige Unplugged-Session auf der Waldbühne vorbei. Der britische Singer-Songwriter wurde Ende 2017 mit dem Lied „Leave a light on“ bekannt. Walker schloss seine Ausbildung am London College of Contemporary Music ab und zog in ein Haus mit Heimstudio. Bei einer Probe wurde er durch das Label Rentless Records entdeckt und veröffentlichte seine erste EP „Blessing“ im März 2017. Die Single „Leave a light on“ kam am 13. Oktober 2017 auf den Markt und erreichte Top-Chartplatzierungen in mehreren Ländern. Die Single räumte auch mehrere Preise ab, so beispielsweise die goldene Schallplatte in Deutschland und die silberne Schallplatte in Frankreich und Italien. Walkers Musikstil wird von ihm selbst als eine Mischung aus Hip-Hop, einem kleinen bisschen Blues und Pop mit einem Spritzer Reggae beschrieben. Der schottische Sänger hatte am gleichen Tag ein Konzert in München und wurde vom Puls Open Air angefragt, aufzutreten. Tom Walker trug trotz 25°C eine Mütze und eine Lederjacke und lieferte einen grandiosen Auftritt. Sein Hit „Leave a light on“ durfte natürlich nicht fehlen.

Song „I will leave a light on“

RIN (20:30 Uhr, Kugelbühne)

Renato Simunovic alias RIN wuchs in Bissingen bei Stuttgart auf. 2012 begann er mit dem Rapper Caz zusammen Musik zu machen und zusammen veröffentlichten sie 2015 den Track „Ljubav/Beichtstuhl“, der vom Produzenten The Breed (Label: Alles oder Nix) entdeckt wurde. Die Künstler und der Produzent arbeiteten zusammen eine EP aus, die aber aus persönlichen Gründen nie veröffentlicht wurde. RIN wechselte kurz darauf zum Label Live From Earth und veröffentlichte 2016 die Single „Bianco“ zusammen mit Yung Hurn. Am 1. September 2017 brachte er sein Debütalbum „EROS“ auf den Cloud-Rap Markt. Mit RINs Auftritt auf der Kugelbühne setzte leider auch der Regen ein, wovon sich jedoch weder der Künstler, noch das Publikum stören ließen. Zu Top-Titeln wie „Bass“ und „Bros“ konnte niemand stillhalten.

Song „Need for Speed (prod. Alexis Troy)/ Avirex (prod. OZ)“

Dillon (21:40 Uhr, Pyramidenbühne)

Dillon, bürgerlich Dominique Dillon de Byington, gab auf der Pyramidenbühne eine etwas andere Show zum Besten. Die gebürtige Brasilianerin veröffentlichte nach dem Abitur 2007 ihren ersten eigenen Song und ging 2008 im Vorprogramm der Band Jolly Goods auf Deutschlandtournee. Die Wahlberlinerin ließ sich mit ihrem Debütalbum Zeit und studierte zuerst Fotografie. „This Silence Kills“ erschien dann 2011, mittlerweile sind noch zwei weitere Alben auf dem Markt. Dillons Lied „Thirteen Thirtyfive“ ist wohl ihr bekanntester Titel, denn er zählt auf YouTube über 36 Millionen Aufrufe. Neben herausragendem musikalischem Talent besitzt die Künstlerin eine sehr besondere, etwas kratzige Stimme mit viel Charakter. Dillons Musikstil ist im Genre Sweet, Tender und Electronic einzuordnen. In Kaltenberg konnte die Künstlerin nicht nur mit ihrer einzigartigen Musik, sondern auch mit einer außergewöhnlichen Bühnenshow überzeugen. Licht- und Raucheffekte schafften in Kombination mit elektronischen Klängen eine besondere Atmosphäre. Dillon interagierte mit dem Publikum und ließ es den Titel „Tip Tapping“ singen. Das ruhigere Konzert war eine angenehme Abwechslung und zog viele Zuhörer an.

Song „Contact Us“

Kraftklub (22:45 Uhr, Kugelbühne)

Kraftklub, die fünfköpfige Band aus Chemnitz, war der Headliner des Festivals. Die Gruppe besteht aus Felix Kummer (Leadgesang/Rap), seinem Bruder Till Kummer (E-Bass), Karl Schumann (Rhythmusgitarre, Gesang), Steffen Israel (Leadgitarre, Keyboard) und Max Marschk (Schlagzeug). 2009 wurde Kraftklub gegründet und im Februar 2010 erschien die erste EP „Adonis Maximus“. 2013 wurde die Band für den Musikpreis „Echo“ neben der Gruppe Frei.Wild nominiert. Kraftklub wollte aber nicht mit der Band in Verbindung gebracht werden, ließ sich von der Nominierungsliste streichen und erhielt den „Kritikerpreis National“. Auch in ihren Liedern teilt die Gruppe regelmäßig Seitenhiebe nach rechts aus. Das Album „Keine Nacht für Niemand“ kam am 2. Juni 2017 auf den Markt. Zu Beginn des Konzerts in Kaltenberg setzte der Regen wieder ein, woraufhin Sänger Felix Brummer „den lieben Gott“ adressierte  und ein paar Songs später stoppte das Unwetter tatsächlich. Offensichtlich hätte sich aber niemand am Regen gestört, denn die Arena vor der Kugelbühne war brechend voll. Ein Highlight des Auftritts war, dass die Band gegen Ende des Konzerts auf einer Art Hebebühne ins Publikum gefahren wurde und von dort aus weiterperformte. Anschließend ließen sich die Bandmitglieder per Crowdsurfing wieder zurück zur Bühne transportieren. Frontmann Felix Kummer nutzte das Konzert auch, um ein politisches Statement zu setzen:

„Sprecht euch gegen Faschismus und Rassismus aus!“

Die Band wurde ihrem Ruf gerecht und legte einen großartigen Live-Auftritt hin.