Auf ein Gläschen…

[nextpage title=“Autor Jason Sante“]

Jason Sante ist das Pseudonym eines alkoholkranken Indie-Autors, Jahrgang 1968. Unter diesem Namen schrieb er schon in jungen Jahren, obwohl er damals noch nichts veröffentlichte. Sante schreibt Thriller und Kurzgeschichten.


Seit 2013 schreibt er zudem an seiner Suchtbiografie, von der zwei Bände bereits erschienen sind:“Alkohol ist ein Blender – Biografie eines alkoholkranken Autors“ (Doppelband). Jason Sante hält aus genannten Büchern kostenfreie Lesungen vor verschiedenstem Publikum.

Warum schreiben Sie über Ihre Krankheit?

Ich schreibe über meine Krankheit, weil ich Betroffenen und Angehörigen Mut machen möchte: Dass man die Sucht überwinden kann, auch wenn der Weg sehr sehr lange ist und keiner mehr dran glaubt. Mir hat ein ähnliches Buch, eine Biografie einer alkoholkranken Autorin, während meiner Entgiftungen und Therapien sehr geholfen.Wird mit Alkohol zu leichtfertig umgegangen?
Ja es wird schon leichtfertig damit umgegangen. In der Werbung… Es ist halt legal, es ist auch ein finanzieller Aspekt.
In der Gesellschaft ist vor allem noch das Bild präsent, der Alkoholkranke ist selber schuld, dieses typische „dann hör halt einfach auf“, das ist allgegenwärtig. Die Einstellung ist wie aus dem letzten Jahrhundert. Deswegen ist es wichtig, allgemein über Alkohol und seine Folgen aufzuklären. Als Alkoholkranker kommt man sich manchmal vor wie ein Verbrecher, als hätte man was ganz Schlimmes getan. Natürlich gibt’s auch unschöne Beispiele, aber gewalttätige, aggressive Abhängige, die ich in Entgiftungen getroffen habe, waren auch nüchtern so, das waren keine angenehmen Zeitgenossen.
Auf der anderen Seite gibt’s auch einiges an Hilfe für Alkoholabhängige.

Was ist die zentrale Botschaft Ihrer Bücher und Lesungen?
Das Ziel meiner Lesungen ist es, anderen Betroffenen und Angehörigen Mut zu machen, das sich der lange Weg lohnt. Dass es immer ein Licht gibt, wenn man weiter geht, und man soll nicht stehen bleiben.
Das zweite Wichtige an meinen Lesungen ist, anderen Menschen allgemein ein Bild davon zu machen, wie man in die Abhängigkeit rutschen kann, dass es jede Gesellschaftsklasse treffen kann.
Und das Dritte ist, ganz wichtig, auch vor jungen Menschen, in Schulen, zu lesen. Wenn man nur einen jungen Menschen pro Lesung erreicht, dann hat man schon viel erreicht.

 

 

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Alkohol wird oft als Stimmungsmacher eingesetzt – Die Dosis macht das Gift oder prinzipiell zu verurteilen?

Das ist nicht prinzipiell zu verurteilen, ich finde es aber äußerst gefährlich wenn man den Alkohol benutzt um irgend etwas zu überspielen – sei es ein Charakterzug wie Schüchternheit, oder um Angstzustände zu verhindern. Oder um sich in der Gruppe zu profilieren und wenn man nur trinkt, um nicht alleine in der Gruppe dazu stehen. Gefährlich wird es, wenn Alkohol benutzt wird um etwas zu überspielen. Ich habe Alkohol zum Beispiel als Medizin benutzt. Gegen Panikattacken, Platzangst und Angstzustände. Ich kenne auch viele Künstler, Schauspieler aus meiner Zeit am Theater, die Alkohol benutzen um Lampenfieber zu überdecken. In solchen Fällen wird Alkohol systematisch eingesetzt, und dann wird es gefährlich, weil der Alkoholkonsum im schleichenden Prozess zu Sucht wird.
Aber wenn man mal etwas trinkt, beim Feiern oder so, dann verurteile ich das nicht, jeder muss seine Erfahrungen machen.

Zitat J. Sante: „Alkohol ist ein Blender, aber der Beste, den ich kenne“.
Inwiefern blendet Alkohol?

Alkohol blendet, weil er eben ein Mutmacher ist, und kurz gesagt: Er wirkt am Anfang. Wenn man ihn für irgend etwas einsetzt, die Wirkung ist ja da. Man fühlt sich leicht, die Angstzustände weichen. Er wirkt anfänglich und blendet einen, bis er dann seine Umkehrwirkung erreicht. Mit Umkehrwirkung meine ich, dass der Alkohol vom „vermeindlichen“ Freund und Helfer zum größten Feind wird; er zeigt sein wahres Gesicht. Der Betroffene bekommt statt Erleichterung diverse Entzugserscheinungen, wird unzuverlässig, lügt.

[nextpage title=Alkoholsucht]

Was sind die häufigsten Ursachen einer Alkoholsucht?

Es hat viel mit psychischen Krankheiten zu tun, Depressionen zum Beispiel, psychosomatische Erkrankungen oder auch Schicksalsschläge.
Man muss hier bemerken: Es gibt einen Unterschied zwischen einem Alkoholiker und einem Trinker. Beim Alkoholiker ist es nicht die pure Lust, sich zu betrinken, sondern das Bedürfnis, sein Bewusstsein zu verändern. Jemand, der Gefahr läuft, Alkoholiker zu werden, konsumiert Alkohol, um etwas zu verdrängen. Beispielsweise das Gefühl, mit seinem Leben nicht fertig zu werden.
Ein Mann, den ich während einer Entgiftung kennen gelernt habe, ist nicht damit fertig geworden, dass er älter wird. Er war früher ein bekannter Musiker, immer mal wieder in der Zeitung, lange Haare und hat getrunken, um mit dem Älterwerden fertig zu werden.
Psychische Angelegenheit, oder nicht verarbeitete Traumata aus der Kindheit, werden also im Alkohol ertränkt.
Menschen, die glauben ihr Leben ohne Alkohol nicht ertragen zu können, sind also anfällig für eine Sucht. Alkohol gibt dann Halt im Leben.

Warum fällt dem sozialen Umfeld eine Alkoholsucht selten auf?

Man kann die Sucht sehr lange kontrollieren, es ist schleichend, man kann am Wochenende trinken und sich dann am Sonntagabend langsam wieder runter fahren. Mann kann lange Zeit tagsüber, auf der Arbeit, auf den Alkohol verzichten, aber abends sind dann schon alle Gedanken auf das Bier oder den Wein fixiert. Selbst wenn es einem nicht so gut geht, schiebt man das lange auf das eine Bier, das man gestern wohl doch zu viel getrunken hat. So geht es lange Zeit gut, vielleicht nicht für einen selbst, aber nach außen hin scheint die Lage meist normal. Dieses Bild vom Alkoholiker in der Gosse repräsentiert nur ungefähr fünf Prozent der Betroffenen.

[nextpage title=“Erkennen einer Alkoholsucht“]

Woran erkenne ich Anzeichen einer Alkoholsucht bei mir oder bei Mitmenschen?

Wenn ich auch alleine trinke, zu Hause oder versteckt. Wenn ich beispielsweise auf eine Feier eingeladen bin, und alle trinken ein zwei Bier, oder auch drei, und ich trinke dann zu Hause schon vor oder ich trinke noch heimlich an der Bar eins. Also wenn ich in der Gesellschaft vielleicht drei trinke, heimlich aber noch fünf dazu. Das ist schon mal ein schlechtes Zeichen.
Oder wenn ich täglich trinke.
Hauptsächlich auch, wenn man ohne Anlass trinkt, ohne, dass irgendein Grund besteht, und wenn sich meine Gedanken so ständig unbewusst um den Alkohol drehen.
Auch, wenn es gar keine Alternativen mehr gibt: Ich gehe jetzt in eine Disko, und es kommt nur Alkohol in Frage, es wird gar kein Gedanke an irgend etwas anderes verschwendet, zum Beispiel, zu etwas alkoholfreiem zu greifen. Das alles sind Anzeichen, bei denen man besser in sich hinein horchen sollte.

Wenn ich den Verdacht habe, dass bei Mitmenschen ein Alkoholproblem bestehen könnte, was empfehlen Sie mir zu tun?

Auf jeden Fall darauf ansprechen. Weil es eine Krankheit ist und der Betroffene wird sprechen als befreiend empfinden. Dieses heimliche trinken werden die meisten zwar nicht zugeben, weil es dem Betroffenen peinlich ist.
Aber wenn ich einen Bekannten hätte, würde ich ihn auf jeden Fall darauf ansprechen und darüber reden. Reden ist eines der wichtigsten Dinge, um auch an den Kern, das eigentliche Problem zu gelangen. Der Alkohol überspielt die eigentliche Ursache ja nur.
Auch bei Entgiftungen in der Klinik geht es nur um die körperliche Reinigung, die Ursachen werden auch im Krankenhaus nicht behandelt.

[nextpage title=“Risiko einer Alkoholsucht in jungen Jahren“]

Sehen Sie bestimmte Risikofaktoren oder Persönlichkeitsvoraussetzungen in der Altersgruppe der Zwanzigjährigen, die eine Sucht begünstigen können?

Klar, wenn psychische Krankheiten vorliegen und man sich keine Hilfe holt, wird eine Sucht in diesem Alter begünstigt, weil man ja auch sehr viel mit dem Alkohol in Berührung kommt, auf Studentenpartys und so weiter.
Außerdem muss man viel leisten, man plant sein Leben, geht vorwärts – die Gefahr, dass man Alkohol dann eben benutzt, um Herr dieses ganzen Stresses zu werden, besteht.
Letztendlich kann es aber in jedem Alter passieren, dass man dem Alkohol verfällt.
Aber besonders in jungen Jahren ist es wichtig, sich zu sensibilisieren, in sich hinein zu horchen, benutze ich den Alkohol, um Stress zu bewältigen. Stress in jeder Hinsicht ist vielen Alkoholkranken zum Verhängnis geworden, und Zeitdruck war auch bei mir einGrund. Alkohol blendet hier, indem er entspannend wirkt.

Als Mantras unserer Gesellschaft werden häufig „Unabhängigkeit, Individualität, Selbstbestimmtheit“ verstanden. Wird die Alkoholabhängigkeit von Kranken als solche wahrgenommen oder als Mittel, um genannte Freiheit zu erlangen?

Es wird als Abhängigkeit wahrgenommen. Am Anfang schafft der Alkohol Freiheit, wie bei mir zum Beispiel, wobei das natürlich sehr individuell ist. Ich konnte wieder einkaufen gehen, Bahn fahren, ohne Panikattacken zu bekommen. Das heißt, ich habe mich vorher eingeschränkter gefühlt.
Aber es dauert nicht lange, und dann merkt man die Abhängigkeit sehr wohl. Und es schränkt einen ein und wird zum Krankheitsbild, weil sich die Gedanken nur auf den Alkohol konzentrieren, alles andere wird nebensächlich. Das ist eine weitere Phase des Suchtbeginns, in der man schon total eingeschränkt ist und die mit Freiheit nichts mehr zu tun hat. Wer möchte schon von irgend etwas abhängig sein – Alkoholabhängigkeit ist genauso wie eine Beziehungsabhängigkeit, das spürt man so, wie wenn man sich von einer anderen Person abhängig macht.
Man fühlt sich nur noch glücklich, wenn man mit Alkohol versorgt ist, besonders an Feiertagen, wenn man weiß, man ist versorgt und muss ein paar Tage nicht mehr raus. Man verschenkt so sein ganzes Leben. Ich bin mit Anfang 20 untergetaucht und hab dann mit Anfang 40 wieder angefangen, zu leben. Das sollte man jungen Menschen ersparen.

Wenn Sie nochmal zurück gehen könnten in Ihre 20er, den Beginn Ihrer Krankheit, was würden Sie mit Ihrem heutigen Wissen anders machen?

Ich habe Anfang 20 mit dem Schreiben begonnen und würde mich mehr darauf konzentrieren. Ich würde die Jobs nicht mehr machen, ich würde nicht mehr Bäcker lernen, weil ich den Beruf nie wieder ausgeübt habe. Ich würde mich nicht mehr so auf die Dinge konzentrieren, die meine Arbeitgeber interessiert haben, sondern mich mehr auf mein Leben konzentrieren. Ich würde auch mal Nein sagen, das konnte ich lange Jahre nicht. Zu Überstunden zum Beispiel: Der hat zwar Urlaub, aber den brauchen wir nur anzurufen, der kommt schon. Diese Dinge würde ich ändern. Ich würde mit meinen Angstzuständen anders umgehen und zu mehr Ärzten laufen, dann hätte ich gewusst, dass Angstzustände nicht tödlich sind. Im Endeffekt hat mich dieses viele arbeiten auch nicht weiter gebracht, und das bisschen mehr Geld was man da verdient – lieber ein bisschen weniger, und dafür mehr Lebensqualität. Lieber mal entspannen, um dem Druck zu entkommen, der letztlich zum Alkohol greifen lässt.

[nextpage title=“Verzicht, Genuss, Missbrauch“]

Tipps, um sich dem Gruppenzwang Alkohol zu trinken zu entziehen?

Ich habe da nur den einen Tipp, und zwar sich zu sagen „Ich bin Ich und ich mache, was Ich will und nicht, was die anderen wollen“. Dass man sich das einbläut. So richtige Tipps kann ich da jetzt nicht geben, aber man muss ich vor Augen führen, dass man eine eigenständige Persönlichkeit ist, die über sich bestimmt. Ich würde keine Ausreden verwenden, wie Medikamente, um zu erklären warum ich nicht trinke. Wenn man Ausreden und Lügen verwendet, um keinen Alkohol zu verwenden, dann ist man mit sich selbst nicht im Reinen. Man kann das als Selbstbewusstseinstraining ansehen, fürs Nein-Sagen, auch fürs Leben. Das ist so wichtig, gerade bei jungen Menschen, dass die Lernen, Nein zu sagen. Ja-Sager kommen leider nicht weit. Ich habe immer Ja gesagt, und habe dafür stundenlang arbeiten müssen.

Wo liegt die Grenze zwischen Genuss und Missbrauch?

Wenn zum Beispiel jemand am anderen Tag wieder trinkt, um den Kater los zu werden. Das ist ein ganz gefährliches Tool, das man nicht unterschätzen sollte. Sonst sehe ich nur die Grenze, ob man den Alkohol benutzt oder halt mal feiern will. Die Grenze ist, „ich trinke jetzt Alkohol damit ich mal mitreden kann, weil ich sonst eigentlich ein stiller Kerl bin“. Man soll seine Persönlichkeit einfach annehmen. Ob ich jetzt still bin, eher ein ruhiger Charakter, oder ein Alpha-Tier.

Herr Sante, wir bedanken uns für Ihr Interview!

 

Beitragsbild: Copyright – Would you have a drink with you by Eden, Janine and Jim 

  (CC BY 2.0)