Im nicht so grauen Mittelalter – Mary, Queen of Scots

Es geht ein Gespenst um im Internet. Es spukt in den Kommentarspalten von Nachrichtenmagazinen und Videoportalen, hauptsächlich in den sozialen Netzwerken, auch in Whatsapp-Gruppen und am Stammtisch. Wie alle Gespenster ist es totenbleich – weiß eben. Hinter dem Spuk stecken jene weißen Männer jeden Alters, die überall eine Verschwörung linksgerichteter Medien, Politiker und Prominenten zu erkennen glauben, deren anerkanntes Ziel es sei, uns, also den Mann (hier mag sich angesprochen fühlen, wer will),  mundtot zu machen oder gleich ganz abzuschaffen. Mittel der Wahl? Der Feminismus.

Dieser ziemlich reaktionäre Zeitgeist hat die Kommentarspalten des Netzes gekapert und sich auch sonst seine eigenen Räume geschaffen. Ein hervorragendes Beispiel hierfür ist die eigenwillige Rezeption des letzten Teils der Star-Wars-Reihe und dessen weiblichen Heldinnen: Halbgare Videoessays, wie genau der Feminismus diese Filme zerstöre, scheinen mittlerweile eine eigene Subgattung auf YouTube darzustellen.

Gehören Sie zu diesen Männern? Dann ist Mary, Queen of Scots definitiv nichts für Sie. Zwar musste man den weiblichen Maincast nicht erst erfinden – Mary Stuart und Elisabeth I. haben wirklich gelebt, und sie waren die wohl außergewöhnlichsten Frauen ihrer Zeit – aber ansonsten nimmt es der Film mit der Historizität nicht immer genau. Dabei beginnt die Geschichte ganz konventionell mit Marys Ankunft in Schottland im Jahre 1561. Sie ist dabei, den verwaisten schottischen Thron in Besitz zu nehmen, der ihr von Rechts wegen zusteht. Fast noch komplizierter als die Thronfolge ist die politische Gemengelage, in die die schöne (und junge, und unverheiratete!) Mary (Saorsie Ronan; Ladybird) da stolpert: als Katholikin ist sie dem britischen Kronrat um Elisabeth prinzipiell spinnenfeind, zusätzlich stellt sie eine Bedrohung für die kinderlose Königin (auch ziemlich schön: Margot Robbie) dar, denn eine Königin ohne Erben wackelt immer. Beide finden sich schnell in der Situation, von machtgeilen Männern permanent belabert zu werden, doch bitte diesen oder jene um die Ecke zu bringen (oder wenigstens zu heiraten). Zumindest Mary kommt dem Notgedrungen nach, das Ergebnis ist die wohl uninspirierteste Schlachtenszene, die das Kino lange gesehen hat, aber um so etwas soll es hier eigentlich auch nicht gehen. Denn das eigentliche Drama ist natürlich jenes zweier Frauen, die sich in feindlichen Lagern gegenüberstehen. Und das, obwohl man sich in einer anderen Realität vielleicht gar nicht so unsympathisch gewesen wäre, aber im ausgehenden Mittelalter bilden Konfession, die komplizierten Regeln von Erbmonarchie und Heiratspolitik Schranken, die keine*r überwinden kann. So weit, so gut, sich eine Meinung über diesen Film zu bilden, erweist sich als harter Brocken. Denn sein Ansatz, die Geschichte zweier Frauen zu erzählen, die sich aufgrund ihres Geschlechts permanent rechtfertigen müssen, ist ehrenhaft und besitzt Relevanz. Und dieser Film, er sieht wirklich verdammt gut aus; allein das Poster ist schon der Hit! Was Kostüm- und Setdesigner hier mit den Schauspielern gemeinsam leisten, ist mehrfach oscarreif. Optisch wird hier eigentlich jedes Register gezogen, das das Kino hergibt. Im Zentrum stehen dabei natürlich die beiden Hauptdarstellerinnen. Saorsie Ronan, der deutlich mehr Screentime zugestanden wird als Margot Robbie, zeigt eine Mary, die permanent hin- und hergerissen ist: zwischen königlicher Würde und hilflosem Zorn, zwischen staatsmännischer Gerissenheit und backfischhafter Unerfahrenheit, zwischen Empathie und Härte. Am Ende steht sie alleine da, ihre letzte Hoffnung setzt sie in ihre „Schwester“ Elisabeth. Auch diese sieht sich in so einer „Doppelrolle“ gefangen: Robbie spielt Elisabeth als eine Frau, die von ewigen Kämpfen und Intrigen ermüdet, gedanklich zusehends in eine weite Ferne abzuschweifen scheint. Ihre Darstellung einer Königin ist also eine poetische: Eine, deren Transzendenz das Ergebnis von Kontrollzwang und Einsamkeit ist.

Eine Erwähnung verdient hier auch Guy Pearce als Elisabeths Rechte Hand William Cecil, der sie die ganze Zeit eindringlich dazu gemahnt, dass Richtige zu tun – einen Bürgerkrieg anzuzetteln, zum Beispiel. Dabei bleibt Pearce letztendlich herrlich glatt, trotz seiner Leidensmiene, vielleicht ein Rest von schlechtem Gewissen, vielleicht hat er sich aber auch immer noch nicht ganz davon erholt, was Ridley Scott ihm 2012 in Prometheus angetan hat.

Zwischen Historie und Hollywood: Eine verdrehte Botschaft für die Moderne?

Und hier, bei den Männern, fangen die Probleme an. Denn Mary, Queen of Scots versteckt unter seiner historischen Gewandung natürlich eine Botschaft, die an die heutigen Generationen gerichtet ist – andernfalls würde eine solche Verfilmung ja auch wenig Sinn machen. Die Regie-Debütantin Josie Rourke stellt ihren Film also in den Dienst der weltweiten Frauenbewegung: Indem sie eben die Geschichte zweier Frauen erzählt, die sich in einer Epoche durchzusetzen versuchten, in der das schon qua göttlichem Gebot im Grunde unmöglich war. Das Bild der unfähigen, quasi schon durch die Natur benachteiligten Frau kippt hier ins komplette Gegenteil – und Rourke zeigt uns einen Film, in dem jeder, wirklich jeder, Mann ein Intrigant, Verräter, eine Memme, ein Säufer, ein Kriegstreiber, ein Vergewaltiger oder heimlich schwul ist. Insbesondere letzterer Umstand ist bemerkenswert, denn Rourke bedient sich ihm, wie es ihr in den Kram passt – in einem Fall, um eine Toleranzbotschaft in die Welt zu setzen, im anderen, um die Verlogenheit einer Figur zu unterstreichen. Kaum erwähnenswert, dass man sich hier in Puncto Historizität alle künstlerischen Freiheiten nimmt, aber das muss erstmal kein Problem sein – jeder Historienfiktion  ist letztendlich Konstruktion und erzählt die Dinge so, wie es ihr passt. So mag man sich auch den dunkelhäutigen Botschafter noch durch englischen Koloniebesitz erklären, doch was haben Schwarze in englischen Dorfkirchen verloren? Zumindest eingangs angesprochenen Menschenschlag werden solche Details sehr wütend machen. Das könnte einem prinzipiell ja herzlich egal sein, wenn sich nicht die Frage stellen müsste, ob Rourkes Botschaft nicht auch auf andere Art und Weise hätte geäußert werden können. Auf eine, die das, was Hollywood derzeit scheinbar fordert, einlösen kann, ohne derart beflissen zu wirken. So deutet der Film jede potenzielle historische Leerstelle  zu Marys Gunsten – am Mordkomplott, dem ihr Gatte zum Opfer fällt, ist sie unbeteiligt, der anschließenden dritten Heirat stimmt sie unter Zwang zu. Nur weist nichts in den Geschichtsbüchern darauf hin, dass dem tatsächlich so gewesen ist. Anstatt Mary also von jeder Schuld reinzuwaschen (und sie damit letztendlich wieder zum Opfer zu machen), hätte der Film seine Frauen als Personen zeigen können, die sich in einen Sumpf begeben und von diesem letztendlich verschluckt werden. Erst dann hätte man tiefere Erkenntnisse über das System von Macht und Geschlecht gewinnen können, über die Protagonistinnen und ihre Motive, sich diesem System auszusetzen. Über ihre spezifische Art, mit diesem System umzugehen, über ihr Scheitern. So zeichnet der Film aber nur ein ganz altes Bild – lediglich gespiegelt. Wer sich die ursprünglichen Ziele des Feminismus, Gleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen, ins Gedächtnis ruft, der kann sich fragen, ob dieser Film seiner Sache nicht letztendlich einen ziemlichen Bärendienst erweist. Doch halt – kann man hier vielleicht von einer Art Gleichheit im Unrecht sprechen,  wenn diese geschlechtlichen Implikationen einmal umgekehrt werden? Um diese Fragen zu beantworten, müssen umfangreichere Texte geschrieben werden als dieser. Und vielleicht sollte sich tatsächlich jede*r selbst ein Bild davon machen und den Film ansehen, denn lehrreich ist er allemal.