Ihr könnt unsere Häuser zerstören, aber nicht die Kraft, die sie schuf

Die Politik diskutiert viel über Umweltschutz. Doch es scheitert daran, klimapolitische Versprechen in realistischen Maßnahmen zu übersetzen. Ein Aktionsbündnis mit Klimaaktivist:innen hat in den letzten zwei Wochen vier Bäume besetzt, um Klimaschutzmaßnahmen auf lokaler Ebene zu fordern. Sie wollen mit der Baumbesetzung für Aufmerksamkeit sorgen und verlangen sofortiges Handeln der Stadt Passau.

Die Baumbesetzung startete am dritten Mai 2021. Vier Klimaaktivist:innen haben an der Innpromenade in Passau einen Baum besetzt. Der Auslöser: Die Stadt und der Landkreis Passau leisten nicht ihren Beitrag zur Einhaltung der Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen. Seit Jahrzehnten verspricht die Stadt die Verkehrsproblematik in der Innstadt und der Altstadt zu lösen, aber bis jetzt hat sich nichts verändert. Auch viele Einwohner sind unzufrieden und stehen hinter den Baumbesetzer:innen. Mit ihren Forderungen Klimaschutz sofort, Nordtangente verhindern, Mobilitätswende, Wald statt Asphalt und Klimagerechtigkeit wollen die Aktivist:innen Klimaschutz und Umweltschutz auf lokaler Ebene durchsetzen.

Das Sondereinsatzkommando aus München räumte noch am selben Tag das erste Baumhaus mit den Gründen: Selbstgefährdung der Teilnehmer:innen und die Naturdenkmalverordnung. Paradox an dem Einsatz war, dass das SEK sich durch die wichtigen Äste des Baumes abgeseilt und viele Äste dabei abbrochen habe, obwohl Sie den Baum aufgrund des Naturschutzes räumen ließen. Die Baumbesetzer:innen hatten eigenes Kletterzubehör an und versuchten, den Baum so wenig wie möglich zu beschädigen. Am folgenden Mittwoch baute das Aktionsbündnis gleich zwei neue Baumhäuser. Nach dem Motto „Ihr baut ein Baumhaus ab, wir bauen zwei neue auf“ setzten die Aktivist:innen ihr Klimacamp an der Ortsspitze fort. Doch die Klimacampaktivist:innen wurden nach kurzer Zeit gebeten, auf einen neuen Baum umzuziehen, da sich die Stadt über die Sicherheit der Versammlung auf zwei Bäumen an der Ortsspitze besorgt gezeigt hatte. Somit findet das Klimacamp seit Freitag, den siebten Mai, neben dem Lukas-Kern-Kinderheim statt.

Vorort wurde Kim Schulz (24) zu dem Klimacamp befragt.

Wer steht hinter euren Aktionen?

Kim Schulz: Wir haben ein Aktionsbündnis,welches die Aktionen und die Leitlinie plant. Da sind einerseits Klima- und Umweltbewegungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände beteiligt, andererseits unterstützen uns auch der VCD (Verkehrsclub Deutschland mit Passau als Zweigstelle), die Bürgerinitiative gegen die Nordtangente und Critical Mass.

 

Wer besetzt den Baum bei Tag und Nacht?

Kim Schulz: An der Baumbesetzung selbst ist das Aktionsbündnis nicht unbedingt personell beteiligt. Jeder der möchte, kann im Baumhaus übernachten oder tagsüber eine Schicht übernehmen. Oft sind es auch Einzelpersonen, die nur an der Baumbesetzung selbst beteiligt sind und unsere Forderungen unterstützen. Mit einem Schichtplan koordinieren wir die Zeiten.

Wie hat die Stadt Passau reagiert?

Kim Schulz: Die Stadtverwaltung und Oberbürgermeister Jürgen Dupper sind nicht auf die Aktivist:innen eingegangen. Sie haben sich geweigert, in den öffentlichen Dialog unter Anwesenheit der Presse zu treten und haben uns nur ein Gespräch unter vier Augen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit angeboten. Aus dem Stadtrat gibt es viele Befürworter. Die Linken, Die Grünen und die ÖDP haben sich mit den Aktivist:innen solidarisiert und stehen hinter den Forderungen. Wir haben vergangenen Dienstag um 18Uhr alle Stadträt:innen, alle Kreisrät:innen, den Landrat und den Oberbürgermeister zu einer Diskussion eingeladen, um mit den Lokalpolitiker:innen über die Dringlichkeit, sozial gerechte und konsequente Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, zu diskutieren. Die Kreistags- und Stadtratsfraktionen von Linke, ÖDP und Grünen haben sich aktiv an der Diskussion beteiligt und die Forderungen unterstützt. Die SPD war ohne Beiträge anwesend und die CSU ist nicht gekommen. Die Abwesenheit der CSU war schade, da wir auch gerne mit den Gegner:innen in den Dialog treten wollten. Der Oberbürgermeister konnte aus terminlichen Gründen nicht erscheinen.

Wie verfahrt ihr weiter?

Kim Schulz: Wir werden nicht zwangsläufig bei dieser Aktionsform bleiben, aber wir werden weiter Druck auf die Stadt ausüben. Uns ist klar, dass die Stadt uns mit dem Klimacamp kaufen wollte, um uns in einem Rahmen zu halten, den sie kontrollieren kann, aber wir werden weiter Druck auf die Stadt ausüben. Die nächsten Schritte sind Demonstrationen in den nächsten Tagen. Am Sonntag haben wir eine Rad-Demonstration geplant, um auf den Klimaschutz auf lokaler Ebene aufmerksam machen. Das betten wir in unsere Aktionswoche Nordtangente mit ein. Am Dienstag findet das nächste Dialogforum zur Nordtangente statt. Das Dialogforum ist ein Gremium aus verschiedenen Initiativen, Abgeordneten aus Bundes- und Landtag  und Bürgermeister der Region, die sich damit befassen, wie man das Verkehrsproblem in Passau lösen kann. Wir haben eine andere Vorstellung als die Nordtangente. Eine der Gründe für die Besetzung war auch, dass das Dialogforum jetzt stattgefunden hat. Wir haben auch schon angekündigt, dass wir ZU Aktionen (ziviler Ungehorsam) planen werden in dieser Woche. Das wird die Stadt wieder mehr aufregen, aber es wird auch mehr Druck ausüben.

Eine Forderung ist die Verhinderung der Nordtangente. Was schlagt ihr als Alternative vor?

Kim Schulz: Ziel der Nordtangente ist es, das Verkehrsaufkommen im Stadtgebiet zu verringern, doch mit der gegenwärtigen Planung wird dieses Ziel nicht erreicht. Mit der Nordtangente geht eine massive Beschädigung des Naturraums miteinher, die Durchsetzung ist mit hohen Kosten verbunden und es wird nachweislich nicht zu einer Verkehrsentlastung führen, sondern der Region mehr Autoverkehr bringen.

Unsere Alternative wäre, den Autoverkehr aus der Stadt zu verbannen. Wir wollen ein Umsteigezentrum schaffen. Innerstädtisch soll der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und vergünstigt oder kostenlos werden, zudem braucht die Stadt mehr Fahrradwege. Wenn man an Straßenverkehrslösungen denkt gibt es auch Ideen, wie einen Tunnel unter dem Georgsberg zu graben, um so den Verkehr vom Anger wegzuleiten. Unsere Devise ist allerdings, dass neue Straßen immer mehr Verkehr schaffen.Deshalb ist der Weg zu einer Entlastung nicht der Neubau von Straßen, sondern die Verringerung von Verkehr. Wir wollen eher versuchen, den öffentlichen Nahverkehr zu fördern und den motorisierten Individualverkehr zu verhindern.

Der Name Klimacamp deutet auf mehr als eine Baumbesetzung hin. Was bietet ihr Vorort an?

Ja, wir hatten schon ein paar Vorträge und Workshops zu Themen, die mit unseren Forderungen und dem Klimacamp zusammenhängen. Wir hatten auch Skill Shares zum Thema Knoten und zum Thema klettern, welche öffentlich für alle Menschen zugänglich waren. In den nächsten Tagen sind weitere Aktionen geplant. Für weitere Informationen zu unseren Forderungen und Aktionen kann man auf unserer Website (https://passau.klimacamp.eu/) nochmal genau nachlesen.

Mit dem Klimacamp hoffen die Aktivist:innen auf sofortige Veränderungen der Stadt Passau. Am meisten Sorgen bereiten den Klimaschützer:innen die sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen, sowohl in Passau wie auch global. Die Folgen der Klimakrise tifft zuerst die Ärmsten und Schwächsten, verantwortlich sind jedoch die großen Industrienationen, die viele Emissionen produzieren. Durch die Erderwärmung schmilzt das Eis an den Polkappen, durch die Ausdehnung des wärmer gewordenen Meerwassers steigt der Meeresspiegel an. Laut Greenpeace sind heute jährlich 21,5 Millionen Menschen auf der Flucht, weil ihre Heimat durch den Klimawandel zerstört wurde oder keine guten Lebensbedingungen mehr bietet. Mithilfe des Klimacamps soll Druck auf die Stadt ausgeübt werden, um Taten zu erzwingen. Die Räumung der Bäume wird die Aktivist:innen nicht daran hindern, weitere Aktionen zu planen. “Ihr könnt unsere Häuser räumen, nicht aber die Kraft, die sie schuf”, erklärte Klimagerechtigkeitsaktivist Kim Schulz.