Vom Aussterben bedroht? Die rote Liste der Sprachen in Deutschland

Ihr kennt das vielleicht auch: man sitzt gemütlich in Passau am Residenzplatz, trinkt seinen Espresso genießt die Mittagsruhe, die Sonnenstrahlen und plötzlich realisiert man, es fängt diese Zeit des Jahres wieder an. Die ersten Touristenmassen drängen sich von den Booten, und durch die Gassen der Stadt und von allen Seiten schallt es „Servus, Moin, Juten Tach. Schwaben, Bayern, Sachsen aus allen Regionen der Republik kommen sie herbei und hinterlassen ihre ganz eigene Lautschrift im Gebrabbel der Maße. „Mai Güde der Egschpresso isch abr vil zu deir“. „Des is a Stod in dea lasst es si lem“, oder so. 

In den 20 Dialektgruppen, die man in Deutschland unterscheidet, kann man hier schon einige hören aber habt ihr schon mal „Halo dobry dźeń,“ „So keres“, oder „Hoi, hoe giet it mei dy“ gehört. Nein? Wahrscheinlich eher nicht. Doch in Deutschland wird nicht nur „deutsch“ gesprochen. Um diese oben genannten Beispiele zu hören, muss man gar nicht so weit reisen.

Die einzelnen Sprachen und wo sie zu finden sind

In Deutschland existieren vier anerkannte nationale Minderheiten die vom Bund geschützt und gefördert werden:

„Die Sprachencharta dient dem Schutz und der Förderung von in einem Vertragsstaat gesprochenen Regional- oder Minderheitensprachen als Teil des europäischen Kulturerbes. Geschützt sind in Deutschland die Minderheitensprachen Dänisch, Ober- und Niedersorbisch, Nord- und Saterfriesisch, das Romanes der deutschen Sinti und Roma sowie die Regionalsprache Niederdeutsch. Mit dem umfassenden Regelwerk der Sprachencharta soll die Bewahrung dieser Sprachen gesichert und ihre Verwendung im privaten und öffentlichen Bereich unterstützt werden“.  (Artikel 15 Absatz 1der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen.)

An der Nordseeküste

Eventuell dem ein oder anderen vom Wahl-O-Mat bekannt gibt es den Südschleswigschen Wählerverband. Er setzt sich für die Rechte der dänischen Minderheit und friesischen Volksgruppe in Deutschland ein und ist sogar mit einem festen Sitz im Bundestag vertreten. Neben dem SSW dienen vor allem andere Institutionen dazu die Dänen zu schützen. Ein eigenes Bildungssystem, Kirchengemeinschaften und soziale Einrichtungen dienen, dazu ihre Sprache und somit ihre Identität aufrechtzuerhalten. Ihre Kultur und Traditionen sind sehr verwurzelt mit dem Mutterstaat Dänemark.

Als 1864 das Herzogtum Schleswig fiel, ging es an das Königreich Preußen über, welches später zu einem Hauptteil des neugegründeten deutschen Reichs wurde. So wurde die dänische Bevölkerung zur Minderheit. Etwa 50.000 Dänen leben im heutigen Schleswig-Holstein. 

Nah aneinander gelegen tun es die Friesen den Dänen sehr ähnlich: Radiosender, Zeitungen und die Möglichkeit Friesisch zu lernen – von Schule bis zur Universität. Um ihre Identität zu wahren verknüpfen sie Kultur und Geschichte mit ihrer Sprache.

Seit Jahrhunderten bevölkern die Friesen die Nordseeküste entlang Dänemark und den Niederlanden. Sie unterteilen sich in drei Sprachgruppen: Nordfriesisch, Niederdeutsch (Plattdeutsch), was von den Ostfriesen gesprochen wird und Saterfriesisch. Saterfriesen bilden dabei eine der kleinsten Sprachgruppen in Europa. Man geht von schätzungsweise 1500-2500 Personen aus. 

Von Indien bis nach Deutschland

Man vermutet sie seien ursprünglich aus Indien emigriert. Denn das Romanes auch Romani, die Sprache der Sinti und Roma der größten Minderheit (ca. 70.000-180.000) in Deutschland hat ihren Ursprung im indischen Sanskrit. Sinti leben seit über 600 Jahre im deutschsprachigen Raum, erste Erwähnungen führen auf das 14. Jahrhundert zurück, wobei Roma seit dem 19. Jahrhundert hier leben. Romanes ist geprägt von der Bewahrung der mündlichen Weitergabe über Generationen hinweg. Weshalb die Verfolgung der Nationalsozialisten für einen starken Einbruch der Sprache sorgte, da viele Ältere ermordet wurden. 

Heute versuchen sie mit Selbstorganisationen dagegen anzukämpfen. Bewahrung der Sprache durch Musik, Literatur und Unterricht.

Sorben keine Serben

Die Sorben kamen vor über 1500 Jahren über die nordöstlichen Karpaten in das heutige Gebiet der Ober-und Niederlausitz und besiedelten zu DDR-Zeiten den gesamten Osten. Sie haben ihren Ursprung im Slawischen, das heißt sie sind vor allem mit dem Polnischen und dem Tschechischen verwandt.

Die Sorbische Sprache gliedert sich in zwei eigenständig anerkannte Sprachen. In Sachsen wird überwiegend Obersorbisch gesprochen und in Brandenburg Niedersorbisch, wobei dieses besonders stark bedroht und gefährdet ist. Eine Untersuchung der Universität in Leipzig kommt zu dem niederschmetternden Ergebnis, dass es schätzungsweise nur noch 50-100 kompetente Sprecher (C1-C2 Niveau) gibt. Allerdings sind diese Zahlen mehr als umstritten und sorgten in sorbischen Kreisen für Aufregung. Denn Zahlenangaben über nationale Minderheiten beruhen heutzutage nur auf Schätzungen. Mit Hintergrund des 2. Weltkrieg und die systematische Verfolgung solcher Minderheiten unter den Nationalsozialisten werden in der Bundesrepublik Deutschland generell keine bevölkerungsstatistischen und sozioökonomischen Daten auf ethnische Basis erhoben.  Schätzungen gehen von ca. 60.000 Sorben in Deutschland aus. 

Doch wie kann eine abwärts Entwicklung aufgehalten und sogar umgedreht werden? 

„Bis zum Jahr 2100 soll es 100.000 Sorbisch/Wendische Sprecher in der Region haben“ 

Ein klarer Kurs, den sich die Domowina mit ihrem Vorsitzenden Dawid Statnik gesetzt haben. Die Domowina setzt sich seit 1912 als politisch unabhängig und selbstständiger Bund für die Sorben ein. Mittlerweile verzeichnet der Dachverband über 7000 Mitglieder und vertritt somit die Interessen der 60.000 Sorben in den Bundesländern Brandenburg und Sachsen. 

Seit 2011 ist der Lausitzer Dawid Statnik Vorsitzender der Domowina. Als gebürtiger Sorbe, ist er bestens vertraut mit den Traditionen und Bräuchen seines Volkes.

Dawid Statnik über die Sorben, die aktuelle Lage und was es für das Ziel der 100.000 braucht

Dawid Statnik – Vorsitzender der Domowina / Foto: Domowina/Isabella Fusaro

Es gibt viele Sorben in der Region doch verhältnismäßig wenig Sprecher woran liegt das? Historisch gesehen ist der Osten Deutschlands durch die Reformationsbewegungen im 16. Jahrhundert überwiegend protestantisch lutherisch geprägt und auch die Säkularisation in DDR-Zeiten sorgte für einen stetigen Rückgang. Doch eine Region trotzte dem allem. 

Besonders hier hat das Obersorbische einen festen Platz im Alltag, etwa 80-90% der Menschen sprechen hier die Sprache ihrer Vorfahren. Kinder wachsen von Kita bis zum Abitur bilingual auf in dem sie sogar sorbisch als Hauptsprache sprechen können. Dies Möglichkeit wird vom Land Sachsen mit dem 2plus Konzept gefördert. Hier ist Sorbisch mehr als ein Schulfach es ist lebendige Unterrichts-und Alltagssprache und prägt nicht nur das gesamte Bildungsumfeld, sondern auch das Leben und die Identität der Menschen.

„Ich dachte als Kind alle sprechen sorbisch“ – Dawid Statnik

Das kulturelle Erbe der Sorben ist besonders lebendig und prägt das Bild der Ober- und Niederlausitz. Ein besonders eindrucksvoller Brauch ist das Osterreiten (Křižerjo): Am Ostersonntag ziehen festlich gekleidete sorbische Reiter von Gemeinde zu Gemeinde, um die Auferstehung Christi zu verkünden. Sie reiten in Prozessionen durch die Dörfer, singen sorbische Kirchenlieder und tragen geschmückte Fahnen und Kreuze bei sich. Das Osterreiten ist Ausdruck des tiefen katholisch-sorbischen Glaubens und gehört zum immateriellen Kulturerbe der Region.

Neben dem Osterreiten prägen auch andere Bräuche und Feste, wie das Maibaumwerfen, das Sorbische Vogelhochzeitsfest und die prächtigen sorbischen Trachten, das kulturelle Leben und bewahren eine einzigartige sprachliche und kulturelle Identität bis heute. Die Entwicklung zeigt, dass Ortschaften und Dörfer, die diese Bräuche eigentlich schon aufgegeben hatten, zurückkehren und diese wieder aktiv auferleben lassen. Besonders hier sticht Bautzen als kulturelles Zentrum heraus, mit den wichtigsten Einrichtungen wie das Serbski Haus (Haus der Sorben), Sorbische Nationalensemble und das sorbische Museum. 

Folklorefestival / Foto: Domowina/Bozena Schiemann                

Doch trotz alledem steht eines fest: die Globalisierung und der Strukturwandel trifft irgendwann alles und jeden. Das gilt nicht nur für die Sorben, sondern ist ein Phänomen in ganz Europa. „Wo Sprachen miteinander leben, dominiert die Größere“, meint Statnik. Die deutsche Sprache ist in Medien, Schule und Beruf allgegenwärtig. 

Besonders die Region um die Lausitz war und ist vom Strukturwandel betroffen. In der Vergangenheit wurden ca. 130 Orte in der Lausitz abgebaggert aufgrund des hohen Braunkohlevorkommens. So werden wichtige „Sprachinseln“ immer kleiner und junge Menschen ziehen weg und finden außerhalb der sorbischsprachigen Gegend weniger Anlass und Gelegenheit die Sprache zu sprechen und weiterzugeben. 

„Hier ist der Staat beauftragt die nötigen Rahmenbedingungen und Prävention zu schaffen“, erklärt der Vorsitzende der Domowina. Neben der oben schon genannten EU-Charta der Regional und Minderheitensprachen von 1992 gibt es das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (1995). Beide garantieren den Schutz der kulturellen, sprachlichen und politischen Rechte und verpflichten zu verbindlichen Maßnahmen in Bereichen wie Bildung, Verwaltung, Medien und Kultur. Neben diesen bilden die zwei Landesverfassungen der Bundesländer Brandenburg und Sachsen den Schutz der Sorben. In Artikel 5 der Sächsischen Verfassung erkennt das Land das Recht auf die Heimat. Im Sächsischen Sorbengesetzt ist explizit verankert, dass Sorben das Recht haben sich vor Gerichten und Behörden in sorbischer Sprache zu äußern und dass dieses Anliegen Behörden in sorbischer Sprache beantworten und entscheiden müssen.

Doch ausschlaggebend zur Wahrung und Förderung der Kultur und Institutionen sind finanzielle Mittel. Die Stiftung des Sorbischen Volkes erhält jährlich Mittel vom Bund und den Ländern Brandenburg und Sachsen. Die Summen beliefen sich jährlich seit 2021 auf ca. 24mio. € (Bund 11mio. Sachsen 8mio. Brandenburg 4mio.) Aktuell haben die Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (Sachsen) und Dietmar Woidke (Brandenburg) am 13.06.2025 im Bundesrat in Berlin ein Schreiben an Bundeskanzler Friedrich Merz unterzeichnet. Mit diesem unterstützen sie den Entwurf des Bundesinnenministeriums für ein Fünftes Finanzierungsabkommen und Betonen die Bedeutung einer gesicherten Finanzierung der Stiftung für das sorbische Volk ab 2026.

Diese Mittel sind entscheidend zum Aufbau von Institutionen wie die Domowina. Neben ihr gibt es auch einen Buchverlag mit dem Namen Domowina. Dieser veröffentlicht u.a. die obersorbische Tageszeitung „Serbske Nowiny“ und die niedersorbische Wochenzeitung „Nowy Casnik“. Darüber hinaus gibt es WITAJ-Sprachenzentrum, Abteilung der Domowina und viele andere sorbische Institutionen und Kultureinrichtungen. Ein Beispiel für ein sehr sichtbares sorbisches Projekt ist das aktuell stattfindende internationale Folklore Festival (26.06-29.06.25). Hier lädt die Domowina Gäste aus nah und fern ein, teilzunehmen an sorbischer Sprache und Kultur als auch internationale Gäste zu erleben. 

Aber Dawid Statnik betont ebenfalls, dass nicht nur der Staat verpflichtet ist die nötigen Bedingungen zu schaffen, sondern sie selbst in der Verantwortung sind: „Zukunft entsteht da, wo man sie selbst macht“. 

Vielfalt durch Sprache

„Sprachen sind der Beweis der Vielfalt und Verschiedenheit. Sie sind wie Geschmäcker, jeder verspürt und fühlt anders und trotzdem ergibt es Sinn. In der Verschiedenheit liegt der Reichtum“, so der Vorsitzende. Wie Goethe einst sagte: „Jede Sprache ist eine Welt spricht man zwei Sprachen so erlebt man zwei Welten gleichzeitig“. 

Wenn Dawid Statnik sich im Urlaub befindet, kommt es das ein oder andere Mal vor, dass er auf andere Sorben trifft. Dann fühlt es sich für ihn so an als wäre es „Heimat auf der Zunge“.

Wutrobny dźak, zo sće naš čitali. – Vielen Dank für‘s Lesen

Auflösung des Instareels: 

Lest alle die Blank Artikel zur Sprachenwoche:

Romanes: Gin sa e „Blank“ artiklura pal-o kurko e ćhibako!

Obersorbisch: Čitajće wšitke artikle k „Blank“ temowy tydźeń!                         

Saterfriesisch: Lest alle de „Blank§ Artikel för de Sprookewiek!

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Teil 5 unserer Comicserie Sprache von Veronika Bigler