„Safe Spaces. Vernetzung. Zusammenarbeit.“

LGBTQ+Stammtisch e.V. – ein Interview mit der Vorsitzenden 

„Ein Drag Contest am Dom im erzkatholischen Passau ist ungefähr das coolste“, schreibt die bekannte Passauer Band Lonely Spring am Abend des 22. Juli im Rahmen des `For A Change` Festivals. Im Hintergrund ist der Stephansdom zu sehen, dessen reines Dasein seit Jahrhunderten über die Dächer der Stadt ragt. Das barocke Bauwerk drückt Ehrfurcht und Bewunderung, aber vor allem die katholische Prägung der Gegend aus. Doch ein Drag Contest im Mittelpunkt durchbricht in strahlenden Farben und voller Mut, voller Pride, diese Konvention. Ein Sinnbild und Erfolg für die LGBTQ+ Community in Passau.

Kooperationen 

Einen beachtlichen Anteil der Unterstützung queerer Menschen wird in Passau durch LGBTQ+ Stammtisch e.V. geleistet. Ein Verein, welcher seit 2017 viele Projekte ins Leben gerufen hat und Mitveranstalter der „Passau Pride“ (Christopher Street Day) ist. Wir durften mit Elena sprechen, die fast seit Beginn im Verein tätig ist und nun seit etwa drei Jahren an der Vorstandsspitze steht. Für sie bedeutet der Verein vor allem: „Safe Spaces. Vernetzung. Zusammenarbeit.“. Ihre Arbeit solle aber über die Ränder der queeren Community hinaus gehen. „Ich finde es nicht zielführend, wenn eine Community sich immer in einem Hinterzimmer trifft, dort ihre Sache macht und dies nicht nach Außen transportiert. Deshalb haben wir auch Kooperationspartner wie Gastlokale oder die AIDS-Informations- und Beratungsstelle Niederbayern“, akzentuiert Elena. In Kooperation mit der AIDS-Beratung findet im September 2023 beispielsweise die Veranstaltungsreihe `Der lange Weg´ statt, die den Pfad einer HIV-Infektion beschreibt. Mit der Stadt selbst ist bis jetzt keine Zusammenarbeit zustande gekommen. Es gibt in Passau einiges an Änderungsbedarf.

Projekte

Mit insgesamt zehn Projekten möchte der Verein das Leben queerer Menschen in Passau verbessern. Neben Austauschplattformen wie `LGBTQ+ Stammtisch` und `Poly Talks`, gibt es auch die Erlebnisreihe `Queer Activity`, das `Queer Cinema` in Zusammenarbeit mit dem Cineplex, den Bücherkreis `Queer Book Circle` und viele weitere Projekte, die sich mit Randgruppen in der Community und den Herausforderungen in der Arbeitswelt beschäftigen. Menschen jeden Alters dürfen an den Aktivitäten des Vereins teilnehmen. „Im Allgemeinen haben wir überhaupt keine Altersbeschränkung, auch beim Hauptstammtisch im Zeughaus nicht. Wir haben aber speziell Gruppen, z.B. queer 40+, weil wir festgestellt haben, dass es in dieser Altersgruppe andere Themen gibt. Aber so sind wir sehr offen, was die Altersspanne betrifft.“

`Queer Move`- das Beratungsangebot 

Besonders hervorzuheben ist das Beratungsangebot `Queer Move`. „Dort kann man hingehen, wenn man Opfer von Diskriminierung wurde. Wir bieten auch die Begleitung zur Polizei nach Vorfällen an. Damit man dort nicht allein ist“, erzählt Elena. Das Team besteht aus ehrenamtlich Beratenden, sozialpädagogischen und psychologischen Profis und somit erhält jede:r das individuell passende Angebot. „Man kann sagen, ich habe Liebeskummer und brauche psychologische Beratung, das ist absolut okay.“ Elena möchte betonen, dass man auch bei Problemen, die von der Gesellschaft nicht als groß angesehen werden, diese Hilfe unbedingt in Anspruch nehmen darf. Grundsätzlich gehe es bei `Queer Move` häufig um das Coming Out in all seinen Facetten und für Transpersonen vor allem um Behördengänge. „Da geht es um Wohnungssuche, Bewerbungsschreiben, den Personalausweis.“

Diskriminierungserfahrungen

Die angesprochenen negativen Erfahrungen bei ´Queer Move´ fallen hauptsächlich unter zwei Themengebiete, so Elena. Vor allem erleben queere Menschen Diskriminierung in der Schule und in der Öffentlichkeit. So wurden bei einer Umfrage des LGBTQ+ Stammtisches Aussagen wie „Meine Lehrerin mobbt mich seit ich mein Coming- Out hatte“ oder „Ich habe in der Disko meine Freundin geküsst und als Reaktion darauf wurden wir von Männern umzingelt und begrapscht“ getroffen. Dies sind keine Einzelfälle. Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erfolgen vier Prozent der Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Identität. So haben Mitglieder der LGBTQ+- Community, die Diskriminierung erfahren haben, diese hauptsächlich in der Öffentlichkeit oder Freizeit, im privaten Bereich oder im Bildungsbereich erlebt. 

Akzeptanz

Es wurden aber auch positive Erlebnisse bei der Umfrage des LGBTQ+ Stammtisches verzeichnet. Jedoch sollten diese eine Selbstverständlichkeit darstellen. Sie sind „Basic-Erfahrungen, die für heterosexuelle Menschen normal sind.“ Damit sind zum Beispiel Aussagen wie „Meine Oma wollte meinen Freund kennenlernen“ oder „Ich bin nicht von zuhause rausgeflogen“ gemeint. Das spiegelt auch das Bild in Deutschland wider. So würden 49% der Familienmitglieder sehr unterstützend auf ein Coming- Out reagieren. Um mehr Akzeptanz in der Gesellschaft zu erlangen, „müsste vor allem die Schule und die Bildung ansetzen.“, laut Elena. Als Verein sei es relativ schwierig, dort hinzukommen. 

Unterstützung für den LGBTQ+ Stammtisch e.V.

Helfende Hände sind beim Stammtisch immer herzlich Willkommen. Kleinen Taten, wie zwei Stunden ehrenamtlich im Monat da zu sein oder zwei Euro im Monat zu spenden, können schon eine große Hilfe sein. Auf einer kleinen Stellenbörse auf der Website suchen die verschiedenen Teams nach jeder Unterstützung. Ganz wichtig ist natürlich auch zu den  Events zu erscheinen, damit die ganze Arbeit nicht umsonst war. „Also: Erstens: Kommen, zweitens: Spenden, drittens: Mitarbeiten!“