Es gibt Filme, die werden immer wieder geschaut, über Jahrzehnte hinweg. Drei Haselnüsse für Aschenbrödel ist einer von ihnen: Jahr um Jahr aufs Neue hat die Märchenverfilmung in den Wintermonaten ihren großen Auftritt. Zwischen dem ersten Advent und dem Dreikönigstag wird der Märchenfilm aus den 1970er-Jahren viele Male ausgestrahlt und ist in Mediatheken sowie auf Streaming-Diensten erhältlich. Umfragen von YouGov zeigen: 68 % der Menschen in Deutschland haben den Film mindestens einmal gesehen, hinter Kevin – Allein zu Haus ist er der zweitbeliebteste Weihnachtsfilm. Die Umfrage zeigt auch: Unter Frauen ist der Film deutlich beliebter als unter Männern. In vielen Familien wird Aschenbrödel jährlich von klein auf geschaut – und prägt die Zuschauenden. Aber welche Werte und Vorstellungen vermittelt der Film? Unsere Autorinnen liefern sich einen fiktiven Schlagabtausch.
Die Argumente: Für und Gegen
Zierlich, schön, von der Stiefmutter unterdrückt: Das „Aschenbrödel“, das im Film nicht einmal einen richtigen Namen bekommt, verbringt seine Zeit mit Fegen, Wäschewaschen und Schleppen halten. Dass das kein Zustand ist und das Mädchen sich nach den Tagen, in denen der Vater noch lebte, und der vergangenen Freiheit zurücksehnt, wird schnell deutlich. Wer auf einen feministischen Befreiungsschlag hofft, ahnt nach der ersten Begegnung Aschenbrödels und des Prinzen bereits, welche Richtung der Film tatsächlich einschlägt. Genauso wenig wie die anderen Frauen, die im Film vorkommen, kann sich Aschenbrödel dem Bann des Prinzen entziehen. Und das, obwohl dieser vor allem durch Naivität, kindisches Verhalten und Überheblichkeit auffällt. Ausgerechnet er soll nun die Rolle des Helden übernehmen – denn offenbar reicht es im Märchenuniversum, ein Prinz zu sein, um zur Erlösungsfigur zu werden. Weibliche Selbstbefreiung? Von wegen. Ein Märchenheld muss her.
Kein feministischer Befreiungsschlag? Aschenbrödel ist alles andere als willensschwach und verkörpert Rebellion gegen jede Form von Unterordnung. Sie steht konsequent für sich und andere ein, beispielsweise, als sie dem Kochlehrling zur Hilfe eilt. Statt den Prinzen auf dem Gutshof zu empfangen, reitet sie lieber aus. Gegenüber ihrer Stiefmutter und Stiefschwester Dora antwortet sie stehts frech und trotzig. Sogar dem Prinzen kontert sie schlagfertig und nennt ihn und seine Freunde unverblühmt „Dummköpfe“. Weder sein Geschlecht noch sein Titel schreckt sie ab. Eine Kühnheit, die sich keine unterwürfige Frau erlauben würde. Auch wenn „Aschenbrödel“ kein bürgerlicher Name ist, der Prinz wird allein durch seinen Titel definiert und bleibt namenlos. Aschenbrödel ist eine junge Frau, die besser jagen kann als alle Männer und genau weiß, was sie will. Selbst auf dem Ball wahrt sie ihre Eigenständigkeit und geht nicht direkt auf den Antrag des Prinzen ein, sondern stellt ihm ein Rätsel. Sie verlangt, dass er sie als Person erkennt und nicht nur als Objekt seiner Begierde. Ist also eine mögliche Heirat mit dem Prinzen blindes Hineinstürzen? Wohl eher ein geschickter Schachzug, um sich endgültig von den Fesseln der Stiefmutter zu lösen.
Okay – selbst wenn das Aschenbrödel im Film eine rebellische, nach Freiheit strebende Frau ist und sich nicht unterkriegen lässt, dann ist sie damit alleine. Alle anderen Frauen, die vorkommen, werden nicht halb so gut dargestellt wie sie. Und von einer Verbündeten für Aschenbrödel oder sonstigem weiblichen Zusammenhalt ist keine Spur – bis auf Stiefmutter und -schwester natürlich, die aber lediglich zusammen versuchen, den Prinzen zu ergattern. Ein Bündnis, bei dem es ausschließlich darum geht, den Prinzen zu verführen und das Aschenbrödel kleinzuhalten: nicht gerade feministisch. Beim großen Ball im Schloss der Königsfamilie kommen zwar viele Frauen vor, kommen aber nicht gerade gut weg. Sie sind alle nur wegen des Prinzen da und versuchen, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie konkurrieren untereinander und gegen Aschenbrödel, wodurch sie den Zuschauenden unsympathisch erscheinen, schließlich sind diese auf Aschenbrödels Seite. Aus diesem Grund werden die Frauen auf dem Ball auch als uninteressant und oberflächlich dargestellt. Der Prinz interessiert sich für keine von ihnen und nennt sie „Schnepfen“ und „unbekannte Miezen“. Frauen wird beigebracht, dass sie gegen andere Frauen konkurrieren müssen, statt sich mit ihnen zu verbünden. Das hält sie klein. Der Film unterstützt genau diese Ansicht.
Zugegeben, andere Frauen werden nicht wirklich eigenständig dargestellt. Gerade der Kontrast zu Aschenbrödel und der Konkurrenzkampf untereinander zeigt aber, was in einer Welt mit patriarchalen Strukturen kritisiert werden muss. Selbst der Prinz, so unreif er doch ist, macht deutlich, dass er keine Frau heiraten möchte, die sich ihm einfach unterordnet. Als er mit Dora tanzt, die ihn anhimmelt, lässt er sie kurzerhand mitten im Tanz stehen. Außerdem gibt es mit der Königin eine weitere selbstbewusste Frauenfigur. Sie widerspricht dem König regelmäßig, weist ihn zurecht und macht deutlich, dass sie eigentlich die Klügere von beiden ist. Selbstbestimmung ist also nicht die Norm, sondern muss aktiv erkämpft und verteidigt werden. Erst durch die Gegenüberstellung verschiedener Frauenbilder wird dies deutlich. Verstärkt wird dieser Aspekt auch durch das Verhalten des Prinzen. Während Aschenbrödel selbstständig, klug und souverän handelt, bleibt er oft kindisch und unreif. Durch Aufzeigen dieser Kontraste wird kritisiert, dass von Frauen früh Reife erwartet wird, Männer aber länger ein Kind bleiben dürfen.
Wenn man den Film auf einer abstrakten Ebene analysiert, lässt sich da vielleicht eine gewisse Kritik an patriarchalen Strukturen finden. Aber mal ehrlich: Drei Haselnüsse für Aschenbrödel ist ein Familien-Wohlfühl-Weihnachtsfilm, der bei Plätzchen und Tee auf dem Sofa geschaut wird. Wer packt da das Notizbuch aus oder denkt über tiefergehende Strukturen und mögliche Deutungsebenen nach? Was hängen bleibt, ist das Offensichtliche: Eine große, dominante Frau (die auch noch spöttisch „Kleinröschen“ genannt wird) wird als „zu viel“ dargestellt, Aschenbrödel hingegen hat einen Tanzschuh, der so klein ist, dass er kaum einer Puppe passen würde. Ein Frauenbild, das klein und zierlich als begehrenswert, groß und stark als abstoßend darstellt – antifeministische Haltung, die erste. Der Prinz verliebt sich erst in Aschenbrödel, als sie in einem wunderschönen Kleid auf dem Ball erscheint. Frauen haben schön auszusehen, um liebenswert zu sein – antifeministische Haltung, die zweite. Die Hochzeit wird als das große Finale im Film dargestellt: Aschenbrödel freut sich riesig über das Ballkleid, der Kutscher träumt von ihrer Hochzeit, der Vater hat vor seinem Tod offensichtlich selbst schon Pläne für die Hochzeit seiner Tochter. Hochzeit und Ehe als wichtigstes Lebensziel einer Frau – antifeministische Haltung, die dritte. Das sind einige der Eindrücke, die der Film tatsächlich vermittelt und die bei den Zuschauer:innen hängen bleiben werden. Eindrücke, die mit einer feministischen Grundhaltung nicht zu vereinbaren sind.
Gut, sehen wir uns nicht nur die Details im Film, sondern den größeren Kontext an. Der Film basiert auf dem französischen Märchen Cendrillon ou la Petite Pantoufle de verre von 1679, das dann später von den Gebrüdern Grimm und Bechstein mit Aschenputtel und Aschenbrödel aufgegriffen wurde. In genau dieser Epoche spielt auch der Film. Gleichberechtigung war kaum vorhanden, weshalb es unrealistisch ist, von den Figuren ein Handeln nach heutigen Grundsätzen zu erwarten. Eine authentische Erzählung setzt voraus, dass das damalige Denken, Handeln und gesellschaftliche Rollenbilder berücksichtigt werden. Zusätzlich ist der Entstehungszeitraum des Films entscheidend. 1973 war die Filmwelt sehr von patriachalen Strukturen geprägt. Einen feministischen Film im heutigen Verständnis kann man aus dieser Zeit nicht erwarten. Vergleicht man Drei Haselnüsse für Aschenbrödel jedoch mit zeitgenössischen Produktionen, beispielsweise James Bond, wirkt er fast wie ein feministischer Aufschrei. Aschenbrödel ist keine passive Märchenfigur, sondern trifft eigene Entscheidungen und widersetzt sich klaren Erwartungen. Eine kleine Rebellion hier, ein Widerwort da – heute selbstverständlich, damals kaum denkbar. Auch hinter den Kulissen werden weitere Werte wie Toleranz deutlich: durch die deutsch-tschechische Koproduktion konnten alle Frauen und Männer in ihrer jeweiligen Muttersprache sprechen und wurden erst später nachsynchronisiert. Das zeigt einen respektvollen Umgang mit allen Beteiligten und war für die damalige Zeit nicht selbstverständlich. Drei Haselnüsse für Aschenbrödel zeigt, dass Stärke oft in kleinen, mutigen Momenten liegt. Ist es nicht das, was in Erinnerung bleibt?
Zwischen Freiheit und Erwartung
Letztendlich ist es schwierig, Drei Haselnüsse für Aschenbrödel in eine feministische Schublade zu stecken, bleibt doch Schönheit, Ehe und Prinz das Ziel. Trotzdem ist Aschenbrödel keine stille Leidensfigur, sondern eine selbstbewusste junge Frau, die sich Freiräume nimmt und sich nicht einschüchtern lässt. Sie durchbricht viele Erwartungen – aber eben nicht alle. Für ein heutiges Publikum mag das unzureichend sein, für die damalige Zeit war es bemerkenswert. Aschenbrödels Willensstärke wird deutlich, ist jedoch in ein System eingebettet, das Konkurrenz unter Frauen, männliche Überlegenheit und traditionelle Lebensziele weiterhin mittransportiert. Diese Ambivalenz des Films zeigt, wie komplex und widersprüchlich gesellschaftlicher Wandel ist. Vielleicht lohnt es sich also, den Film das nächste Mal mit etwas anderen Augen zu schauen. Man muss kein Notizbuch zücken, es reicht, hinzusehen und Aschenbrödels Mut, aber auch die Grenzen, die ihr gesetzt werden, zu erkennen. Drei Haselnüsse für Aschenbrödel kann gleichzeitig vertraut, widersprüchlich und erstaunlich stark sein. Genau das macht den Film bis heute diskussionswürdig.


