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Es war einmal … – Gute Nacht Geschichten oder Grusel Geschichten?

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Renate Thom Social Media Managerin

Es war einmal …

so beginnt doch jedes Märchen. Und endet immer mit einem Happy End. Also sind sie perfekt als Gute Nacht Geschichte geeignet, werden gerne immer wieder neu verfilmt und Kinder lieben sie. Aber, dass diese Geschichten eigentlich einmal einen schaurigen Ursprung hatten wissen die wenigsten.

Die bekanntesten Volksmärchen in Deutschland sind die gesammelten Werke von den Gebrüdern Grimm, deren Sammlung 200 Märchen umfasst. Teilweise wurden die Märchen immer wieder abgewandelt um der Zeit in der sie veröffentlicht wurden angepasst zu werden. Einige wurden nur etwas umgeschrieben, während andere komplett verändert wurden. 

Es gibt aber auch Kunstmärchen. Deren Ursprung liegt aber nicht in der Weitergabe von Generation zu Generation sondern werden von einem Autor erfunden. Hans Christian Andersen ist einer dieser Vertreter, die meisten kennen die Werke „Die kleine Meerjungfrau“, „Die Prinzessin auf der Erbse“ oder „Die Eiskönigin“, diese entstammen seiner Feder. 

Was kaum einer weiß ist, dass Märchen in erster Linie für Erwachsene geschrieben wurden und daher nicht für Kinderohren geeignet waren. Deswegen heißt die Sammlung der Gebrüder Grimm auch Kinder – und Hausmärchen. Die Idee der beiden Brüder war einen Sammelband für Erwachsene zu schreiben und zu veröffentlichen.

Charles Perrault verfasste „Histoires ou Contes du temps passé“, das französische Pendant zu den Kinder- und Hausmärchen (KHM) der Gebrüder Grimm. Viele Märchen haben meist den gleichen Kern aber sind von Land zu Land etwas unterschiedlich. Am ehesten sieht man dies an den Märchen Aschenputtel, Aschenbrödel und Cinderella. Die Storyline ist in jeder Erzählung die gleiche, aber die Details sind abgeändert. Die Gebrüder Grimm sind im 19. Jahrhundert durch Deutschland gereist und haben sich Märchen erzählen lassen, um diese dann festzuhalten und zu veröffentlichen. Das ist auch der Grund wieso es ein Märchen auf Plattdeutsch (KHM 47) gibt. 

Warum sind Märchen nichts für Kinder gewesen? Das lässt sich am besten am Beispiel von Rotkäppchen erklären. In der ersten veröffentlichten französischen Fassung: 

Er brachte die Großmutter um, füllte ihr Blut in eine Flasche, schnitt ihr Fleisch in Scheiben und legte es auf einen Teller. Dann zog er ihr Nachtgewand an und wartete im Bett. […] „Guten Tag, Großmutter. Ich bringe dir Brot und Milch.“ „Iss selbst etwas, liebes Kind. Da ist Fleisch und Wein in der Speißekammer.“ Und da aß das kleine Mädchen, was es geboten bekam; und während es das tat, sagte eine kleine Katze: „So ein Luder! Der eigenen Großmutter Fleisch zu essen und Blut zu trinken!“ 

Hier ist der Kannibalismus sehr detailliert geschildert. In den heutigen Fassungen ist von dieser Grausamkeit keine Spur mehr vorhanden. Wir kennen das Märchen und wissen, dass es ein gutes Ende hat. Der Magen des Wolfes wird zwar mit Steinen beladen und er ertrinkt, aber weder die Großmutter noch Rotkäppchen sterben. 

Das bereits kurz erwähnte Märchen Von dem Machandelboom in Plattdeutsch hat Wurzeln in Jägervölkern, daher ist dies auch brutaler als manch anderes Märchen. Es ist auch das einzige Märchen der Brüder Grimm in dem die Stiefmutter ihren Stiefsohn umbringt. 

„Mutter,“ sagte der kleine Junge, „was siehst du so grässlich aus! Ja, gib mir einen Apfel!“ – „Da war ihr, als sollte sie ihm zureden. „Komm mit mir,“ sagte sie und machte den Deckel auf, „hol dir einen Apfel heraus!“ Und als der kleine Junge sich hineinbückte, da riet ihr der Böse; bratsch! Schlug sie den Deckel zu, dass der Kopf flog und unter die roten Äpfel fiel.

Sie bezichtigt sogar ihre eigene Tochter den Jungen umgebracht zu haben. Und um den Tod des Kindes zu verschleiern kocht sie ihn zu Schwarzsauer, einer Art Blutwurst, ein. Hier wird der Vater ohne es zu ahnen zu einem Kannibalen, da er den ganzen Topf in einem Zug isst und seine Frau lobt. Man sagt ihm, dass sein Sohn bei Verwandten sei und daher nicht da ist. Ein Happy End gibt es aber auch hier, zumindest für 3/4  der Familie. Der Sohn, der als reinkarnierter Vogel seine Stiefmutter umgebracht hat wird durch ihren Tod wieder ein Mensch. 

Aber nicht nur Kannibalismus ist Teil der Märchen. Misshandlungen sind auch ein großes Thema. Am besten ersichtlich in Aschenputtel. Das Märchen überhaupt. Jeder kennt die Geschichte von Aschenputtel und von dem „.. und so lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage.“ 

Aber kennt auch jeder die Geschichte von ihren zwei bösen Stiefschwestern? In einigen Märchenbüchern ist die grausame Szene mit dem gläsernen Schuh enthalten. 

Die älteste ging mit dem Schuh in die Kammer und wollte ihn anprobieren, und die Mutter stand dabei. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht hineinkommen, und der Schuh war ihr zu klein, da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach »hau die Zehe ab: wann du Königin bist, so brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.« Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh, verbiß den Schmerz und ging heraus zum Königssohn. […] die andere Schwester solle den Schuh anziehen. Da ging diese in die Kammer und kam mit den Zehen glücklich in den Schuh, aber die Ferse war zu groß. Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach »hau ein Stück von der Ferse ab: wann du Königin bist, brauchst du nicht mehr zu Fuß zu gehen.«

Hieran sieht man sehr gut, dass die eigene Mutter ihren Töchtern sagt sie sollen sich selbst verletzten. Verbaler Misshandlung ist vor allem Aschenputtel ausgesetzt, von den Schwestern aber auch von ihrer Stiefmutter. Aschenputtel wird immer wieder dazu gezwungen die fehlende Magd zu ersetzte, man könnte sogar über Kinderarbeit diskutieren. Damit das Märchen aber für die Heldin einen guten Ausgang hat fliegen die beiden Schwestern auf und werden bei der Hochzeit bestraft. 

Als die Hochzeit mit dem Königssohn sollte gehalten werden, kamen die falschen Schwestern, wollten sich einschmeicheln und teil an seinem Glück nehmen. Als die Brautleute nun zur Kirche gingen, war die Älteste zur rechten, die Jüngste zur linken Seite: da pickten die Tauben einer jeden das eine Auge aus. Und waren sie also für ihre Bosheit und Falschheit mit Blindheit auf ihr Lebtag bestraft.

Bestrafungen bei Hochzeiten gibt es auch in einem anderen sehr bekannten Märchen: Schneewittchen. Hier gibt es wieder einige Anzeichen von Misshandlungen. Angefangen mit dem Mordversuch des Jägers der, zum Glück, nicht erfolgreich ist. Aber die böse Königin lässt nicht locker. Es gibt einen Versuch mit einem neuen Schnürriemen.

Schneewittchen hatte kein Arg, stellte sich vor sie, und ließ sich mit dem neuen Schnürriemen schnüren: aber die Alte schnürte geschwind und schnürte so fest, daß dem Sneewittchen der Atem verging, und es für tot hinfiel. »Nun bist du die Schönste gewesen,« sprach sie und eilte hinaus.

Den zweiten Versuch mit einem vergifteten Kamm.

Als sie des Kaufs einig waren, sprach die Alte »nun will ich dich einmal ordentlich kämmen.« Das arme Schneewittchen dachte an nichts, und ließ die Alte gewähren, aber kaum hatte sie den Kamm in die Haare gesteckt, als das Gift darin wirkte, und das Mädchen ohne Besinnung niederfiel. »Du Ausbund von Schönheit,« sprach das boshafte Weib, »jetzt ists um dich geschehen,« und ging fort.

Den legendären Versuch mit dem faulen Apfel.

»Fürchtest du dich vor Gift?« sprach die Alte, »siehst du, da schneide ich den Apfel in zwei Teile; den roten Backen iß du, den weißen will ich essen.« Der Apfel war aber so künstlich gemacht, daß der rote Backen allein vergiftet war. Schneewittchen lusterte den schönen Apfel an, und als es sah, daß die Bäuerin davon aß, so konnte es nicht länger widerstehen, streckte die Hand hinaus und nahm die giftige Hälfte. Kaum aber hatte es einen Bissen davon im Mund, so fiel es tot zur Erde nieder. Da betrachtete es die Königin mit grausigen Blicken und lachte überlaut und sprach »weiß wie Schnee, rot wie Blut, schwarz wie Ebenholz! Diesmal können dich die Zwerge nicht wieder erwecken.«

Wir wissen alle wie es endet: Schneewittchen wird von ihrem Prinzen gerettet und beide heiraten. Aber wissen wir alle auch was mit der bösen Königin bei der Hochzeit passiert? 

Die böse Königin wollte zuerst gar nicht auf die Hochzeit kommen: doch ließ es ihr keine Ruhe, sie mußte fort und die junge Königin sehen. Und wie sie hineintrat, erkannte sie Schneewittchen, und vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffeln über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen hereingetragen und vor sie hingestellt. Da mußte sie in die rotglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.

Mord und Totschlag in Märchen? Es sterben immer wieder Menschen, das kommt vor und oft beginnen diese Märchen auch mit dem Tod der leiblichen Mutter.

In der ersten Version von Schneewittchen stirbt die biologische Mutter nicht, es gibt keine böse Stiefmutter. Die „böse“ Stiefmutter gibt es erst ab der zweiten Version und wird von Wilhelm Grimm ins Leben gerufen. Der Stereotyp der bösen oder schlechten Stiefmutter hat mit dem Stereotyp der liebenden und fürsorglichen biologische Mutter des 19. Jahrhunderts zu tun. Man nahm an es gäbe nur die liebende leibliche Mutter, daher wurde die böse leibliche Mutter gestrichen. In der ersten Version stirbt die Mutter bei der Geburt, ab dem Moment in dem Schneewittchen auf der Welt ist existiert die böse Königin. Da Schönheit in den Märchen gleichgestellt wird mit Macht kann man sehr gut sehen, wieso die Königin die Prinzessin umbringen will. Je schöner Schneewittchen wird, desto mehr ist sie eine Bedrohung für die Königin die selbst und nur alleine regieren will. Da diese Sichtweise der bösen Mutter in der Zeit der Veröffentlichung nicht zu vereinbaren war musste dieser Charakter sterben und eine böse Stiefmutter wurde geboren. 

Aber nicht nur die Frauen und Kinder erfahren Gewalt und Verletzungen. Auch die vermeintlichen Prinzen auf den weißen Pferden kommen nicht selten mit einem blauen Auge davon. In Rapunzels Fall leider mit zwei Augen weniger. Der Prinz der gerade dabei ist Rapunzel zu besuchen wird von der bösen Stiefmutter überrascht. 

»Aha,« rief sie höhnisch, »du willst die Frau Liebste holen, aber der schöne Vogel sitzt nicht mehr im Nest und singt nicht mehr, die Katze hat ihn geholt und wird dir auch noch die Augen auskratzen. Für dich ist Rapunzel verloren, du wirst sie nie wieder erblicken.« Der Königssohn geriet außer sich vor Schmerzen, und in der Verzweiflung sprang er den Turm herab: das Leben brachte er davon, aber die Dornen, in die er fiel, zerstachen ihm die Augen. Da irrte er blind im Walde umher, aß nichts als Wurzeln und Beeren, und tat nichts als jammern und weinen über den Verlust seiner liebsten Frau.

Und am Ende wird er von Rapunzel gerettet, deren Tränen eine magische Wirkung haben. Hier hat sich Disney an die Märchenvorlage gehalten. Zumindest die Tatsache wie Flynn von Rapunzel in Rapunzel – Neu verföhnt geheilt wird ist gleichgeblieben. Wobei der Prinz im Märchen wieder sein Augenlicht erhält während er in der Disney Verfilmung wieder zum leben erweckt wird.

Das waren jetzt nur ein paar der Märchen die einen Horror Ursprung haben. Einige haben natürlich ihren Gruselfaktor beibehalten wie zum Beispiel Hänsel & Gretel, die meisten jedoch wurden umgeschrieben damit man sie als Gute-Nacht Geschichte vorlesen kann. 

 

Beitragsbild: Von Pixabay by Larisa-K