Türchen 7: Warum abgesagte Weihnachtsmärkte gar nicht so schlimm sind

Für kältescheue Personen sind die kühlen Temperaturen meist Grund genug, den Dezember wie auch die restlichen Wintermonate auszusetzen und es sich zuhause gemütlich zu machen. Wäre da nicht, wie jedes Jahr um diese Zeit, eine der vielen kitschigen und pseudoromantischen Weihnachtstraditionen, die es wegen seiner großen Beliebtheit sogar als ‚Chicagos’s Christkindlmarkt‘ in die USA geschafft hat: Der Weihnachtsmarkt.

Wie besinnlich die Weihnachtszeit doch ist, wenn man sich auch an einem Dienstag den Abend schöntrinken kann. Sogar die eisige Kälte ist über dampfenden Glühweintassen schlagartig vergessen.

Am Domplatz warten Polizisten statt Weihnachtsstände

Dieses Jahr verbieten Corona-Restriktionen die meisten Weihnachtsmärkte, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kündigte in seiner üblichen Strenge bereits im Oktober an, dass diese wohl eher nicht stattfinden werden. Auch in Passau wurde der jährliche Christkindlmarkt final abgesagt, der traditionell am Domplatz stattfindet. Dieser grüßt derzeit mit einem einsamen, geschmückten Weihnachtsbaum. Darum herum? Nichts. Statt den vielen Ständen sieht man heute allenfalls Polizisten, die kontrollieren, dass keine Gruppen wider der aktuell erlaubten Personenzahl herumlaufen. Die einzige, traurige Alternative: Ein Online-Weihnachtsmarkt, so angeboten etwa in München oder Dortmund.

Doch haben wir dieses Jahr wirklich so viel verloren an dieser Tradition? Weihnachtsmärkte bestehen zu einem großen Teil einfach nur daraus, sich durch dicht gedrängte Menschenmengen zu quetschen. Im besten Fall schubsen einen diese noch erbost zurück, verschüttet man aus Versehen und trotz größter Vorsicht einen kleinen Tropfen ihres Glühweins.

Und doch klingt die Idee, mit seinen Freunden auf einen Weihnachtsmarkt zu gehen, jedes Mal wieder so romantisch wie verlockend:

Man kramt aus seinem Schrank die dickste Winterjacke sowie Schal und Mütze hervor, um sich gegen die Kälte zu wappnen, klappert freudig alle Stände ab, findet dabei tolle Geschenkideen für Freunde und Familie und staunt über weihnachtliches Kunsthandwerk. Dabei natürlich am wichtigsten: Der heiße Glühwein, der die Hände wärmt und doch so viel besser schmeckt, als der gekaufte Punsch aus dem Supermarkt. Zwischendrin locken zuckrige Baumstriezel, knackige Bratwurstsemmeln und kandierte Äpfeln dazu, den Heißhunger zu stillen – und dieser Duft aber auch!

Beim Drängeln und Quetschen hofft man, dass der Geldbeutel nicht geklaut wird

In Wirklichkeit sieht die Sache meist anders aus: Wider der romantischen Vorstellung aus Filmen, in denen alles von einer glitzernden Schneedecke überzogen ist, drängt man sich in Passau auf dem matschigen Domplatz durch die Massen und hofft zudem, dass der Geldbeutel nicht geklaut wird. Am abgemachten Treffpunkt stehen abends um sieben Uhr nur die Hälfte der Freunde, da der Rest diesen entweder nicht findet oder sich verspätet.

Nach zehn Minuten Warten beschließt man, schon mal ohne den fehlenden Teil der Gruppe loszugehen, natürlich mit der festen Absicht, später per WhatsApp einen Standort von seinem Stehtisch zu schicken. Dann quetscht man sich durch die enge Menschenansammlung, sieht immer wieder über die Schulter, ob die eine Freundin immer noch hinter einem läuft und schreit währenddessen seinen Vordermann an, er solle lieber ein Stück weiter rechts laufen, da sei ja etwas weniger Geschubse und Gedränge.

Die Hälfte der Freundesgruppe geht nach der zweiten Tasse verloren

Nachdem man einen Glühweinstand gefunden hat, bei dem die Schlange immerhin weniger als zehn Meter beträgt, fängt die erste Steherei an. Aber schlimm ist das noch nicht, die Vorfreude auf den heiß ersehnten Punsch ist schließlich zu groß. Endlich vorne angekommen drückt man der Bedienung bereitwillig sein Geld in die Hand und erhält im Gegenzug eine überteuerte, klebrige Tasse Glühwein, die nach zwei Schlucken bereits lauwarm ist. Doch das gehört schließlich auch dazu, denkt man sich, und es schmecke schließlich so authentisch. Allerdings folgt als Nächstes die Suche nach einem freien Tisch, die in der Regel so erfolgreich verläuft wie der Versuch, eine freie Bierbank auf der Wiesn zu ergattern: Miserabel.

Also steht man mit seinen Freunden unschlüssig in der Gegend und überlegt, zu welchem Stehtisch man sich noch hinzu quetschen könnte, obwohl man viel lieber einen für sich alleine hätte. Die Qual der Wahl: Zu den zwei älteren Damen mit grimmigen Gesichtsausdruck stellen oder doch lieber zu den jungen Eltern mit schreiendem Kind? Die Wahl fällt auf die Damen, da fällt einem siedend heiß ein, dass man den immer noch fehlenden Freunden ja einen Standort schicken wollte. Die wiederum haben bereits zweimal versucht anzurufen, allerdings hat keiner auf sein Handy gesehen. Schnell ruft man seine Freunde an und versucht halb schreiend, ihnen über den Lärm hinweg den Stand zu beschreiben, an dem man steht, doch die Kommunikation fällt eher schwer.

Der Glühwein ist kalt, die Laune gedrückt

Mittlerweile steht man bereits seit vierzig Minuten auf dem Weihnachtsmarkt, es sind immer noch nicht alle da, in der Tasse ist ein kleiner, kalter Schluck Punsch übrig und eigentlich ist man schon bereit für die nächste Tasse. Doch in dem Moment kommt der restliche Teil der Freundesgruppe an und die Stimmung steigt wieder: Es wird sich lachend umarmt und begrüßt, dann stellen auch sie sich „nur eben kurz“ in der Schlange an. Inzwischen haben sich auch erfreulicherweise die zwei grimmigen Damen verzogen, die lauten Studenten:innen waren wohl nicht ihre bevorzugte Gesellschaft.

Doch nun kommt auch der erste Hunger – man steht hier schließlich schon seit einer ganzen Weile – und zu Abend gegessen hat man vorsorglich natürlich auch nicht. Das Problem: Die eine hat Lust auf Crêpes, die andere verschwindet zum Bratwurststand, nur eine von beiden taucht jedoch wieder auf. Die andere habe zufällig Leute getroffen, die sie von der Uni kennt und ist an deren Tisch hängen geblieben, komme aber in einer halben Stunde garantiert wieder dazu. Jeder weiß, dass sie definitiv nicht wieder in einer halben Stunde dazu kommt, geschweige denn den restlichen Abend.

Nach dem Motto verlaufen auch die weiteren Stunden. Durch das lange Rumstehen sind auch Hände und Füße gänzlich abgefroren, die Nase spürt man schon seit der zweiten Runde Glühwein nicht mehr. Zwei Leute wollen nach schon längst nach Hause, wiederum zwei sind noch motiviert und wollen in der eigenen Wohnung weiter trinken, Freund Nummer sechs ist noch immer verschwunden und die eigene Laune ist auf dem Nullpunkt.

Punsch trinkt sich billiger von der Couch

Dabei gäbe es doch eine Alternative, die vor allem dieses Jahr vielversprechend ist, für die Weihnachtsmuffel zudem schon seit Jahren plädieren:
Einfach zuhause bleiben. Logisch, nichts anderes ist im Sinne der Corona-Regeln momentan möglich, aber auch das eigene Heim lässt sich funktional in einen Weihnachtsmarkt umwandeln. Je nach WG-Größe vielleicht eher in einen einzelnen Weihnachtsstand. Aber die Größe zählt ja bekanntlich nicht. Ist es nicht viel gemütlicher, zuhause auf seinem eigenen Sofa Glühwein zu trinken? Ganz ohne stundenlanges Anstehen für eine überteuerte Tasse Punsch, dessen Inhalt in der Masse ohnehin zur Hälfte verloren geht?

Auch ein Crêpe-Eisen lässt sich schnell auftreiben, Lebkuchen und Spekulatius sind leicht im Supermarkt gekauft und die billigen Duftkerzen aus dem Drogeriemarkt bieten sich wunderbar als Weihnachtsdeko an. Sogar die grüne, zugegebenermaßen etwas hässliche Palmen-Lichterkette, die seit dem ersten Semester im WG-Badezimmer hängt, kann genutzt werden und stellen dann eben etwas südlich angehauchte Tannenbäume dar. Weihnachten kann so einfach sein.

Auch Plastik-Palmen versprühen den Weihnachtszauber

Und doch, es fehlt etwas. So sehr der ganze Wahnsinn um Weihnachten auch nervt, einen gewissen Charme muss das Fest an sich haben, das jährlich immerhin Millionen von Menschen dazu bewegt, einen frisch geschlagenen Nadelbaum in das Wohnzimmer neben die eingetrocknete Zimmerpflanze zu stellen. Im Falle Passaus dürfen sich an dieser Stelle übrigens auch diejenigen Student:innen angesprochen fühlen, die regelmäßig zu später Stunde – und meist nicht ganz nüchtern – die in der Stadt aufgestellten Bäume klauen.

Auch wenn der Schein trügt, macht es Spaß, sich jedes Jahr erneut mit seinen Freunden auf dem Weihnachtsmarkt zu tummeln, und sei es bloß wegen der Baumstriezel. Zumindest die lassen sich nicht wirklich zuhause nachmachen. Vielleicht aber gibt es auch doch so etwas wie den Weihnachtszauber, der mit jedem dazukommenden Lebensjahr gefühlt etwas weniger wird, uns aber schon als Kinder fasziniert hat. Für manche mag er in Weihnachtsmärkten liegen, für andere im Glühwein, wieder andere sehen ihn in billigen Palmen-Lichterketten aus Plastik. In allen Fällen möchte ich Dean Martin und seine samtene Stimme die letzten Worte sprechen lassen:

Well maybe just a half a drink more 

In diesem Sinne, frohe Weihnacht.