Adventsspecial – Keine Weihnachtsgeschichte: die Bahnhofsmission Passau

Avatar-Foto
Anna Koschnick Chefredakteurin und Ressortleiterin Gesellschaft & Politik

Draußen ist alles in Weiß eingedeckt und es sieht aus als wären die Dächer mit Puderzucker bestreut. Drinnen hat man sich vor dem warmen Kamin zusammengekuschelt und bewundert den gemeinsam geschmückten Christbaum, während im Hintergrund leise „Last Christmas“ läuft. Aber auch das kann Weihnachten sein: Man sieht zu, wie andere mit vollen Einkaufstaschen durch die Stadt schlendern, während man selbst jeden Cent umdrehen muss. Es gibt keine Geschenke, keinen Christbaum, keine Wärme, sondern nur das Wissen, dass man das vielleicht niemals (wieder) haben wird.

Die Bahnhofsmission Passau

Eine Organisation, die vor allem für von Armut betroffenen Personen eine Anlaufstelle bietet, ist die Bahnhofsmission der Caritas in Passau.

Von außen sind die Räumlichkeiten der Bahnhofsmission sehr unscheinbar und kaum aufzufinden. Sie befinden sich direkt neben dem Blumengeschäft „Blumenwelt Breedijk“ am Bahnhof. Wenn man aus der Richtung der Gleise ankommt, deutet zumindest ein kleines Schild auf die Organisation hin. Von innen ist es dort sehr klein. Abgesehen davon, dass gerade eine Tür neu eingebaut wird, wirkt der Vorraum fast ein bisschen wie ein Wirtshaus Stüberl. Auch wenn die Leute hier ständig kommen und gehen, erscheint die Atmosphäre sehr herzlich und gastfreundlich. Auf einem Schränkchen in der Ecke liegt eine kleine Ansammlung von zusammengelegten Klamotten. Davon dürfen die Besuchende sich gerne welche aussuchen. An den Wänden hängen selbstgemalte Bilder, die dem Ganzen etwas Farbe verleihen. Eine Zwischentür, die die meiste Zeit offensteht, trennt die Räumlichkeiten. Dahinter befinden sich die Küche und das „Büro“.

Die Bahnhofsmission aus Sicht des Gleisbereichs

Angelika Leitl-Weber: Leitung der Bahnhofsmission

Hinterm Schreibtisch sitzt Angelika Leitl-Weber, die Leiterin der Bahnhofsmission Passau. An ihrer selbstbewussten Ausstrahlung erkennt man sofort, dass sie hier das Sagen hat. Seit mittlerweile 18 Jahren ist sie in der Bahnhofsmission Passau tätig. Zuerst hatte sie ehrenamtlich dort gearbeitet und übernahm dann später die Leitungsposition. Dabei hatte sie etwas komplett anderes studiert, nämlich Architektur.

Angelika Leitl-Weber: Leitung der Bahnhofsmission Passau

Aufgaben der Bahnhofsmission

In der Bahnhofsmission bekommen Bedürftige auf verschiedenste Weise Hilfe angeboten. Es wird Essen und Trinken ausgegeben, beim Ausfüllen und Abschicken wichtiger Unterlagen geholfen, Klamotten und andere existentielle Dinge besorgt und ein Aufenthaltsraum zum Verweilen geboten. Viele der Besuchenden brauchen Hilfe, weil sie kein Geld mehr haben. „Ich schaue dann, dass ich wieder Ordnung in das ganze System bringen kann.“, erklärt Angelika. Doch die Bahnhofsmission hat noch viele weitere Aufgaben. Sie ist beispielsweise auch für Reisehilfen am Bahnsteig zuständig: „wir helfen mobilitätseingeschränkten Personen beim Ein-, Aus- und Umsteigen“. Angelika wird während des Gesprächs immer wieder von Besuchenden für deren Angelegenheiten gebraucht. „Der soll jetzt mal kurz warten“, entgegnet sie. Das zeigt, wie umfangreich ihr Arbeitspensum ist.

Um Bedürftige zu unterstützen, sei die Bahnhofsmission auf Spenden angewiesen. Gerade zur Weihnachtszeit sei die Spendenbereitschaft der Menschen viel höher als sonst. „Da denke ich mir oft, dass es angebracht wäre, auch unter dem Jahr an Bedürftige zu denken.“, merkt Angelika an. Neben Spenden braucht es aber auch Menschen, die anpacken und sich im Ehrenamt engagieren. Ohne Ehrenamtliche könne Angelika die Arbeit nicht stemmen, auch die Öffnungszeiten wären nicht möglich.

„Die Bahnhofsmission ist ein Seismograf der Gesellschaft“

Auch wenn in der Bahnhofsmission oft eine lockere und freundliche Stimmung herrscht, bemerkt Angelika in den letzten Jahren einen Anstieg an Aggressivität. Erst vor wenigen Stunden musste sie die Polizei rufen, weil ein alkoholisierter Besucher am Eingang randalierte. Auch Drogenabhängigkeit sei ein großes Thema in der Bahnhofsmission. „Was in der Gesellschaft los ist, ist bei uns los. Das sehen wir als aller erstes. Die Bahnhofsmission ist ein Seismograf der Gesellschaft“, erklärt sie.

Weihnachten fernab der Romantik

Gerade zur Weihnachtszeit stellt sie fest, dass sich die Stimmung immer mehr anspannt. Gefühle wie Frustration, Wut aber auch Einsamkeit prägen diese Zeit für viele Besuchende der Bahnhofsmission. Romantische Weihnachten gibt es hier nicht. Gemeinsam mit der Familie über den Christkindlmarkt schlendern, Geschenke kaufen und ein üppiges Weihnachtsmenü – all das ist für viele der Menschen nicht möglich und kann schnell zu Wut und Aggression führen. An Heiligabend hat die Bahnhofsmission bis 12:30 Uhr geöffnet. Angelika erzählt, dass am Heiligmorgen meist noch Weihnachtsmusik laufe, die aber spätestens ab Mittag ausgeschaltet werden müsse, weil das einfach nicht zur Stimmung passe. Dennoch erlebt sie an dem Tag auch Dankbarkeit. Viele der Besuchenden seien froh, dass sie in dieser schweren Zeit den Vormittag hier verbringen dürfen.

Obdachlosigkeit und Armut in Deutschland

Eine der Stammgäste der Bahnhofsmission ist Lisa (Name von Redaktion geändert). Sie lebt seit einem dreiviertel Jahr auf der Straße und kommt in die Bahnhofsmission, um sich aufzuwärmen und etwas zu essen. Das Leben auf der Straße sei „eiskalt“, schildert sie. Im Jahr 2022 waren laut der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe 607.000 Menschen wohnungslos. Davon lebten ungefähr 50.000 Menschen ganz ohne Unterkunft auf der Straße. „Inflation, gestiegene Kosten und steigende Mieten belasten einkommensschwache Haushalte in Deutschland. Dies führt zu (Energie-)Armut, Mietschulden und Wohnungsverlust.“, so Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Bevor Lisa in die Drogenabhängigkeit rutschte, hatte sie als Töpferin gearbeitet. An ihren leuchtenden Augen kann man erkennen, dass die Töpferei ihre Leidenschaft war. Jetzt sei ihr einziger Wunsch, dass sie nicht früher als ihre Mutter sterbe und sie sie an Weihnachten sehen könne.

Für die 71-jährige Margit ist Altersarmut Grund für ihre Besuche in der Bahnhofsmission. Die frühere Altenpflegerin kann sich von ihrer Rente kaum Essen und Trinken leisten, weshalb sie dankbar für die Unterstützung ist: „Das, was hier geleistet wird, ist unglaublich – eine schöne Geste!“. Das Statistische Bundesamt stellte für das Jahr 2022 fest, dass ungefähr 15 Prozent der Bevölkerung in Deutschland armutsgefährdet war. Bei den über 65-Jährigen traf dies auf etwa jede sechste Person zu. Frauen über 65 Jahren waren im Schnitt stärker gefährdet als Männer.

Von Armut betroffen ist auch Alex (Name von Redaktion geändert). Er wohnt derzeit bei seiner Mutter und ist arbeitslos. Seiner Tochter würde er zu Weihnachten gerne etwas schenken, aber das ist für ihn kaum möglich: „Wenn das Geld fehlt, vergisst man die weihnachtlichen Dinge.“

„Hier lernt man Leute kennen, die wirklich ein Herz haben.“

Ihm gegenüber sitzt Steffi, die sich an ihrem morgendlichen Kaffee aufwärmt. Auch sie ist wie viele der Besuchenden drogenabhängig. Die gelernte Kinderpflegerin arbeitet derzeit in der Caritas Werkstatt Passau und lebt in einer Wohnung. Sie schätzt die Bahnhofsmission und ist dankbar für die Spenden und das Miteinander: „Hier lernt man Leute kennen, die wirklich ein Herz haben.“ Voller Rührung blickt sie auf die Weihnachtszeit und wünscht sich nichts außer Gesundheit für ihre liebsten Menschen.

Steffi bei ihrem Besuch in der Bahnhofsmission

In der Bahnhofsmission glaubt man nicht mehr an Weihnachtswunder. Romantische Weihnachtsstimmung gibt es nicht. Hier ist man froh, wenn die Feiertage wieder vorbei sind. Und doch spürt man ganz genau: die Bahnhofsmission ist ein Ort, wo Nächstenliebe und Dankbarkeit gelebt werden – nicht nur an Weihnachten, sondern das ganze Jahr über.