„Sprechen wir von Bienen oder Möwen, denken wir meistens an die weiblichen Tiere“ – so lautete der Einstieg in Ulrike Lemkes Vortrag „GENDERN? JA, UNBEDINGT! Die Perspektive einer Verfassungsrechtlerin“ am 04. Juni an der Universität Passau. Offenbar tragen wir Bilder im Kopf, wenn wir sprechen – auch wenn es für unser Gegenüber nicht immer die gleichen sind. Wie wir alle Menschen ansprechen können und inwiefern der Staat genau dazu auch verpflichtet ist, hat die Landesverfassungsrechtlerin des Landes Berlin und Expertin für rechtliche Geschlechterstudien in ihrem Vortrag eingeordnet.
Es hat sich etabliert, über gemischte Gruppen in einer männlichen Form, dem generischen Maskulinum, zu sprechen. Liegt das daran, dass man das schon immer so gemacht hat und die Beteiligung von Frauen in traditionellen Männerdomänen der Gesellschaft – verglichen mit unserer Sprache – eine relativ neue Erscheinung ist? Welche Gründe für gendergerechte Sprache sprechen und wie gängige Gegenargumente einzuordnen sind, schauen wir uns im Folgenden genauer an.
Was ist Gendern?
Als Oberbegriff für Versuche einer gendergerechten Sprache durch Formulierungen, die möglichst viele Menschen ansprechen und sie damit sichtbar machen soll, ist „Gendern“ mittlerweile ein stark politisierter Begriff. Was alles dazugehört, nach den Kriterien der Inklusion und der Rechtschreibung „richtig“ ist – und warum sich das nicht ausschließt – veranschaulicht diese Tabelle gut:
|
binär |
nicht-binär |
amtliche Rechtschreibung |
Leserinnen und Leser, Leser/-innen, Leser(innen) |
Lesende, Leserschaft |
amtlich (noch) nicht zugelassen |
LeserInnen |
Leserı⃰nnen, Leser*innen, Leser:innen, Leser_innen, Leser.innen |
Quelle: Torsten Siever für correctura.com
Interessanterweise wird mit „Schüler/-innen“ auf Seite 152 des Amtlichen Regelwerks des Rats für deutsche Rechtschreibung ein Beispiel für die Schrägstrich-Schreibweise genannt, sie ist also nach dessen Einschätzung definitiv „richtig“. Ausgesprochen werden die Wortbinnenzeichen durch einen Glottisschlag – das ist eine kurze Sprechpause, wie man sie etwa in „Spiegelei“ hört.
Warum sollte man Gendern?
Die Frage, wieso man überhaupt Gendern sollte, wird immer wieder diskutiert. Das erste Argument, das meistens fällt, ist das der Sichtbarkeit und der Inklusion. Mit dem meist verwendeten generischen Maskulinum spricht man immer nur die männliche Form an. Das lässt allerdings alle Personen außen vor, die sich nicht als männlich identifizieren. Um alle Geschlechter anzusprechen, benötigt es gendergerechte Sprache, die mit dem Gendern eingeführt werden kann. Eine gendergerechte Sprache sorgt also dafür, dass alle Geschlechter sichtbar werden: Männer, Frauen, nicht-binäre Personen und alle anderen FLINTA*-Personen.
FLINTA*-Personen sind dabei Personen, die von patriarchalen Strukturen benachteiligt sind. Das sind Frauen und nicht-binäre Personen, aber auch andere Personengruppen wie agender oder intergeschlechtliche Personen – also Menschen, die keine Geschlechtsidentität empfinden oder deren körperliche Geschlechtsmerkmale nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Es ist wichtig, jeden Menschen zu würdigen. Und auch wenn das Wort Würde schwer zu definieren ist, assoziieren die meisten Menschen damit Anerkennung und Respekt. Gendergerechte Sprache hilft hier dabei, FLINTA*-Personen anzuerkennen und sie zu respektieren.
Das Verwenden einer gendergerechten Sprache ist also vor allem deshalb wichtig, um die Vielfalt der Gesellschaft anzusprechen und wirklich alle Personen in einer Sprache mit einzubeziehen, da es zu mehr Sichtbarkeit, mehr Anerkennung und vor allem zu mehr Respekt führen kann.
Ist die Ablehnung von gendergerechter Sprache diskriminierend?
Grundsätzlich geht es bei Diskriminierung um eine ungleiche Behandlung, eine Benachteiligung oder eine Herabsetzung aufgrund persönlicher Merkmale, die nichts mit Leistung oder Verhalten zu tun haben. Dabei gibt es unterschiedliche Arten von Diskriminierung: direkte, indirekte, strukturelle und intersektionale Diskriminierung.
Direkte Diskriminierung bedeutet eine offene und bewusste Benachteiligung einer Person. Indirekte Diskriminierung liegt vor, wenn eine Regel oder Praxis zwar neutral erscheint, aber dennoch bestimmte Gruppen benachteiligt. Strukturelle Diskriminierung beschreibt Ungleichbehandlungen, die in Gesetzen, Institutionen oder Systemen verankert sind. Bei intersektionaler Diskriminierung wirken mehrere Formen der Diskriminierung gleichzeitig zusammen.
In einer Welt, in der der Großteil der Menschen nicht in einem Patriarchat leben würde, wäre die Verwendung des generischen Maskulinums nicht automatisch eine Form von Diskriminierung. In solch einer Welt würde es keine strukturelle Ungerechtigkeit aufgrund dessen geben, dass man nicht als Mann geboren wurde. Strukturelle Ungerechtigkeit aufgrund des Geschlechts bezieht sich auf tief verwurzelte, systematische Benachteiligungen oder Privilegien, die auf dem Geschlecht einer Person basieren und in gesellschaftlichen Institutionen, Normen und Praktiken verankert sind. Heute sieht man diese Benachteiligung zum Beispiel im vorherrschenden Lohngefälle, der sogenannten Gender Pay Gap, oder in der unbezahlten Sorgearbeit. Wie man herauslesen kann, gibt es in der heutigen Realität sehr wohl strukturelle Unterschiede. Die Gegenwart ist stark von patriarchalen Strukturen geprägt, und in vielen Fällen stellt die ausschließliche Verwendung des generischen Maskulinums eine Diskriminierung dar. In diesem Fall spricht man von sprachlicher Diskriminierung. Diese ist nicht zwingend absichtlich, jedoch strukturell wirksam. Verschiedene Studien bestätigen, dass gendergerechte Sprache benachteiligten Gruppen zugutekommt. So zeigen sich die positiven Auswirkungen etwa bei der Berufswahl: Schüler:innen, denen Berufe mit gendergerechter Sprache vorgestellt wurden, trauen sich eher zu, später einen typisch männlichen Beruf zu ergreifen – im Gegensatz zu denen, die keine gendergerechte Sprache gehört haben.
Quelle: Vervecken, D., & Hannover, B. (2015)
Was spricht gegen das Gendern?
„Frauen sind ja mit gemeint“
„Das hab ich gar nicht so gemeint, da habe ich mich falsch ausgedrückt.“ Diesen Satz hat wahrscheinlich jede:r schon einmal gehört oder auch selber gesagt. Dass es in der Kommunikation immer mal wieder zu Schwierigkeiten kommt, ist auch ganz normal. In den meisten Fällen versucht man es einfach nochmal und formuliert einen alternativen Satz, mit dem man versucht, sich deutlicher mitzuteilen und das, was man meint, auch zu sagen.
Denn: Nur, weil etwas gemeint ist, heißt das nicht, dass es auch so verstanden wird. Und das gilt auch für das Gendern. Wenn man das generische Maskulinum verwendet, stellen sich viele Menschen, wenn auch nur unbewusst, zuerst beziehungsweise überwiegend Männer vor. Es führt also zu einer männlich geprägten Vorstellung. Eine Studie untersuchte, ob es einen Unterscheid macht, ob man bei der Frage nach Lieblingsmusiker:innen gendergerechte Sprache verwendet oder nicht. Das Ergebnis: Bei der Gruppe, die gendergerechte Sprache gehört hatten, wurden mehr weibliche Personen mit aufgezählt als bei der Gruppe, die das generische Maskulinum gehört hatten. Das zeigt, dass es einen Unterschied macht, ob weibliche Personen nur mit gemeint oder tatsächlich mit genannt werden.
Quelle: Stahlberg, D., Sczesny, S., & Braun, F. (2001)
„Gendern macht Sprache kompliziert und stört den Lesefluss“
Außerdem würde Gendern die Sprache verkomplizieren und den Lesefluss stören. Tatsächlich ist das je nach Schreibweise schwierig und nicht jedes Wort kann eindeutig gegendert werden. Ein Weglassen der Endung -innen von gegenderten Ausdrücken ergibt nämlich nicht immer die männliche Form. Werfen wir einen Blick auf den Halbsatz: „ob man bei der Frage nach Lieblingsmusiker:innen gendergerechte Sprache verwendet oder nicht.“ In diesem Fall würde sich ergeben: „ob man bei der Frage nach Lieblingsmusiker gendergerechte Sprache verwendet oder nicht.“ Im Dativ Plural müsste aber eigentlich von den Lieblingsmusikern gesprochen werden.
Besonders schwierig machen es Umlaute in Wörtern wie Bauern/Bäuerinnen oder Juden/Jüdinnen, wo sich der Wortstamm durch einen Umlaut verändert. In solchen Fällen müsste, wenn beispielsweise in Schulen und Universitäten eine korrekte Schreibweise gefordert wird, auf andere Formen wie eine Doppelnennung („Lieblingsmusikerinnen und Lieblingsmusikern“) oder eine Partizipialkonstruktion („Lieblingsmusizierenden“) ausgewichen werden. Das Genderwörterbuch bietet Unterstützung.
Der Lesefluss ist insbesondere für seheingeschränkte Personen wichtig zu bedenken, die für digitale Texte auf Screenreader angewiesen sind. Der Stern in gegenderten Ausdrücken wird in manchen Konfigurationen mit ausgesprochen. Viele Publikationen, darunter auch das blank-Magazin, verwenden deshalb die Schreibweise mit Doppelpunkt, welcher keine solchen Unterbrechungen erzeugt.
„Man sollte Sprache nicht verändern“
Diesen Satz liest man zwar häufig, doch er ist in der Praxis ziemlich realitätsfern. Warum? Weil sich Sprache immer verändert – und so tut es übrigens auch die Grammatik. Früher hat man nach dem Gesandten geschickt, heute fragt man eher nach ihm. Früher schrieb man: „Theo trat unter Thränen in die Thür“, heute wird das „h“ hinter jedem „t“ weggelassen. Was man mit welchen Wörtern und auf welche Art sagt oder schreibt, ist verschieden, wandelbar und nicht zeitlos. Wenn sich die Sprache verändert, passt sich die Grammatik an.
Veränderung verläuft natürlich und allmählich. Es wird unserer Sprache nicht gerecht, wenn von oben festgelegt wird, wie sie verwendet werden soll. Das geschieht etwa durch die Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO § 22 Abs. 5) oder Redaktionsrichtlinien für Rechtsvorschriften (RedR Nr. 3.4). Dadurch dürfen Mitarbeiter:innen bayerischer Behörden bestimmte Formen geschlechterinklusiver Sprache nicht verwenden, weil diese angeblich nicht der amtlichen Rechtschreibung entsprechen – obwohl dies, wie in der obigen Tabelle gezeigt, gar nicht immer zutrifft.
Historischer Einblick
Ulrike Lembke erwähnte außerdem als bedeutende Entwicklung des letzten Jahrhunderts die Bestätigung durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1992, dass Artikel 3 im Grundgesetz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ als Auftrag zu verstehen sei, „für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen“, was zwei Jahre später auch vom Bundestag in die heutige Fassung übernommen wurde.
Für Formulare und andere Dokumente bedeutet das, alle Menschen müssen angesprochen werden, wozu bereits in einem gemeinsamen Runderlass von Hessen 1984 beschlossen wurde, dass das generische Maskulinum nicht ausreicht.
Ein Weg zu mehr Sichtbarkeit
Zusammengefasst steckt hinter dem teils verteufelten Gendern auch nur der Versuch, eine unterdrückte Gruppe, zu der ein Großteil der Bevölkerung gehört, mit einzubeziehen. Es reicht eben nicht, die anderen „mitzumeinen“. Es reicht auch nicht, die eigene Verantwortung hinter Unwissenheit zu verstecken, aber vor allem reicht es nicht, es nicht wenigstens zu versuchen.
Vermutlich wacht niemand morgens auf und denkt sich: „Ja, heute versuche ich mal, möglichst viele Menschen zu unterdrücken.“ Kaum jemand hat das Ziel, Mitmenschen zu verletzen oder sie zu übersehen. Und genauso verlangt kaum jemand, dass man sich sofort perfekt in gendergerechter Sprache auskennt und diese auch verwendet. Jede:r macht Fehler, niemand ist perfekt. Deswegen ist man nicht automatisch ein schlechter Mensch. Aber egal, in welchem Bereich des Lebens – sei es die Sprache, die Beziehung zu Mitmenschen oder ein anderer Bereich –, es ist wichtig, sich hier und da zu hinterfragen. Vor allem, wenn es dabei um das Verletzen oder die Diskriminierung anderer Menschen geht.
Trotzdem: Selbst wenn sich das Gendern durchsetzt, ist das nur ein Aspekt hin zur Gleichberechtigung. Denn selbst wenn sich die Sprache verändert und sich das Denken auch Stück für Stück erweitern wird, ändert sich deswegen nicht automatisch alles andere mit. Die vorhin angesprochenen strukturellen Benachteiligungen sind meist schon über Generationen in den Köpfen der Menschen verankert. Um diese aufzulösen, benötigt es viele kleine Bausteine – fast wie ein leeres Haus, das erst zu einem Zuhause werden kann, wenn sich Menschen die Mühe machen, das Innere zu gestalten. Die Sprache also anzupassen und den Gedanken immer zugänglicher zu machen, dass die Gesellschaft vielfältig ist, ist nur der erste Schritt. Allerdings ein erster Schritt, der so groß werden könnte, dass sich mit ihm tausend neue Schritte machen lassen. Gendergerechte Sprache ist keine Lösung, aber sie ist ein Trampelpfad. Und aus Trampelpfaden lassen sich irgendwann Straßen bauen.
Hinweis: Dieser Artikel ist Teil der Themenwoche Sprache des Passauer Campusmagazin blank. Mit dieser Themenwoche möchten wir verschiedene Perspektiven auf Sprache sichtbar machen und zur Auseinandersetzung mit ihrer Komplexität anregen. Wir erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchten lediglich einige der vielen Facetten beleuchten. Weitere Beiträge zum Thema Sprache erscheinen im Laufe der Woche (23. bis 29. Juni 2025) – hier, auf unserem Instagram-Account sowie auf Spotify.
