Am 12. Oktober trafen sich auf einen Aufruf von TikTok hin junge Menschen auf der Innwiese, um Pudding mit einer Gabel zu essen. Der deutschlandweite Trend hat somit auch unsere Universitätsstadt erreicht.
Vivien, die Initiatorin des Passauer Treffens, hatte über mehrere Kanäle Zeit und Ort angekündigt, an dem es so weit sein würde. Mithilfe von Plakaten, WhatsApp-Gruppen und schließlich ihrem TikTok-Beitrag rechnete sie mit etwa 50 Besucher:innen. Ihr Beitrag ging bereits einige Tage vor dem Treffen viral und erreichte rund 150.000 Aufrufe.
Ich habe den Trend selbst auf TikTok mitbekommen und fand es eine lustige Idee, um seinen Alltag mal spannender zu gestalten und neue Leute in seiner Gegend kennenzulernen. Da ich keine Zeit hatte, woanders hinzufahren und die Vermutung hatte, dass es sonst keiner in Passau macht, habe ich es kurzer Hand einfach selbst ins Leben gerufen.
Am Tag des Events wurde Viviens Erwartung mit rund 100 Teilnehmer:innen deutlich übertroffen. Auch die PNP war für ein Interview vor Ort. Die Ankündigung hatte zudem Menschen erreicht, die das Plakat gar nicht gesehen hatten – etwa über Social Media oder über mehrere persönliche Ecken. Eigentlich ziemlich ähnlich wie beim allerersten Pudding-mit-einer-Gabel-Treffen, finde ich.
Karlsruhe – eine Stadt, etwa sechsmal so groß wie Passau. Vielen ist sie vielleicht als Sitz des Bundesverfassungsgerichts bekannt. Ich war vor drei Monaten dort, ohne zu ahnen, was sich aus meinem spontanen Besuch entwickeln würde.
Ein Nachmittag auf reddit
27. August, circa 17 Uhr. Ich scrolle über die Startseite von reddit – in der Erwartung, wie so oft, von der Community kuratierte Nachrichten oder ein lustiges Meme zu sehen. Doch plötzlich stoße ich auf etwas, das an Kuriosität kaum zu übertreffen ist:

Vergleichbar mit Hashtags auf anderen Plattformen erreichen reddit-Beiträge alle Menschen, die einen „Sub“ wie r/karlsruhe abonniert haben; beliebte Postings landen auf der Startseite. Ist, dass ich gerade nicht angemeldet bin, der Grund, warum der Algorithmus nicht weiß, was meine Interessen sind? Und mir deshalb ein Foto einer mit Tesafilm an ein Schaufenster in Karlsruhe aufgehängten A4-Seite zeigt – buchstäblich am anderen Ende von Deutschland? Es erscheint wie eine scherzhafte Aktion eines Studierenden am Karlsruher Institut für Technologie, der sich einfach nur mit ein paar Kommiliton:innen treffen wollte. Da als komplett Außenstehender hinzufahren, das wäre ja total komisch. Und ich würde überhaupt nicht zur Gruppe passen. Oder?
Die nahezu endlos wirkenden Semesterferien scheinen perfekt für so eine Aktion. Es erscheint mir aber im Moment noch zu waghalsig, um jetzt schon ein ICE-Ticket zu kaufen. Ich gehe schlafen.
Auf dem Weg nach Karlsruhe
28. August, 8 Uhr morgens. Der ICE ist teurer geworden, und ich entschließe mich stattdessen, mit dem Deutschlandticket loszufahren. Nachdem ich noch Milch auf dem Herd erwärmt, Vanillepuddingpulver eingerührt und das Ganze in ein paar Gläser umgefüllt hatte, radle ich zum Bahnhof. Ab Nürnberg müsste ich nur noch einmal in Stuttgart umsteigen und käme um 16:30 Uhr am Kronenplatz in Karlsruhe an – eine halbe Stunde, bevor es losgeht.
Doch als spielte jemand ein Spiel gegen mich: Der Halt des Anschlusszuges und die S-Bahn, mit der ich ihn noch hätte einholen können, fallen aus. An einem verregneten Bahnsteig beiße ich in den sauren Apfel und kaufe ein ICE-Ticket – genauer gesagt zwei, weil es einige Euro günstiger ist, bis Stuttgart und ab dort getrennt zu buchen.
Kurz nach 17 Uhr, nach meiner Ankunft in Karlsruhe, suche ich am Bahnhofsvorplatz die Straßenbahn, mit der ich zum Kronenplatz komme. Wie lange würden die Leute dort bleiben? Alles unbekannt – so spontan, wie es „organisiert“ war. Ich steige aus.
Der Berliner Platz vor der Straßenbahnhaltestelle ist bis auf einige Gäste des Grillhaus Kani recht leer, und ich frage mich mit meinem Glas Pudding und Göffel, ob ich als Einziger gekommen bin. Ich gehe über die Straße und nähere mich dem Innenhof eines Gebäudes, das zum KIT gehört.
Dort sind viele Stimmen, kleine Gruppen junger Menschen, die sich um die Sitzgelegenheiten versammeln. Jemand hat einen Lautsprecher dabei. Gerade als ich mich einer Gruppe vorstelle, startet eine Polonaise. Die Stimmung ist ausgelassen, und alle haben etwas gemeinsam: Sie essen Pudding mit einer Gabel – selbst gekochten oder vom Supermarkt um die Ecke gekauft. Niemand kennt die mysteriöse Person, die die Plakate aufgehängt hat.. Die Nachricht hatte sich in Familien-Chatgruppen und über lokale Memepages verbreitet, sodass, wie die Badischen Neuesten Nachrichten berichteten, 150 bis 200 Leute kamen.
Ein Umbruch für soziale Medien?
Zurzeit klagen viele darüber, wie wir durch soziale Medien vereinsamen. Wie Algorithmen von gewinnorientierten Plattformen darauf optimiert sind, unsere Aufmerksamkeit zu fangen und Gefühle hochkochen zu lassen, weil jede Interaktion Daten für die Personalisierung von Werbung generiert. Doch Pudding mit einer Gabel – mag es für manche auch sinnlos erscheinen oder wie etwas wirken, wofür sich nur Studierende mit viel Freizeit begeistern können – ist für mich ein Umbruch.
Der Trend hat im ganzen deutschsprachigen Raum Menschen verbunden, wie der Slogan von Nokia „Connecting People“ es für diese Technologie ursprünglich vorgesehen hatte. Er hat 150 Menschen aus ihren digitalen Bubbles an einen gemeinsamen Ort gebracht, wo jeder willkommen war: Pudding kann man vegan zubereiten, man muss nicht, wie für andere Hobbys, besonders begabt sein, um ihn zu kochen oder zu kaufen. Die simple Regel zu brechen – ihn nicht zu löffeln, sondern aufzugabeln – war für viele so skurril und gleichzeitig so einladend, dass sie noch Freund:innen mitgebracht und gemeinsam vorbeigeschaut haben.
Online gibt es zu dem Trend gemischte Meinungen. Während sich eine Gruppe trifft, sozialisiert und auf einer Wiese Picknick macht, debattiert eine andere Gruppe in den eigenen vier Wänden darüber, welche Parteien die Pudding-Fans wohl wählen und dass man ihnen das „aber wirklich literally an[sieht]“ (Link). Eine Kommentatorin fasste das Passauer Treffen gar als bewusste Provokation auf, die eigenen „Ressourcen dafür [zu] verschwende[n]“, anstatt „für den Frieden[] zusammenzukommen“ (Link). Es bleibt jedem selbst überlassen, welche Gruppe er sympathischer findet.
Ich persönlich war einen Monat nach Karlsruhe noch bei einem von Socialhood Munich organisierten Treffen im Englischen Garten und am 11. Oktober in Landshut. Auf dem Subreddit r/PuddingMitEinerGabel sieht man, wie viele dieser Events deutschlandweit noch stattfinden. Auf manchen wurde sogar eine Gabel aus Pappe gebastelt, auf der alle unterschrieben. Egal wie lange der Trend noch anhält, ist das etwas, das erhalten bleibt und in Zukunft noch Menschen schmunzeln lassen wird.


