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Türchen 11: Frostige Weihnachten im Klimacamp

Beitragsbild: Amelie Marschall

Protestformen wie Klimacamps und Waldbesetzungen stützen sich letztendlich auf die Versammlungsfreiheit. Diese schützt in Deutschland das Recht der politischen Meinungskundgabe und verdrängt teils andere Rechtsbereiche. Das macht es grundsätzlich genauso möglich, Fahrraddemonstrationen auf Autobahnen abzuhalten, wie eben, auf einem öffentlichen Platz oder in einem Wald dauerhaft zu kampieren, wie mehrere Gerichte im zurückliegenden Jahr bestätigt haben. Doch speziell im Winter ist das alles andere als ein entspannter Camping-Urlaub.

Neben dem Rathaus zu übernachten und für mehr kommunalen Klimaschutz zu demonstrieren, kann hart sein, wie mir Aktivist:innen erläutern. Denn es muss immer jemand vor Ort kampieren: Im Winter, bei Schnee, Regen, Kälte und auch an Heiligabend. Die allerwenigsten Zelte, Hütten oder Baumhäuser sind hierbei beheizt oder auch nur gedämmt, erzählen mir die Aktivist:innen verschiedener Waldbesetzungen und Klimacamps, die ich interviewe. „Rechtlich ist es uns verboten, zu dämmen“, erzählt mir Schorsch aus dem Klimacamp Augsburg. Das habe laut dem Ordnungsamt mit Brandschutz zu tun. Schorsch hat auch letzten Winter viel Zeit im Klimacamp auf dem Fischmarkt verbracht. Wie das gewesen sei? „Kalt!“, stellt sie ohne Umschweife fest. „Der Fischmarkt ist in Augsburg die Windschneise zwischen der Ober- und der Unterstadt, wo es immer nochmal deutlich mehr zieht als um die Ecke rum.“ In einer Nacht, in der sie da gewesen sei, hätte es 15 Grad Minus gehabt. Wasserkocher, um vor Ort Wärmflaschen füllen und Tee kochen zu können, hatte das Ordnungsamt verboten – ebenfalls wegen Brandschutz, wie mir Schorschs Mitstreiterin Anna erzählt.

Kalte Nächte sind nicht das Problem

Aber das schlimmste seien eigentlich nicht die Nächte: „Wenn man im Schlafsack erst mal drin ist, dann heizt sich das auch irgendwie auf, aber tagsüber so in der Kälte rumstehen, das ist schon heftig“, so Schorsch. Das findet auch Tim, der ebenfalls viel Zeit im Augsburger Klimacamp verbracht hat, nachdem sein voriges Zuhause im Dannenröder Forst geräumt wurde. „Das Kondenswasser meines Atems ist zwischen den Schichten meines Schlafsacks gefroren, aber es war nicht weiter schlimm – so lange es gefroren ist, ist es ja zumindest nicht nass.“ Samuel, der im Dezember letzten Jahres ein Baumhaus in Ravensburg für mehr kommunalen Klimaschutz gebaut und über Wochen teils allein besetzt gehalten hat, formuliert es ähnlich: „Ich hab mich immer gefreut, wenn es Minusgrade hatte, dann hat es wenigstens nicht mehr getropft.“ Heute wurden dort anlässlich des einjährigen Jubiläums der Baumbesetzung in Ravensburg und der „zu langsamen Umsetzung der Ravensburger Klimaziele“ wieder zahlreiche Bäume von Aktivist:innen verschiedenen Alters besetzt.[1]

Minusgrade als Privileg – das hat das Camp auf der geplanten Trasse der A20 nicht. Gegen dieses Bauprojekt einer Hunderte Kilometer langen Autobahn protestieren Aktivist:innen auf einem der auf der Route liegenden Moore, die dem Bündnis Moor bleibt Moor zufolge insgesamt ungefähr 80% der Strecke ausmachen. Moore seien extrem potente CO2-Speicher, die viel zu wenig im öffentlichen Fokus seien, erzählt mir Mischa, Biologiestudent und einer der Pressesprecher:innen des Bündnisses, am Telefon: „Weltweit sind nur 3% der Fläche mit Mooren und Feuchtgebieten bedeckt und 30% mit Wäldern. Trotzdem speichern Moore insgesamt doppelt so viel CO2. Das ist natürlich schon beeindruckend.“ Eine Waldbesetzung, den Garni, gebe es aber auch – aus dieser sei die Moorbesetzung auch ursprünglich hervorgegangen.

Das Camp hat noch keinen Winter erlebt, aber Unterstützer:innen und Besetzende aus der Region wüssten, wie nass und flutanfällig die Moore im Winter seien. So gebe es viel Regen und wegen des hohen Pegels des angrenzenden Bachs auch aktuell eine starke Überschwemmung. „Der Bach ist im Sommer manchmal ganz weg. Gerade hat er einen Wasserstand von 1,50m und ist jetzt quasi überall“, erzählt Mischa. Außerdem gebe es starken Wind, sodass am Anfang deshalb sogar viele Zelte gerissen seien. Inzwischen setze man auf Wohnwägen, die auch gemütlicher seien.

Wie viel Komfort braucht es?

Nach einigen Gesprächen mit Aktivist:innen wird klar: In Sachen Komfort haben angemeldete Klimacamps Baumbesetzungen einiges voraus. Denn bei den Besetzungen muss es schnell gehen, alles einigermaßen fertig sein, bevor die Polizei kommt – perfekte Abdichtung ist erstmal zweitrangig. Doch es ist beeindruckend, wie viel Begeisterung und Einsatzfreude Aktivist:innen trotz dieser extremen Umstände an den Tag legen. Anna – ebenfalls aus Augsburg, aber gerade zu Besuch im Klimabaumhaus Bayreuth, einer erst einige Wochen alten Besetzung, ähnlich denen in Passau im Mai[2], erzählt voller Elan: „Hier schneit es noch bisschen rein und regnet rein. Aber es ist beeindruckend, wie die Strukturen hier jeden Tag immer winterfester werden!“

Doch was motiviert Aktivist:innen, unter diesen teils extremen Bedingungen weiterzumachen?
Auf diese Frage bekomme ich immer dieselben Antworten: ‚Das Thema ist zu wichtig, um im Winter einfach aufzuhören!‘ ‚Die tolle Community – die harten Bedingungen schweißen zusammen‘. Einige der Aktivist:innen finden sogar, der Winter sei eine ganz gute Zeit für Besetzungen und Camps. Schorsch meint, sie sei so viel an der frischen Luft gewesen und hätte noch vergleichsweise viele Leute gesehen im Lockdown-Winter. Auch Samuel sieht im Winter Vorteile: „Die Baumbesetzung im Winter hat halt viel Aufmerksamkeit gebracht.“ Anna sagt mir, die Menschen würden im Winter realisieren: ‚Ihr macht das nicht zum Spaß, sondern meint es ernst!’ Das Gleiche erzählt Schorsch. Es sei ihr aber unverständlich, warum die Leute das erst im Winter begriffen: „Offensichtlich meinen wir das ernst!“
Sie erzählt mir, dass sie durch verschiedene „Supportis“ jeden Tag zwei warme Mahlzeiten ins Klimacamp bekommen hätten, welches eines ihrer persönlichen Highlights gewesen sein. Außerdem seien aber auch warme Schlafsäcke und Wärmflaschen wichtig gewesen, die sie in einer solidarischen WG hatten füllen können.

Von vielen der Aktivist:innen wird die Gemeinschaft untereinander und die Unterstützung aus der Bevölkerung als einer der stärksten Faktoren genannt, die auch kalte und nasse Tage zu einem bestärkenden Erlebnis gemacht hätten. Außerdem käme der Winter ja nicht über Nacht: „Man kommt ja nicht aus einem warmen Raum und muss dann draußen leben, sondern wächst da rein“, erzählt mir Tim. „Mir war eigentlich immer gleich warm; nur habe ich mehr angehabt.“ Man ziehe halt immer eine Lage mehr an. „Wir haben die ironischerweise auch gezählt“, fügt er kichernd hinzu.

„Meine Methode war immer Tanzen. Ich hab so viel getanzt, dass mir so warm wurde, dass ich immer mehr Schichten ausgezogen habe. Dann kamen andere Leute vom Camp und meinten: ‚Was ist mit dir? Warum läufst du im T-Shirt rum?‘“, erzählt Schorsch ebenfalls lachend.
„Es gab eine Person, mit der hab ich meistens zusammen im Schlafsack geschlafen“, erinnert sich Tim an die Zeit im Danni[3] zurück. „Wir haben zwei Schlafsäcke gefunden, die wir zusammen-zippen konnten zu einem großen Schlafsack und waren gleichzeitig innen drin noch zusammen in einem weiteren Schlafsack.“ Auch Rettungsdecken und Bewegung sind bei Erzählungen anderer Aktivist:innen hoch im Kurs.

Wenn der Staat für RWE die Wasserwerfer auffährt

In Waldbesetzungen ist natürlich auch die Rodungssaison ein wichtiger Faktor, der es nötig macht, im Winter auszuharren. Diese beginnt am ersten Oktober und endet am letzten Tag des Februars – erstreckt sich also gänzlich über die kalte Jahreszeit. Während dieser Zeit sind die Wälder, die die Besetzungen zu schützen versuchen, am meisten gefährdet, weil nur in dieser Zeit Bäume gefällt werden dürfen.
So wurde auch die Besetzung im Dannenröder Forst vor einem Jahr zum Jahresende hin geräumt und eine Schneise geschlagen, um durch diesen Mischwald einen Teil der Autobahn A49 zu bauen, wogegen zahlreiche Umweltverbände und die Klimabewegung aufgrund der ökologischen Relevanz des Waldes massiv protestierten.
[Mehr zu den Protesten im Danni steht in meinem Artikel von Februar diesen Jahres[4].

Der Danni folgte auf die ähnlich bekannte Waldbesetzung Hambi im Hambacher Forst, die sich erfolgreich gegen die Rodung für den Braunkohleabbau durch RWE stellte[5]. Die Zeit im Danni oder auch im Augsburger Klimacamp inspirierte viele der Aktivist:innen, mit denen ich für diesen Artikel gesprochen habe, zu den Wald- und Moorbesetzungen, Klimacamps, Baumbesetzungen und Kletteraktionen, in denen sie sich heute engagieren. Doch es werden auch mitunter heftige Geschichten aus der Zeit der Räumung erzählt, in der Material und Einsatzkräfte für mindestens 31 Millionen Euro eingesetzt wurden: Viele Hundertschaften Polizei aus der ganzen Bundesrepublik, Hebebühnen, taktische Einheiten, Hubschrauber, Drohnen, Wasserwerfer, eine Festung aus Containern – im Danni wurde alles aufgefahren. Und es gab viele zweifelhafte Einsätze. Einige, von denen mir schon von verschiedenen Aktivist:innen erzählt wurde, sind die Wasserwerfer-Einsätze im Dezember. Was Wasserwerfer in einem Wald für einen Einsatz-Vorteil bringen, ist schon fragwürdig. Der Einsatz dieser Maschinen bei Temperaturen im zweistelligen Minusbereich gegen Aktivist:innen, an deren Kleidung das Wasser möglicherweise gefriert und die danach draußen schlafen müssen, kann zudem zu schweren Gesundheitsschäden führen. Das war aber dennoch eine Zeit lang an der Tagesordnung. „Es gab schon Leute, die klatschnass waren“, erzählte mir eine der Betroffenen, Gavroche, im Februar. „Also definitiv war das unverhältnismäßig, das in dieser Kälte einzusetzen!“

Weihnachten im Wald – Heiligabend im Klimacamp

Am 9. Dezember 2020, also am Mittwoch vor einem Jahr und damit vier Tage vor dem fünfjährigen Jubiläum des Pariser Klimaabkommens, fiel dann der letzte Baum im Dannenröder Forst und damit wurde es in der öffentlichen Wahrnehmung still um den Wald. Was viele nicht wissen: Der Protest dort endete damit nicht. Er überdauerte die Weihnachtsfeiertage und den Winter – auch heute leben dort nach wie vor Aktivist:innen und auch das Protestcamp gibt es noch.

Doch es war wohl für die meisten Aktivist:innen, die geblieben waren, kein schönes Weihnachten mit der Vorstellung: Der Wald gerodet, die öffentliche Debatte verstummt und alle anderen zuhause, wie sie ihren jüngeren Geschwistern beim Auspacken von ferngesteuerten Autos zusehen.

Doch das ist der Punkt an solchen Protestformen wie Besetzungen und dauerhaften politischen Versammlungen: Es muss immer jemand da sein. Das ist an Weihnachten mit am schwersten, einem Tag, der vielen persönlich oder zumindest ihren Familien wichtig ist.
Arbor aus dem besetzten Wald Steini bei Halle (Westfalen) erzählt mir, er wird Heiligabend dieses Jahr in der Besetzung sein: „Sonst verbringe ich Heiligabend mit meinen Eltern und Geschwistern. Für die ist es ein wichtiger Termin, was es auch für mich wichtig macht. Wir konnten uns darauf einigen, dieses Jahr einen anderen Tag zu nehmen.“ Eine richtige Weihnachtsfeier werde es dann natürlich nicht.

Auch Samuel hat letztes Jahr Weihnachten auf seinem besetzten Baum verbracht: „Das war schon ein bisschen traurig, aber das muss man halt machen.“ Auf die Frage hin, ob es keine Option gewesen sei, die Besetzung über die Feiertage zu pausieren, ist die Antwort so klar wie bei allen anderen Aktivist:innen, denen ich diese Frage stelle: „Nein. Das Projekt war zu wichtig, um einfach aufzuhören, nur wegen Weihnachten!“ Im Alti – einer Waldbesetzung bei Ravensburg als Folgeprojekt der Baumbesetzung – sei die Situation eine andere: „Da gibt es eine Gemeinschaft und wir können einfach zusammen Weihnachten feiern.“

Den Erzählungen nach scheint Umweltaktivismus nicht immer ein Zuckerschlecken zu sein. Aber die vielen Geschichten von Aktivist:innen, die trotzdem unter den widrigsten Umständen und zu den ungünstigsten Zeiten durchhalten, weil sie es wichtig finden, zeigt, mit wie viel Herzblut viele dabei sind.
Es ist der Traum von einer besseren, einer gerechteren und einer gesünderen Welt, der Menschen dazu triebt, ihre Freizeit frierend auf einem besetzten Baum zu verbringen oder sich im Dezember zähneknirschend einem Wasserwerfer in den Weg zu stellen. Es ist die Wut einer Generation, die sich ihrer Zukunft beraubt sieht und nicht mehr bereit ist, diese Ungerechtigkeit hinzunehmen; einer Generation, in der viele nicht einfach weiter brav studieren und abends mit dem Lehrbuch in der Hand einnicken werden, nur um am Morgen in der Klimakatastrophe aufzuwachen.
Eine Generation, die es hinnimmt, dass der Atem jede Nacht im Schlafsack gefriert, ‚weil es zu wichtig ist, um einfach aufzuhören’, die Weihnachten im Klimacamp verbringt und das vielleicht wiederholt – diese Generation wird es auch fertigbringen, so lange auf die Politik einzuhämmern, bis sie die Mauern der Ignoranz einreißt.

 

 

Die Namen einiger der interviewten Aktivist:innen wurden geändert.


[1] Über die heutigen Baumbesetzungen in Ravensburg berichtet der Telegram-Ticker des Ravensburger Baumhausklimacamp: @klimacamp_ravensburg
[2] Der Blank-Artikel über die Passauer Baumbesetzung im Mai findet sich hier: Ihr könnt unsere Häuser zerstören, aber nicht die Kraft, die sie schuf (Lisa Kirchner)
[3] Danni steht für Dannenröder Forst. Es ist ein Trend in der Waldbesetzungs-Szene, die Namen von besetzten Wäldern mit einem verniedlichenden „i“ am Ende zu bilden: Danni, Hambi, Garni, Steini, Lützi, Alti, Herri, Mauli, Dieti, Stoeri, Kasti…
[4] Der Dannenröder Wald – Ziviler Ungehorsam gegen eine überholte Verkehrspolitik (Kim Schulz)
[5] Es gibt derzeit wieder eine Besetzung, die sich gegen RWE und Braunkohle stellt: Rund um das Dorf Lützerath im Landkreis Erkelenz in NRW. Dort wird vmtl. bald geräumt, gerodet und abgebaggert, falls RWE im Rechtsstreit mit einem Bauern um seine Enteignung zugunsten von RWE gewinnt. Sehr interessant sind die Vorher-Nachher-Bilder des Dorfes auf dieser Website: http://garzweiler.com/luetzerath/[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

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