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Die Sprache der Mode – Selbstausdruck und Weltausdruck

„Das ist bestimmt eine Jurastudentin“, flüstere ich meiner Freundin zu, während wir an einer elegant angezogenen Studentin mit Blazer, Ralph-Lauren-Shirt, schlichtem Make-up, kleinen Perlenohrringen und großer Bib-Bag vorbeilaufen. „Bestimmt!“, stimmt sie mir nickend zu.

Jeder hat wahrscheinlich, wenn er mit Freunden über den Campus gelaufen ist, solche oder ähnliche Gespräche geführt. Aber warum? Wir ordnen Menschen sozialen Gruppen, politischen Orientierungen, Studiengängen … zu – auf Grundlage ihrer Kleidung. Mehr noch: Wir ordnen uns selbst durch unsere Mode Gruppen zu – ein Fußballtrikot, eine Cap mit politischem Spruch, ein T-Shirt mit einem Bild aus dem Lieblingsfilm …

Auch Hobbys, Vorlieben können in der Mode ausgedrückt werden. Manchmal vergessen wir dabei die subjektive Perspektive, die wir besitzen – wir können nicht in den Kopf anderer Menschen schauen. Farben und Stilrichtungen werden Charaktereigenschaften zugeschrieben, wie: Extrovertierte tragen auffällige Outfits in bunten, schrillen Farben. Ein Überanalysieren von Kleidung anderer kann Stereotype festigen oder zu falschen Schlüssen über die Person führen. Der (wahrscheinlich) bösartigste Charakter in Harry Potter, Dolores Umbridge, trägt rosafarbene Kostüme und Schleifen. Die Farbe der Liebe, des Sanftmuts, der Romantik steht in starkem Kontrast zu der kalkulierten, sadistischen Brutalität des Charakters. Es kann eine Person eindimensional machen.

Selbstausdruck

„Was soll ich anziehen?“ – die allmorgendliche Frage, das erste Dilemma des Tages … „Die rosa Bluse … nein, ich fühle mich nicht nach rosa.“ Warum? Hat das eine farbpsychologische Bedeutung? Heißt das, dass ich mich heute nicht – unterbewusst – mit Liebe und Romantik beschäftige? Heißt das, dass diese Themen keine Rolle in meinem Leben spielen? Spielt das überhaupt in meine Entscheidung hinein? Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine Person bewusst einen inneren Monolog wie diesen führt, der auf die Farbpsychologie der Kleidung eingeht. Aber möglicherweise spielt es eine unbewusste Rolle. „Ich möchte mich ruhig und entspannt fühlen“ – dann vielleicht einfach einen beigen Rock und ein graues T-Shirt? Unsere Gefühle und eine Suche nach Komfort können unsere tägliche Outfitwahl beeinflussen. Mode kann uns dabei helfen, uns selbstbewusster zu fühlen. In meiner Schmucksammlung befindet sich ein silberner Perlmutt-Ring, ein Familienerbstück, der mich an meine Mama erinnert. Kleidung und Accessoires können auch einen sentimentalen Wert haben oder mit einer bestimmten Erinnerung verbunden sein.

Dazu trage ich meine Lieblingsjeans, eine Bluse, einen Schlangenring und Ballerinas – und stelle fest, dass ich mit all diesen Kleidungsstücken eine Geschichte verbinde: Mit den abgetragenen Ballerinas bin ich tagelang durch Paris gelaufen; die Jeans ist eine alte von meinem Bruder; der Ring erinnert mich an mein Hogwarts-Haus und mein Lieblingsgemälde. Diese unmöglich an andere Menschen zu kommunizierenden Werte machen unsere Kleidung aus. Sie helfen uns dabei, uns selbst zu finden und zu entwickeln. Dieses Selbstentwickeln ist unendlich – wir ändern uns, unseren Geschmack, unsere Identifikation. Es ist ein dynamischer Prozess. Ein Mensch ist nicht statisch, sondern dynamisch. Neue Erfahrungen beeinflussen unseren Charakter (und dadurch unseren Stil).

„frazzled English woman“, „Parisian chic“, „coastal granddaughter“, „aesthetic“, „core“ – vor allem in den letzten Jahren sind über Social Media bekannt gewordene Kleidungsstücke und Stile zu „Aesthetics“ geworden, mit einem Lifestyle, Charaktereigenschaften verbunden. Zum Beispiel: „Dark Academia“ – Wissbegierde, viel lesen (vor allem klassische Literatur), intellektuell bis elitär mit Blazern, gedeckten Farben, Turtlenecks und Pullovern … Das kann Orientierung bieten, aber gleichzeitig auch eine Box sein und den Selbstausdruck einschränken, da es in Teilen ein klares, eindimensionales Ideal propagiert. Es würde den Menschen statisch machen.

Weltausdruck

Mode kann nicht nur als Spiegel des Selbst gelesen werden, sondern kommuniziert auch politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Unsere Fast-Fashion-Overconsumption kann metaphorisch und real im Klimawandel wiedergefunden werden. Die Beschleunigung zeigt sich in den schnellen Trend-Cycles und den unzähligen neuen Kollektionen der Modehäuser (früher waren es zwei pro Jahr, während heute teils wöchentlich oder sogar täglich bei einzelnen Marken neue erscheinen). Lange Röcke werden mit der Rezession verbunden, und kurze Röcke sollen in Zeiten wirtschaftlichen Wachstums häufiger getragen werden (Hemline Index). Nach der Französischen Revolution wurde die Mode schlichter und weniger dekadent: höfische Kniebundhosen, die Culotte, wurden durch weite, lange, bürgerliche Hosen – Pantalons – ersetzt.

Es lässt sich also festhalten: Mode kann viel kommunizieren – sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene. Sie existiert in keinem Vakuum. Aber man sollte vorsichtig sein, auf Grundlage der Kleidung einer Person auf deren Charakter zu schließen. Der Selbstausdruck sollte das zentrale Element in unserer Kleidung sein – und am Ende ebenso vielschichtig wie wir selbst.

*Das Gespräch am Anfang ist ein hypothetisches Beispiel und hat darüber hinausgehend keine Aussagekraft.

Hinweis: Dieser Artikel ist Teil der Themenwoche Sprache des Passauer Campusmagazin blank. Mit dieser Themenwoche möchten wir verschiedene Perspektiven auf Sprache sichtbar machen und zur Auseinandersetzung mit ihrer Komplexität anregen. Wir erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchten lediglich einige der vielen Facetten beleuchten. Weitere Beiträge zum Thema Sprache erscheinen im Laufe der Woche (23. bis 29. Juni 2025) – hier, auf unserem Instagram-Account sowie auf Spotify.

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