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Überwachung und Datensammlung – wo liegen die Grenzen?

Bild via pixabay von geralt

Durchlesen von Chats, biometrische Gesichtserkennung und Apps, die einen belauschen – um in Zeiten von Terroranschlägen und vermehrtem politischen Extremismus zurechtzukommen, fordern einige mehr Überwachungsmaßnahmen. Doch wie hilfreich sind diese in Hinsicht auf Prävention und wo sind die Grenzen unserer Grund- und Freiheitsrechte?

Diese Problematik wird seit einigen Jahren heftig in der Politik diskutiert und war Thema des dritten Passauer Politiktages am 28.06.2023. Unter dem Titel „Ein schmaler Grat – Zwischen Prävention und Überwachungsstaat“ debattierten die Gäste Politik- und Staatswissenschaftler Prof. Dr. Rüdiger Voigt; Experte für öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und das Recht der neuen Technologien Prof. Dr. Tristan Barczak und Netzwerkaktivistin Katharina Nocun.

Datensammlung als Prävention und Alltagshilfe

In unserem Alltag machen das Sammeln und Speichern von persönlichen Daten unser Leben einfacher. Gesichtserkennung beim Entsperren des Handys, gespeicherte Bankdaten, um schneller zu zahlen oder der personifizierte Instagram-Feed, welcher genau unseren Humor trifft – das alles ist möglich, weil Apps jede Handlung von uns beobachten und sich merken. Wann springt man von einem YouTube-Video ab, bei welchen Posts bleibt man länger hängen, wer wird rechts geswiped auf Tinder? Das Internet ist schlau und kreiert mit Algorithmen eine digitale Welt, die genau auf uns angepasst ist.

Zudem kann das Sammeln von Daten hilfreich sein, um Straftaten aufzuklären. Durch das Erfassen unserer Fingerabdrücke können Täter leichter identifiziert werden. Und wenn man einen Schritt weiter geht, sei es sogar möglich, Straftaten im Vorfeld zu verhindern, wie Voigt erklärt. Mit Videoüberwachungen, die eine Gesichtserkennungssoftware haben und präventiver Kommunikationsüberwachung von Chats oder Suchverläufen in Google, können Muster früh erkannt werden. Mit den gesammelten Daten ist es möglich eine personenbezogene Metadatenbank zu erstellen, die hilft, einen potenziellen Täter rechtzeitig zu erkennen.

Ganz nach dem Motto:

Wir schränken die Freiheit jetzt ein, um die Freiheit der Zukunft zu sichern.

Prof. Dr. Rüdiger Voigt

Racial Profiling

Katharina Nocun wirft in der Diskussion jedoch ein Problem auf: das sogenannte „Racial Profiling“. Hierbei wird das äußere Erscheinungsbild einer Person, sprich Hautfarbe, Gesichtszüge und Kleidung als Entscheidungsgrundlage für polizeilichen Eingriff gerechtfertigt. Das kann abrutschen in überschnelle Maßnahmen, die auf rassistischen Vorurteilen basieren, nur um „sicher zu gehen“. Außerdem werden so Ängste geschürt gegenüber Menschen, die nicht weiß sind.

Einige gesellschaftliche Probleme können auch nicht durch Überwachung gelöst werden, betont Nocun. Möglicherweise müssen wir unseren Blickwinkel ändern, indem der Opferschutz mehr in den Fokus rückt. Ein weiterer Standpunkt ist die Bildung. Wo kommen die politischen Unruhen her, die Menschen dazu treiben kriminell zu werden? Wie geht man mit den Risiken in der Gesellschaft um?

Damit müsse sich der Staat auseinandersetzen, sagt Voigt. Denn dessen Aufgabe sei es, die innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten. Doch bei der Festlegung der rechtlichen Grundlage stoßen die Köpfe oft gegeneinander.

Aktuelle Gesetzeslage

Es ist ein Hin und Her mit den Gesetzen zur Überwachung und Datensammlung. 2006 kam vom EU-Parlament und Rat eine Richtlinie über die Vorratsspeicherung der Daten, woraufhin Deutschland 2007 das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung einführte. Darauf folgten jedoch heftige Proteste, sodass das Gesetz drei Jahre später für verfassungswidrig erklärt wurde.

Einen neuen Versuch gab es 2015. Doch auch hier wurde der Gesetzesentwurf zur Vorratsspeicherung nie offiziell umgesetzt. Und das Thema bleibt weiterhin heiß. Erst letztes Jahr hat sich der Gerichtshof der Europäischen Union abermals damit auseinandergesetzt und am 20. September 2022 Stellung bezogen: Die Vorratsdatenspeicherung wurde für unzulässig erklärt und ist nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Das Gesetz scheint also immer gegen eine Wand an Widerstand zu stoßen.

Doch es gibt einige Gesetze, die Überwachung zu einem gewissen Grad erlauben, wie zum Beispiel die Anti-Terror-Gesetze. Diese beinhalten unter anderem die Regelungen, dass Ausweispapiere stärker auf computergestützte Identifizierung ausgerichtet sind und der Verfassungsschutz Tätigkeiten beobachten soll, die sich gegen ein friedliches Zusammenleben richten. So kann dieser als eine Art Frühwarnsystem agieren.

Doch was auf dem Papier steht, ist das eine. Wie sieht das Ganze in der Praxis aus?

Normalisierung von Ausnahmezuständen

Fakt ist, momentan gibt es schon einige Einschränkungen unserer Privatsphäre, die für uns vollkommen normal sind. Das liegt daran, dass wir uns schnell an neue Situationen adaptieren. Erinnern wir uns zurück an die Pandemie. Anfangs schien es komisch überall mit einer Maske rumzulaufen, am Ende war es reine Gewohnheit. Und auch die Sicherheitskontrollen an Flughäfen waren nicht immer so streng, wie wir sie heute kennen. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA, wurden überall neue Maßnahmen eingeführt. Man kontrolliert nun genau, wer mit welchem Gepäck in ein Land reist. Da gehört es einfach dazu, vor der Kontrolle nochmal zu googlen, ob die 50 ml Handcreme mit ins Handgepäck darf und den letzten Schluck der Wasserflasche hastig auszutrinken.

Schärfere Überwachung und Kontrolle haben ihren Sinn und ihre Vorteile. Doch was ist mit den kleinen Veränderungen, die sich in unseren Alltag integrieren, die wir womöglich kaum für voll nehmen? Diese schleichenden Gewöhnungsprozesse seien am gefährlichsten, so Tristan Barczak. Die Art wie wir Bezahlen hat sich zum Beispiel in den letzten Jahren stark verändert. Wo früher der Schein gezückt wurden, kann man heute nur noch mit Karte bezahlen. In Japan ist es sogar schon möglich mit biometrischer Gesichtserkennung zu zahlen. Ist das für uns noch unvorstellbar oder in fünf Jahren auch schon gang und gäbe? Mehr Sicherheit und ein komfortabler Lebensstil – das klingt verlockend, doch im schnellen Wandel der Zeit ist es vielleicht mal gut innezuhalten und sich zu fragen „Wollen wir das überhaupt?“.

„Du hast doch nichts zu verbergen…oder?“

Oft ist dieser Satz ein Argument, um das Abhören von Telefonaten oder das Durchgehen unseres Browser-Suchverlaufs zu legitimieren. Doch Kritiker:innen geht es um das Prinzip. Es gehe keinen etwas an, was man an einem Samstagabend auf Netflix guckt oder einer Freundin in einer Sprachnachricht erzählt. Das sei eben die Privatsphäre eines Jeden. Auch der bekannte amerikanische Whistleblower Edward Snowden sieht das Argument, man habe eh nichts zu verbergen, kritisch:

Wenn man sagt, die Privatsphäre ist mir egal, ich habe nichts zu verbergen, dann ist das so, wie wenn man sagt, die Meinungsfreiheit ist mir egal, ich habe nichts zu sagen.

Edward Snowden
Bild via pixabay von Tumisu

 

Sich als Einzelperson komplett anonym im Internet aufzuhalten ist praktisch unmöglich, räumt Katharina Nocun ein. Wer liest schon die AGBs? Vielen fehle dafür nicht nur Zeit und Lust, sondern auch juristisches und technisches Wissen. Und natürlich weiß jeder „das Internet vergisst nie“, aber deswegen alle Social Media Kanäle löschen und keine digitale Präsenz mehr haben? Kaum möglich, denn man möchte in seinem sozialen Umfeld nicht ausgegrenzt werden oder braucht es eventuell für berufliche Zwecke. Es ist hilfreich ein gewisses Bewusstsein zu haben, wenn man im Internet unterwegs ist. Aber den digitalen Fußabdruck strikt auf die Eigenverantwortung zu schieben, muss kritisch betrachtet werden.

In dubio libertate – im Zweifel für die Freiheit

Eine richtige Konklusion bleibt offen. Das Thema ist komplex und kann von verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Daher sollte sich jeder eine eigene Meinung dazu bilden und diese auch äußern, bevor der „chilling effect“ eintritt. Dieser Begriff beschreibt das Phänomen, bei dem staatlichen Maßnahmen den Bürger einschüchtern und davon abhalten von seinen Grundrechten, wie freie Meinungsäußerung Gebrauch zu machen. Die eigenen Bedürfnisse sollten grundsätzlich immer kommuniziert werden, also laut werden bei Problemen!

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