The House that Lars built

„Ein Künstler muss Zyniker sein.“ Erst spät im Film fällt dieser Satz, der gleichzeitig so essenziell wie entlarvend ist. „The House that Jack built“ begleitet einen Serienkiller, den titelgebenden Jack, über einen Zeitraum von zwölf Jahren. Das Ganze ist in fünf Kapitel plus Epilog eingeteilt, wobei in episodischer Struktur die einzelnen Morde präsentiert werden. Jack ist Ingenieur, wäre jedoch gerne Architekt, er sieht sich selbst als Künstler und seine Morde als große Kunst. Als Rahmenhandlung dient ein Dialog zwischen Jack und dem mysteriösen Verge, in dem Jack von seinen Taten erzählt und sich mit Verge über diverse Themen austauscht, vorrangig jedoch über den Zusammenhang von Kunst und Moral.

Dieser Diskurs wurde bereits indirekt und ungewollt wieder aufgegriffen, als während der Premiere in Cannes diverse Zuschauer empört den Saal verließen. Auch während der Kinovorführung, welche ich besuchte, sind insgesamt fünf Personen aufgestanden und gegangen. Doch was ist das für ein Film, der derartig starke emotionale Reaktionen hervorruft?

Der sicherlich auf den ersten Blick kontroverseste Aspekt ist die Gewaltdarstellung. Hier werden nicht nur Schock- und Ekelszenen eingesetzt, sondern auch gezielt Tabus gebrochen: Die Gewalt richtet sich hauptsächlich gegen Frauen, weiterhin werden Tiere verstümmelt und auch Kinder grafisch exekutiert. Die Spezialeffekte sind hierbei eindrucksvoll und überzeugend, doch der eigentliche Schock ist die Tatsache, dass all dies präsentiert wird, als handle es sich dabei um einen einzigen großen Witz. Matt Dillons Jack ist trotz aller Künstlerallüren weniger kriminelles Mastermind als ein tollpatschiger Dummschwätzer und die unnatürlichen Dialoge triefen geradezu vor Ironie, was viel zum Unterhaltungswert des Filmes beiträgt.

„The House that Jack built“ ist über weite Strecken wie eine Komödie inszeniert. Zugegeben, eine extrem zynische und sadistische mit einem radikalmisanthropischen Grundtenor, aber wie eine Komödie nichtsdestotrotz. Dies ist wohl auch der beste Zugang zum Film: Moralbefreit und mit genügend schwarzem Humor ausgestattet. Somit hängt es auch stark von der Geisteshaltung des Zuschauers ab, ob er Szenen, wie die, in der Jack eine abgeschnittene Frauenbrust auf die Windschutzscheibe eines Polizeiautos klatscht, als schwarzhumorig oder als gewollt einordnet. Womit wir wieder bei dem Thema des Films sind: Inwieweit muss Kunst moralisch sein?

Selbst bei der Betrachtung aus einer rein ästhetischen Sichtweise gibt „The House that Jack built“ immer noch Anlass zur Kritik. Einmal ist die Kameraarbeit nach von-Trier-Verhältnissen fast schon erschreckend konventionell. Von den verwackelten, holprig geschnittenen, aber dennoch atemberaubenden Bildern aus „Antichrist“ findet sich hier kaum noch etwas. Dann werden Einstellungen wiederholt und die Dialoge zwischen Jack und Verge sind teilweise redundant, wodurch die Länge des Films an einigen Stellen spürbar wird. Auch Lars von Triers Selbstverliebtheit macht die zweite Hälfte anstrengender, als sie sein müsste. Spätestens wenn Jack über große Kunst spricht und dazu Ausschnitte aus älteren Filmen des Regisseurs eingeblendet werden, stellt sich die Frage, ob das wirklich sein musste, oder ob von Trier dem Zuschauer nur völlig bewusst auf die Nerven gehen will.

Dann ist da noch das Ende. Aus narrativer Sicht ist es unerwartet und unkonventionell, womit die Spannung bis zum Schluss gehalten wird. Doch bei dem Versuch, die Bedeutung zu entschlüsseln, entpuppt es sich als zweischneidiges Schwert: Eine mögliche Deutung wäre, dass hier plötzlich die Moralisierung stattfindet, die der Film vorher so kunstvoll vermieden hat und er somit seine eigene These hintergeht. Andererseits sehen wir einen Künstler, der absolut konsequent lebt und für sein Werk bis in den tiefsten Kreis der Hölle hinabsteigt. Wenn der Zuschauer außerdem von Triers Aussage, dass Jack ihm ähnelt, Glauben schenkt, so deuten diese Szenen auch ein Streben oder zumindest den Wunsch nach einer absoluten Moral an.

Insgesamt ist „The House that Jack built“ also kein perfekter Film. Aber er provoziert und polarisiert, er attackiert unsere Erwartungshaltung, er attackiert unsere Sehgewohnheiten und er attackiert unsere Moralvorstellungen, weshalb er zum Denken anregt und definitiv sehenswert ist.