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Tatort – Hip oder spießig?

Es ist 20 Uhr, der Gong der Tagesschau erklingt und die Familie versammelt sich vor dem Fernseher. Erst Nachrichten, dann Tatort – ein typischer Sonntagabend in Wohnzimmern einer deutschen Reihenhaussiedlung.

Diese Momente in denen man sich heimlich im Pyjama mit Sternenmuster und Mickey Mouse-Print hinter dem großen Ledersofa der Eltern versteckt hat, um einen Blick auf das Krimiphänomen zu erhaschen. Für viele sind sie wohl fester Bestandteil der Kindheit. Bei großem Glück war dabei sogar der Anblick einer Leiche auf dem Skalpelltisch des Gerichtsmediziners inbegriffen.

Tatort bewahrt vor endlosem Zappen

Der Tatort, seit 47 Jahren fester Bestandteil der deutschen Fernsehlandschaft, lässt sich auch im Zeitalter der digitalen Unterhaltungsflut nicht unterdrücken. Ganz nach dem Motto:, „Wir amüsieren uns zu Tode“, wie der Medienwissenschaftler Neil Postman bereits in den 80ern feststellte, verleiht der Tatort ein Gefühl von Tradition und Sicherheit, das in unserer rastlosen Gegenwart, oftmals fehlt und bewahrt vor endlosem Zappen durch Koch-Shows, Quiz Sendungen und Castingformaten. Die Begeisterung für die TV-Reihe geht so weit, dass der Tatort lange nicht mehr nur im Wohnzimmers geschaut wird, sondern mittlerweile jeden Sonntag auf der Leinwand beim Public Viewing.

Warum begeistert der Tatort auch nach 47 Jahren noch Jung und Alt?

Auf Paletten sitzend und mit einer Club Mate im Mundwinkel treffen sich die hippen Tatort Fans, um Sonntag für Sonntag die neuesten Fälle der Ermittler auf einer großen Leinwand zu verfolgen. Doch bei dieser Public Viewing Veranstaltung ist der Gegner nicht Italien, England oder Frankreich, sondern die Personifizierung des Bösen, der Täter. Spießigkeit sucht man hier vergeblich. Nach – oder bei nervigen Begleitern während des Tatorts – wird hitzig diskutiert.

So findet sich immer ein Fachmann für Gerichtsmedizin, Täterpsychologie oder ein Waffenspezialist, der fest davon überzeugt ist, der Schuss mit diesem Kaliber aus dieser Entfernung und mit diesem Winkel nicht die tödliche Flugbahn eingenommen hätte.

Doch was fasziniert die Deutschen an diesem Krimiformat?

Zum Einen sind es die charismatischen Ermittler, die oft mit eigenen Problemen beschäftigt sind und ihr Leben scheinbar nicht wirklich im Griff haben.

Das Münsteraner Duo aus dem ruppigen Kriminalhauptkommissar Frank Thiel, dessen Herz für St.Pauli schlägt und Gerichtsmediziner Karl-Friedrich Boerne, mit eigenwilligen Sherlock Holmes Manieren, gespielt von Publikumsliebling Jan Josef Liefers,  sind die Quoten-Reiter unter den Ermittler Teams. Mit der 2015 ausgestrahlten Folge „Schwanensee“ halten sie mit 13,69 Millionen Zuschauern den Rekord der höchsten Zuschauerzahl seit 1992.

Weiter wäre da der wichtige lokale Bezug. Das Konzept der Krimireihe sieht vor, dass die einzelnen Rundfunkanstalten der ARD jeweils für ihr Sendegebiet zuständig sind. Dadurch bekommt der Tatort einen erkennbaren lokalen Bezug zum Schauplatz – und erfreut beispielsweise Kölner Zuschauer mit dem Einblenden des Doms oder mit einem Besuch der Ermittler Ballauf und Schenk in der berühmten Currywurst-Bude.

Und nicht zu vergessen, der gesellschaftspolitische Bezug, der Einblicke in entfernte Milieus gibt und sich mit aktuellen Probleme auseinandersetzt. Wer schaut nicht gerne rund 90  Minuten in die Psyche eines Chrystal Meth-Abhängigen?

Ob nun auf Paletten oder der Biedermeier Chaiselongue – das Phänomen Tatort ist alles andere als spießig und veraltet, sondern modern und offen für Neues. Was wäre das nur für ein Gefühl, Sonntage ohne Tatort, das möchte man sich beim besten Willen nicht vorstellen.

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