Spannung ohne Ende

Filme über Schriftsteller neigen oftmals dazu, klischeebeladener und weitaus weniger intelligent zu sein, als sie es gerne wären. Wenn sich nun aber Altmeister Roman Polanski diesem Thema (wieder) widmet darf man dennoch die Erwartungen recht hoch ansetzen.

Die Pariser Autorin Delphine ist nervlich am Ende. Zwar wurde ihr letzter, sehr persönlicher Roman über ihre Mutter ein Bestseller, doch sie erhält anonyme Drohbriefe und leidet unter einer Schreibblockade. Während einer Signierstunde lernt sie Elle kennen und freundet sich mit ihr an. Die beiden Frauen verstehen sich gut und tauschen sich bald über die verschiedensten Dinge aus. Elle ist ein großer Fan von Delphine und möchte ihr helfen, wieder mit dem Schreiben anzufangen. Als Delphines Freund für einige Zeit im Ausland ist und Elle ihre Wohnung verliert, nimmt Delphine sie bei sich auf. Doch nach und nach scheint Elle immer weiter in Delphines Leben einzudringen und düstere Vorahnungen machen sich breit.

„Nach einer wahren Geschichte“ ist gleichsam minimalistisch und stilvoll inszeniert. Lediglich einige wenige Traumsequenzen stechen visuell etwas hervor. Im Zentrum stehen zwei interessante Frauenfiguren, Autorin Delphine, gespielt von Emmanuelle Seigner, und die mysteriöse Elle, welche von Eva Green verkörpert wird. Beide machen ihre Aufgabe hervorragend und liefern vielschichtige und interessante Charaktere ab. Über weite Strecken mutet der Film fast wie ein Theaterstück an, da er sich kammerspielartig auf wenige Orte und Darsteller beschränkt.

Natürlich muss man zugeben, dass das Drehbuch hier nicht das Rad neu erfindet. Die Grundelemente der Handlung sind alle bereits bekannt und waren im Kino auch schon des Öfteren zu begutachten. So kann man hier unter anderem Einflüsse aus Polanskis eigenem Film „Bitter Moon“ und, besonders eindeutig gegen Ende, aus der Stephen King-Adaption „Misery“ ausmachen. Doch hier geht es nicht darum, eine revolutionär neue Ausgangssituation zu schaffen, auch wenn die hervorragende Inszenierung dazu beiträgt, dass „Nach einer wahren Geschichte“ über weite Strecken auch als konventioneller Thriller funktioniert. Denn die bemerkenswertesten Qualitäten des Films und der eigentliche Grund, ihn sich anzuschauen, liegen woanders.

Zum einen geht die Inszenierung deutlich über die eines typischen Genrewerkes hinaus und es herrscht eine permanent angespannte Atmosphäre. Auch wenn nur selten etwas wirklich Bedrohliches passiert, zerrt „Nach einer wahren Geschichte“ dennoch permanent an den Nerven des Zuschauers. Während viele Filme, gerade aus dem Thriller- oder Horrorbereich, oftmals daran scheitern, dass sie nach längerem Spannungsaufbau mit einer schwachen Auflösung enttäuschen, ist „Nach einer wahren Geschichte“ wesentlich geschickter. Unbehagen entsteht hier nicht durch die Erwartung einer finalen Katharsis sondern durch eine permanente Mehrdeutigkeit des Präsentieren. Es gibt viele kleine Details zu entdecken und kaum eine Szene ist wirklich eindeutig, wodurch eine klare Sinnrekonstruktion erschwert wird.

Dies führt auch zu dem zentralsten Aspekt des Films: Denn hier wird sehr stark mit Auslassungen gearbeitet. Am offensichtlichen ist das natürlich bei der Figur der Elle: Wir erfahren lediglich vage Details über ihren Hintergrund. Außerdem ist sie offensichtlich psychisch gestört, weshalb man nicht sicher sein kann, wieviel von ihren Erzählungen der Wahrheit entspricht. Doch auch die Motive von Delphine, unserer scheinbaren Hauptfigur werden nie vollständig durchleuchtet. Was genau ist der Inhalt ihres letzten Buches und warum genau hat sie ein so schwieriges Verhältnis zu ihrer verstorbenen Mutter? Wer schickt ihr die anonymen Briefe? Und warum? So finden wir auch auf der reinen Handlungsebene einige bewusste Auslassungen, die den Zuschauer zum Mitdenken animieren. Viele, wenn nicht gar alle Fragen werden hier nicht beantwortet.

Wenn man dann noch ein konventionelles Ende erwartet, wird man im ersten Moment enttäuscht sein, dass der Film nicht in einem klassischen Showdown gipfelt. Doch stattdessen präsentiert uns Polanski, für den abrupte und unversöhnliche Enden fast schon ein Markenzeichen sind, eine viel interessantere, bitterböse Pointe, die verwirrt und vor den Kopf stößt.

Dennoch wissen wir am Ende genug, um das vorher Gesehene noch einmal neu bewerten zu können. Blickt man nun auf den gesamten Film zurück, lädt er ein, aus verschiedenen Perspektiven betrachtet zu werden. Wie genau lassen sich die präsentierten Geheimnisse entschlüsseln? Hier macht „Nach einer wahren Geschichte“ den Rezipienten zum Komplizen, indem er ihn zwingt, in die Geschichte einzutauchen und selbst zu entscheiden, was letzten Endes „wahr“ ist. Polanski verdeutlicht wieder einmal, vielleicht eher subtil als eindrucksvoll, nichtsdestotrotz sehenswert, dass ein wirklich hervorragender Film mehr als nur die Summe seiner Teile zu bieten hat.