Wenn ein Mädchen mit Zöpfen in den Kindergarten kommt, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Eltern überzeugte Nationalsozialisten sind? Dieser und weiteren brennenden Fragen gehen Frank Geiger und Mohammad Farokhmanesh in ihrem Dokumentarfilm „Kleine Germanen“ nach. Hier soll ergründet werden, wie politisch rechts gesinnte Menschen ihre Kinder erziehen und inwieweit die Kindheit einer Person deren spätere Weltanschauung beeinflussen kann.
„Kleine Germanen“ besteht aus zwei Hauptkomponenten. Einmal zeigt der Film Interviews mit Vertretern des neurechten bis rechtsradikalen Spektrums. Der Verleger Götz Kubitschek und Martin Sellner, Vorsitzender der Identitären Bewegung Österreich, dürften aufgrund ihrer medialen Präsenz in den vergangenen Jahren zu den wohl prominentesten darunter gezählt werden. Die Interviewten erzählen von ihrer Kindheit, ihren Einstellungen und ihren Erziehungsmethoden. Diese Segmente profitieren davon, dass sie in einem angebracht nüchternen Stil gedreht sind. Es wird eine starke Authentizität hergestellt und der Eindruck geweckt, die Befragten teilten ungezwungen und frei ihre Gedanken mit. Obwohl die Aussagen in den Interviews von kontroversen Persönlichkeiten kommen, sind sie zum Großteil erschreckend harmlos und banal.
Stellenweise werden noch Ausschnitte öffentlicher Reden der Personen eingespielt, um einen Kontrast zu erzeugen. Wenn eine ehemalige NPD-Funktionärin erst in der heimeligen Küche beim Philosophieren über die Kindererziehung und dann während einer Pegida-Demonstration hinter dem Mikrophon gezeigt wird, hat das schon einen gewissen Gruselfaktor. Aber es ergibt noch kein schlüssiges Bild. Etwas Kontext liefert dann zwischendurch der Off-Kommentar. Hier kommen einige Rechtsextremismusexperten zu Wort und erklären, woran man Kinder aus völkischen Haushalten erkennt. In der Kurzform: Mädchen, die Zöpfe tragen; Jungen, die bei Prügeleien nicht den Kürzeren ziehen und generell Kinder, die diszipliniert sind. Diese Szenen sind mit Bildmaterial von blonden Kleinkindern unterlegt, die nichts mit dem Rest der Dokumentation zu tun haben und extra für diese Segmente gecastet wurden.
Ihr Opa ließ sie Passagen aus „Mein Kampf“ auswendig lernen
Der ästhetische Höhepunkt ist dann auch gleichzeitig der journalistische Tiefpunkt des Filmes: Die Geschichte von Elsa. Laut den Regisseuren handelt es sich bei Elsa um eine real existierende Person, die den Ausstieg aus der rechtsextremen Szene geschafft hat und aus Schutzgründen heute ein Leben unter einem anderen Namen führt. In hübsch animierten Zeichentricksequenzen werden verschiedene Stationen ihres Werdegangs erzählt. Es beginnt mit ihrer frühkindlichen Sozialisation durch ihren Altnazi-Opa, der sie Passagen aus „Mein Kampf“ auswendig lernen lässt und sie zur stoischen Kriegerin erziehen will. Regelmäßig steckt er sie dafür in eine Wehrmachtsuniform, gelegentlich wird dann auch im heimischen Wohnzimmer Stalingrad nachgespielt. Das ist irritierend, da im Dritten Reich bekanntlich ja nur Männer für den Kriegsdienst eingezogen wurden. Wäre es da aus der NS-Perspektive des Opas nicht logischer, sie zur fleißigen Hausfrau und Mutter zu erziehen? Als er Elsa aus einem antisemitischen Buch vorliest, in dem Juden mit Ratten gleichgesetzt werden, folgt dann eine groteske Traumsequenz, in der Elsa gegen eine monströse Ratte mit Hut und Judenlocken kämpft.
Als Jugendliche tritt sie einer nicht näher benannten rechtsextremen Partei bei und heiratet schließlich einen Neonazi. Sie ziehen mit mehreren Gleichgesinnten in ein rechtes Wohnprojekt auf dem Land und betreiben einen Bauernhof. Elsa bekommt zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn, der Sohn kommt mit einer geistigen Behinderung zur Welt. Spätestens hier gibt es natürlich Konflikte, da die rechte Gemeinschaft sich weigert, das behinderte Kind zu akzeptieren. Elsas Ehemann verprügelt sowohl sie als auch die Kinder, wenn er nicht gerade Flüchtlingsheime anzündet. Bei diesem Charakter findet sich das meiste verschenkte Potential. Der Film möchte die Frage behandeln, inwieweit die Sozialisierung eines Menschen ihn dazu bewegen kann, sich rechten Ideologien zuzuwenden. Aber gerade bei dem Nazi-Ehemann, der definitiv abstoßendsten Figur, wird auf jegliche Psychologisierung verzichtet. Im weiteren Verlauf gibt es noch einige dramatische Szenen, die darauf ausgelegt sind, bei den Zuschauern eine starke emotionale Reaktion auszulösen, bevor Elsas Geschichte vor einem Schlussbild mit Sonnenuntergang endet.
Harmlose Interviews in skandalösen Rahmen eingebettet
Problematisch ist an „Kleine Germanen“, dass sonst einfach nichts mehr kommt. Wir sehen echte Rechte in Interviews vor der Kamera nett daherplaudern, wir sehen Elsas mit diversen Grausamkeiten und melodramatischen Elementen angereicherten Zeichentrickepisoden und dazwischen hören wir die Rechtsextremismusexperten, die wohl einen Zusammenhang konstruieren sollen. Doch dies gelingt dem Film nie. Die Zeichentricksequenzen sollen die Schocks liefern, die in den Interviews ausbleiben und ihnen eine skandalöse Rahmung geben. Beispielsweise erzählt der neurechte Verleger Götz Kubitschek davon, dass er als Kind viel draußen gespielt hat. Was soll uns diese Szene im Kontext des Filmes vermitteln? Lasst Eure Kinder nicht draußen spielen, sonst verlegen die irgendwann Bücher?
Selbstverständlich dürfen rechtsextreme Straftaten nicht verharmlost werden und es ist auch klar, dass die befragten Rechten es vor laufender Kamera vielleicht eher vermeiden, allzu kontroverse Aussagen zu tätigen. Aber die Argumentation von „Kleine Germanen“ ist absurd. Eigentlich ist gar keine wirkliche Argumentation vorhanden. Zu vieles wird einfach ohne Begründung in den Raum gestellt und nicht weiter erläutert. Führt die Jugend auf dem Bauernhof denn zwangsläufig zur rassischen Denkweise? Was ist denn mit den Kindern, die diszipliniert erzogen wurden und nicht der NPD beigetreten sind? Und ist es nicht sowieso ein bisschen unverschämt, Mädchen mit Zöpfen unter Generalverdacht zu stellen? Auch der Titel ist eine Frechheit: Sind Germanen jetzt schon das gleiche wie Neonazis?
Es hat durchaus eine gewisse Ironie, dass hierfür das Prädikat „besonders wertvoll“ vergeben wurde, da es sich um ein in journalistischer Hinsicht annähernd komplett wertloses Machwerk handelt. Außer natürlich, man legt gesteigerten Wert darauf, den Kindheitserinnerungen irgendwelcher NPD-Aktivisten zu lauschen. Allen anderen kann als weiterführender Filmtipp vielleicht „Rambo 3“ ans Herz gelegt werden. Der erhielt 1988 zwar nur das Prädikat „wertvoll“, ist aber tatsächlich wesentlich kompetenter und ehrlicher sowohl konstruiert als auch inszeniert.