Die Stadt Passau diskutiert über ein neues Sicherheitskonzept. Seit dem 24. April existiert eine Beschlussvorlage, welche neben einer besseren Beleuchtung der Innpromenade auch eine Videoüberwachung des Klostergartens beinhaltet. Elf Kameras und ein Kontrollzentrum mit Live-Übertragung sollen installiert und gebaut werden. Kostenpunkt: 200 000 Euro. Die geplante Maßnahme könnte den Datenschutz der Passauer Bürger einschränken und ist außerdem viel zu teuer – finden die Grünen. Wir haben uns mit ihnen getroffen und nachgehakt. Ein Gespräch mit den Grünen Karl Synek und Claus Schönleber.
Vor wenigen Wochen kam der 15-jährige Maurice nach einer Auseinandersetzung in einem Passauer Fußgängertunnel ums Leben. Sehen sie hier eine direkte Verbindung zur aktuellen Diskussion um die Sicherheitslage in Passau?
Schönleber: Nein, natürlich nicht. Von Einzelfällen kann man nie auf die Gesamtlage schließen.
Synek: Man sieht schon am Datum: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Am 23. April, also vor dem Todesfall, wurde das Sicherheitskonzept im Stadtrat vorgestellt. Einen Monat früher hat unsere Partei sogar einen Sicherheitsbericht der örtlichen Polizei bekommen. Dieser sagt aus, dass die Stadt Passau Jahr für Jahr sicherer wird. Die Kriminalitätsrate geht zurück, wir sind eine der sichersten Städte überhaupt.
Herr Synek, Sie nennen Passau eine der sichersten Städte überhaupt. Wieso also Videoüberwachung?
Synek: Im geplanten Sicherheitskonzept wird mit der gefühlten Unsicherheit argumentiert. Diese Angst ist nicht beweisbar und für mich auch nicht nachvollziehbar. Es handelt sich um ein rein subjektives Gefühl. Nach meiner Meinung steht das Sicherheitskonzept in direkter Verbindung zu den kommenden Landtagswahlen. Die CSU hat die Sicherheit der Bürger als oberstes Wahlkampfziel festgelegt. Mit dem Polizeiaufgabengesetzt wurde auf Landesebene schon viel getan um dieses Ziel zu erfüllen, nun bricht man den Prozess auf die Kommunen herunter. Man versucht hier so viel zu tun wie möglich ist, und das ist nun mal die Videoüberwachung an besonderen Brennpunkten.
Schönleber: Das subjektive Gefühl ist nach Aussage vieler Stellen, zum Beispiel von Anwaltsvereinen oder der des Richterbundes, kein Grund für eine solche Maßnahme. Es geht, wie auch in den Beschlussvorlagen definiert, hauptsächlich um Abschreckung. Den besten Effekt erzielt Videoüberwachung in Parkhäusern, und auch dort nur mit zusätzlichem Personal und besserer Beleuchtung. In Stadtzentren oder Wohngebieten ist keine entscheidende Verbesserung zu erkennen.
Herr Synek, Sie sprechen von Brennpunkten. Existieren solche in Passau überhaupt?
Synek: In Passau ist der Oberbürgermeister der CSU einfach einen Schritt voraus gewesen und hat den Brennpunkt vor der politischen Konkurrenz festgelegt. Die Frage ist jedoch: Wann ist ein Brennpunkt überhaupt ein Brennpunkt? Grundsätzlich verlangt das Verfassungsgericht einen Vergleich mit anderen Städten und deren Brennpunkte. Dies ist in Passau nicht geschehen. Wir hatten auf dem Exerzierplatz 14 Drogendelikte, im Vergleich zu den Zahlen im Jahr 2015 gab es hier eine Steigerung. Die Gewaltkriminalität jedoch hat abgenommen. Das Sicherheitskonzept basiert also auf diesen Drogendelikten. Man kann sich jetzt natürlich darüber streiten ab welcher Summe von Drogendelikten von einem Brennpunkt gesprochen werden kann. Acht? Zehn? Elf? Wer bestimmt das? Auf Nachfrage beim Ordnungsamt war von einem Ameisenhandel die Rede, es herrscht also keine Rauschgiftkriminalität wie man sie aus Großstädten kennt, es kann höchstens von Kleinkriminellen gesprochen werden.
Das Problem bei der Videoüberwachung: Es wird jeder gefilmt der sich im Radius der Kameras aufhält. Welche Bevölkerungsgruppe würde sich im Fall der Umsetzung am häufigsten in diesem Radius bewegen?
Synek: Definitiv Studenten und Studentinnen. Tausende überqueren den Platz täglich um die Universität zu erreichen. Es kann und darf nicht sein, dass etliche unbescholtene Bürger pausenlos gefilmt und beobachtet werden. Tausende Studenten, hunderte Wochenmarktbesucher, Erholungssuchende und auch Demonstranten die den Platz nutzen möchten. Das ist nicht richtig und auch nicht rechtens, vor allem weil der entsprechende Brennpunkt einfach nicht existiert.
Also steckt hinter dem Drang nach mehr Sicherheit eigentlich nur Wahlkampf?
Synek: Es ist definitiv ein Wahlkampfthema. Es geht jedoch um die Rechte der Passauer Bürger. Wir werden nächste Woche einen Antrag im Stadtrat stellen der zum Ziel hat, das Konzept so nicht umzusetzen.
Der Klostergarten wurde bewusst übersichtlich konzipiert, dennoch wird die Sicherheit dort in Frage gestellt. Wieso?
Synek: Die Sicherheitsfrage ist derzeit einfach überall präsent. Sie entspringt jedoch nicht aus der Kleinkriminalität, sondern aus der Angst vor dem Terrorismus. Bürger haben keine Angst vor Drogendealern auf dem Exerzierplatz, sondern, wenn überhaupt, vor Anschlägen in der Fußgängerzone.
Schönleber: Das Problem ist, dass das Wort Sicherheit derzeit einfach als Schlagwort benutzt wird. Horst Seehofer sagte in diesem Zusammenhang 2016: „Der Grundpfeiler der Demokratie ist Sicherheit.“ Wer sich jedoch ein bisschen auskennt mit der griechischen Philosophie weiß, dass es eigentlich heißen müsste: „Der Grundpfeiler der Demokratie ist Freiheit.“ Freiheit und Sicherheit haben aber ein sehr komplexes Verhältnis zueinander. Ohne ein gewisses Maß an Sicherheit kann ich keine Freiheit garantieren. Auf der anderen Seite sind die Begriffe sehr gegensätzlich. Wir leben in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat, Freiheit sollte also Priorität haben. Schon Eisenhower, welcher wirklich nicht als Linker bekannt war, sagte: “If you want total security, go to prison. There you’re fed, clothed, given medical care and so on. The only thing lacking is freedom.“ Sicherheit ist kein Kriterium für einen freiheitlichen Staat.
Wie sieht es mit der Finanzierung aus?
Synek: Die geplante Videoüberwachung soll in der Anschaffung circa 200 000 Euro kosten. An die bereits bestehende Toilettenanlage soll ein weiteres Häuschen gebaut werden, in welchem die Technik mitsamt Bildschirmen für die Überprüfung der Bilder untergebracht werden soll. Des Weiteren würden sechs Masten aufgebaut werden, an welchen die insgesamt elf Kameras hängen sollen.
Und die Live-Bilder werden dann auch tatsächlich genutzt?
Synek: In Passau gibt es die sogenannte Sicherheitswacht, also besorgte Bürger, die als kommunale Wache auf Streife gehen. Dieser geht es hauptsächlich um Prävention, auch weil sie eben nicht mehr Rechte als jeder andere Bürger hat. Anstatt sich auf dem Platz 50 Meter weiter aufzuhalten, will diese Sicherheitswacht zukünftig im Anbau der Klohäuschen sitzen und auf die Bildschirme starren. Ein absoluter Unsinn. Und wenn sie dann etwas Verdächtiges entdecken, müssen sie die Polizei rufen – wie jeder andere Bürger eben auch.
Schönleber: Der Einsatz privater Sicherheitsdienste ist derzeit, höflich gesagt, Mode. Ein Milliardenmarkt mit welchem viel Geld zu verdienen ist. Und trotzdem: Diese Dienste haben definitiv keine Sonderrechte, dürften nicht einmal Personalien kontrollieren. Private Konzerne mit Polizeiaufgaben sind gefährlich und sollten verhindert werden. Der Staat selbst zieht sich immer mehr zurück und übergibt Aufgaben privaten Konzernen, überlässt diesen sogar hoheitliche Aufgaben, wie es in unserem Nachbarland Österreich der Fall ist. Das darf nicht sein.
Synek: Wir haben einen ständigen Abbau von Freiheitsrechten. Auch das Psychiatriegesetz oder Polizeiaufgabengesetz gehen in diese Richtung. Ich sehe hier den Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes permanent gefährdet. Auch die DDR nutzte die Videotechnik. Und die DDR war ein Überwachungsstaat. Das sollte einem zu denken geben.
Ursprünglich war der Termin der Entscheidung über diese neuen Sicherheitsmaßnahmen auf den 23. April datiert. Wie kam es zur Aufschiebung auf den 14. Mai?
Synek: Das war also am 23. April im Stadtrat und hätte durchgewunken werden sollen. Einfach so. Ich habe dann nachgehakt und Fragen gestellt, beispielsweise ob Aufzeichnungen stattfinden und was wie lange gespeichert wird. Als Antwort bekam ich, dass all das gar nicht bekannt sei. Selbst den Stadträten war das überhaupt nicht bewusst. Das ist auch das allgemeine Problem in der Bevölkerung. Die meisten sehen kein Problem dahinter, sehen ihre Rechte nicht verletzt. Doch das sind sie.
Der Bayerische Rundfunk hat die SPD Passau mit den Worten „Das müssen uns unsere Bürger wert sein.“ zitiert. Was sagen Sie?
Schönleber: Eigentlich heißt SPD doch sozial demokratisch und nicht sozialistisch. (lacht)
Der Chef der Metropolitan Police in England sagte 2008, dass die Kameras in Großbritannien eine reine Katastrophe darstellen. Mit Hilfe von einer Million Kameras – in London allein – haben sie einen gelösten Fall auf 1000 Kameras. Das zeigt wie niedrig die Effizienz dieser Videoüberwachung ist. Dafür haben sie aber 500 Mio. Pfund ausgegeben.
Synek: Das müssen uns unsere Bürger wert sein. (beide lachen)
Schönleber: Ich habe noch andere Zahlenbeispiele: In England wurden mit Hilfe von Kameras 8 von 269 Raubüberfälle aufgeklärt. Deshalb erklärte eine britische Stadträtin auch, dass ihrer Erfahrung nach Kameras nicht besonders hilfreich für tatsächliche Aufklärung seien. Für Effizienz spricht dabei nichts.
Dennoch gibt es viele Menschen, die nichts gegen Videoüberwachung haben, da sie es nach wie vor als Vorteil für ihre Sicherheit sehen.
Schönleber: Natürlich. Wenn ich unter den 8 Opfern wäre, dann fände ich es gut, dass der Fall aufgeklärt werden konnte. Aber wäre ich unter den Restlichen der 261 Fälle, die nicht aufgeklärt sind, dann würde ich mich tatsächlich fragen, warum London alleine eine halbe Milliarde Pfund ausgegeben hat für eine Million Kameras, ohne wirklichen Nutzen. Vereinzelte Erfolge wird es immer geben, aber der Aufwand muss sich ja auch irgendwo rechnen. Und wenn ich dann eine Methode habe, die effizienter ist, wie meiner Meinung nach polizeiliche Fußstreifen, dann wäre das vorzuziehen.
Wenn Sie von mangelnder Effizienz und daher prinzipiell von einer Geldverschwendung durch Videoüberwachung sprechen: Wo sehen Sie das Geld besser investiert?
Schönleber: Ich sehe das Geld besser in Sozialarbeiterstellen angelegt. Auch gerne in mehr Personal bei der Polizei. Damit wir unsere hoheitlichen Pflichten und verantwortungsvollen Aufgaben wahrnehmen können.
Synek: Ich plädiere auch für Sicherheit, aber für tatsächliche. Die Leute fühlen sich nämlich unsicher an der Innpromenade bei Nacht, wenn sie den unbeleuchteten Weg Richtung Klinikum raus nutzen. Im Vorschlag des neuen Sicherheitskonzepts ist nun eine Ausweitung der Beleuchtung bis zur Eisenbahnbrücke aufgeführt. Ich beantrage darüber hinaus die Erweiterung der Beleuchtung bis zum Klinikum. Das ist tatsächliche Sicherheit. Wenn man schon Geld für Sicherheit ausgibt, dann ist es dort besser angelegt als in der Videoüberwachung.
Auf dem Exerzierplatz soll die Videoüberwachung auch das Problem der Drogenkriminalität lösen. Wie stehen Sie dazu?
Synek: Ich kenne die Statistik zum Anstieg der Drogenkriminalität im Klostergarten von 4 Fällen im Jahr 2015 auf 14. Also eine Verdreifachung. Das ist allerdings auf die erhöhte Polizeipräsenz in den vergangenen zwei Jahren in Passau zurückzuführen. Dadurch wurden mehr erwischt. Außerdem wird die Drogenkriminalität in Passau nicht aufhören, wenn sie im Klostergarten nicht mehr stattfindet. Dann gehen sie an die Innpromenade und überwacht man dort, dann gehen sie ans Schanzl. Die Drogenkriminalität kann ich mit Kameras nicht austrocknen. Ich kann sie nur verlagern.
Besteht mit der geplanten Videotechnik die Möglichkeit, auch Bewegungsanalysen oder Gesichtserkennungen anzuwenden?
Schönleber: Es ist in dem bisherigen Entwurf nicht vorgesehen, aber technisch absolut möglich. Sollte also jemand in fünf oder zehn Jahren wieder eine Idee haben…
Wir haben ja bereits über das Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit in einer Demokratie gesprochen. Weshalb denken sie, sind sehr viele Bürger dennoch bereit ihre Freiheitsrechte immer weiter einschränken zu lassen, um sich sicherer zu fühlen?
Schönleber: Ganz einfach: Weil wir Freiheit gewohnt sind. Weil ich mir darüber keine Gedanken mehr mache. Und in dem Moment, in dem ich woanders hinkomme und mein Verhalten kritisiert oder vielleicht sogar bestraft wird, mache ich mir vielleicht Gedanken was ich eigentlich an zu Hause habe. In dem Moment, in welchem die Menschen eine kritische Menge an Freiheit einbüßen, wird es denen auch wieder bewusst, aber das mag dann für die nächste Zeit erst mal zu spät sein.
Synek: Das ist ein schleichender Prozess. Erst im Nachhinein wird man sagen: „Mensch, damals hätte man stopp sagen müssen.“
Im anschließenden Gespräch berichtete uns Claus Schönleber noch von der bestehenden Videoüberwachung im privaten Bereich. Allein am ZOB in Passau sind rund 50 Kameras installiert, in der Fußgängerzone geht die Überwachung weiter. Er kann nicht verstehen, wieso sein Besuch im Wirtshaus mitgefilmt werden muss. Eigentlich eine gute Frage.
Das geplante Sicherheitskonzept wird am 14. Mai erneut im Stadtrat aufgegriffen werden. Mittlerweile haben sich auch Teile der CSU gegen das Konzept gewendet.