„Wir dürfen die Zukunftsthemen nicht verschlafen“

Christian Flisek ist 1990 der SPD beigetreten. 2009 trat er bei der Europawahl an und von 2013 bis 2017 war er Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Er ist nun Landtagskandidat für den Stimmkreis Passau-Ost.

 

Warum sollte ich als Student genau Sie wählen?

Für die Zukunft der Stadt Passau ist die Universität, meiner Meinung nach, unglaublich wichtig. Die Uni könnte sich fachlich etwas breiter aufstellen, den Ausbau zu einer Universitätsklinik halte ich für sehr zukunftsträchtig. Wir haben hier zwar unglaublich gute Ausbildungsgänge, aber es bleiben leider noch zu wenige der hochqualifizierten akademischen Fachkräfte in der Region. Ich möchte an der Debatte teilnehmen, wie man die Uni auch für die nächsten 40 Jahre erfolgreich gestalten kann.

Was sind die drei wichtigsten Punkte Ihres Programms?

Erstens das Thema Gründerregion Passau. Bei mir steht stark im Fokus wie wir unsere Hochschullandschaft voranbringen. Das zweite wichtige Thema ist, wie wir es schaffen können, aus den Erfahrungen von 2015 zu lernen, und uns für unsere europäischen Errungenschaften – wie den Schengenraum – einzusetzen. Mein dritter Punkt ist, dass wir uns bewusst machen sollten, dass wir im Herzen einer europäischen Donauregion leben. Es gibt seit etwa zehn Jahren die Makroregion Donauraum mit klaren politischen Zielen und Fördergeldern. Das ist ein kulturelles und historisches Kapital, das enorme Chancen für wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit bietet.

Bayern ist stark christlich geprägt. Was sind Ihrer Meinung nach typisch christliche Grundwerte? Setzen Sie diese in ihrem Programm um?

Der christliche Grundsatz der Nächstenliebe – den würde ich als Sozialdemokrat mit Solidarität übersetzen – ist nichts, was nur einer Religion zugeordnet werden kann. Deswegen sollten wir nicht so hirnvernagelt sein und glauben, dass allein unsere Werte ein christliches Monopol haben. Wir sollten Werte so definieren, dass sie offen und anschlussfähig für Menschen aller Kulturen und Religionen sind.

Wie positionieren Sie sich bei der Kreuz-Debatte, halten Sie Kruzifixe in öffentlichen Einrichtungen für ein passendes, repräsentatives Symbol?

Kreuze sollten von Kirchen und nicht per Erlass eines Ministerpräsidenten oder einer Regierung aufgehängt werden. Insofern halte ich das für einen falschen Ansatz.

Der Wohnraum für Studierende wird mit jedem Semester knapper, die Mietpreise steigen. Sehen Sie hier Möglichkeiten zur Verbesserung?

Wir müssen viel mehr in den studentischen Wohnungsbau investieren. Das ist am besten in den Händen eines Studentenwerkes und sollte nicht unbedingt den Gesetzen des freien Marktes überlassen werden. Da passt es nicht rein, dass der Freistaat Bayern unter dem damaligen Finanzminister Söder vor knapp drei Jahren ohne Not 350.000 landeseigene Wohnungen verscherbelt und privatisiert hat. Statt Sozialwohnungen hat man nun eine Immobilienheuschrecke, die jedes Jahr versucht die nächste Mieterhöhung durchzudrücken. Der jetzige Ministerpräsident lügt sich in die Tasche, wenn er sagt, wir wollen jedes Jahr 5.000 neue Wohnungen bauen. Da bräuchte man jährlich wahrscheinlich das Zehnfache alleine in München.

Wie steht Ihre Partei zu legalem Cannabis Konsum?

Ich selbst habe mit einer Legalisierung kaum Probleme, aber es ist eine schwierige Debatte, weil viele Menschen das als einen Dammbruch empfinden. Deswegen ist es gut, dass wir einen seriösen gesellschaftlichen Diskurs darüber führen.

Bei wie viel Prozent sehen Sie die SPD bei der kommenden Landtagswahl?

Das ist eine Frage, die den Finger in den wunden Punkt legt. Ich hoffe, wir schaffen es, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass die Frage der Migration nicht das einzige wichtige Thema ist. Dann hat die SPD in Bayern auch noch eine Chance auf 20 Prozent. Neben der Bildungs- und  Pflegepolitik, dürfen wir auch die Zukunftsthemen unseres Landes nicht verschlafen. Wenn das alles in der Hysterie um die Flüchtlingsdebatte untergeht, versündigen sich die jetzigen Politiker an den Chancen der nächsten Generation.

Die Kriminalitätsrate in Bayern befindet sich auf einem Rekordtief. Trotzdem hält es die Stadt Passau für notwendig, ein Sicherheitskonzept im Klostergarten umzusetzen. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?

Das sind zwei Dinge, die man auseinanderhalten muss: Sicherheitslage hat sehr viel mit Statistiken zu tun. Aber jemand, der subjektiv das Gefühl hat, er könne sich nach 19 Uhr nicht mehr auf die Straße trauen, lässt sich mit keiner Statistik überzeugen. Die Videoüberwachung im Klostergarten in Passau ist eine kommunale Maßnahme. Dahinter steht weniger Kriminalität präventiv zu bekämpfen, sondern es geht mehr um die Beschwerden einiger Bürger, die den Klostergarten meiden, weil sie sich unsicher fühlen. Sinn dieser Aktion ist es also, die Aufenthaltsqualität wiederherzustellen. Daher habe ich im Stadtrat dem Beschluss zugestimmt.

Welche Rolle spielt Datenschutz in Zeiten von Social Media?

Der Datenschutz muss so gestaltet werden, dass ihn die Menschen im Alltag anwenden können. Wenn ich mich in mein Auto setze und das Navigationssystem einschalte, dann weiß ich nicht, ob Bewegungsprofile erstellt werden, auf die irgendeine Firma Zugriff hat. Solange wir darauf keine Antworten haben, nützen Datenschutzerklärungen, die ausgedruckt 40 Seiten lang sind, nur wenig. Wir brauchen mehr Datensouveränität, also auch mehr Bildung. Die Bürger und Bürgerinnen sollen selbst entscheiden können, welche Daten sie freigeben und was damit geschieht. Bis jetzt sind wir nicht die Kunden, sondern die Handelsware von Facebook.

Etliche Menschen haben gegen das Polizeiaufgabengesetz demonstriert, auch hier in Passau. Wie bewerten Sie die Proteste?

Das Polizeiaufgabengesetz ist seit vielen Jahren die Arbeitsgrundlage der Polizei. Einiges, das wir neu vorfinden ist gut –  wie bessere Datenschutzbestimmungen. Ich sehe es allerdings als Gefahr, wenn man immer mehr Bürger und Bürgerinnen anlassunabhängig ins Visier nehmen kann. Da vermischen sich die geheimdienstlichen und die polizeilichen Aufgaben. Wir haben neue Bedrohungslagen, denen sich das Polizeirecht anpassen muss. Bei der Debatte fehlt mir jedoch die Differenziertheit.

Thema BAföG: Sollte die finanzielle Unterstützung für Studierende elternunabhängig sein?

Ja, da bin ich stark dafür. Es gehört in einem modernen Staat dazu, die Bildung, unabhängig von den Eltern, zu finanzieren.

Können sich die anderen 15 Bundesländer Bayern als politisches Vorbild nehmen?

Wenn es alle so machen würden wie Bayern, würde nicht nur Europa, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland auseinanderbrechen. Trotzdem liebe ich den Freistaat über alles und wir sollten versuchen liberal und offen zu bleiben.

In der Koalition gab es großen Streit zwischen der Kanzlerin und dem Innenminister. Wie haben Sie diesen Konflikt wahrgenommen?

Ich habe diesen Auseinandersetzungen fassungslos zugeschaut. Helmut Kohl und Franz Josef Strauß würden sich im Grabe umdrehen. Vor allem von der CSU ist es sowohl Deutschland als auch ganz Europa gegenüber verantwortungslos. Es hat schon lange gedauert bis überhaupt erst diese Regierung entstanden ist und nun findet so ein Theater statt über einen Masterplan, den niemand kennt, außer angeblich Herr Seehofer selbst.

Herr Seehofer hat unter anderem gefordert, Flüchtlinge strikter an den Grenzen zurückzuweisen. Wie finden Sie dieses Vorgehen?

Im Gegensatz zu der CSU bin ich der Meinung, dass Deutschland nicht einseitig Flüchtlinge und Asylbewerber zurückweisen kann. Wir brauchen digitalen, modernen Grenzschutz. Es gibt zwei große Lebenslügen in der Flüchtlingspolitik: Die der Konservativen lautet Deutschland sei kein Einwanderungsland und die der Linken lautet, jeder, der ein beschwertes Leben hat, könne nach Deutschland kommen. Es geht darum den Mittelweg zu finden. Das Asylrecht wurde für Leute geschaffen, die individuell, etwa wegen einer Parteizugehörigkeit, verfolgt werden. Momentan stopfen wir aber auch alle anderen Gruppen ins Asylverfahren, auch Bürgerkriegs- oder Wirtschaftsflüchtlinge. Die Politik muss ein ordentliches Zuwanderungs-Steuerungsgesetz schaffen.

Wie sollten etablierte Parteien, Ihrer Meinung nach, mit der AfD umgehen?

Die AfD ist Teil der politischen Landschaft. Alle demokratischen Kräfte müssen sich der AfD und auch ihren Themen stellen. Die Sorgen und Nöte der Wähler und Wählerinnen müssen ernst genommen werden. Wenn wir beispielsweise über die Angst vor einer Islamisierung sprechen, muss das auf der Grundlage von Fakten und nicht von Vorurteilen passieren. Die AfD hat in einigen Bereichen nichts Konkretes zu bieten – auch nicht bei zentralen Fragen wie der Rentenpolitik. So einer Partei kann man doch nicht die Verantwortung für das gesamte Land überlassen.

Zuletzt noch eine etwas weichere Frage: Sie waren selbst einmal Student in Passau. Was hat Ihnen am besten gefallen?

Definitiv die Sommersemester. So sehr ich froh war, wenn das Wintersemester vorbei war, so sehr habe ich es bedauert, wenn das Sommersemester zu Ende ging.