Was uns der Film „Simpel“ und die Lebenshilfe über geistige Behinderung lehren

Es sind zwei sehr unterschiedliche Brüder, die sich in dem Film Simpel auf einen abenteuerlichen Roadtrip nach Hamburg begeben. Barnabas (David Kross) ist zwar schon 22 Jahre alt, verhält sich aber wegen einer geistigen Behinderung wie ein kleines Kind. Ohne eine Gute-Nacht-Geschichte kann er abends nicht einschlafen, er ist nicht in der Lage Spaghetti zu kochen und braucht Hilfe beim Baden. Dieser Umstand hat ihm den Spitznamen Simpel eingebracht.

Sein Bruder Ben (Frederick Lau) kümmert sich im Alleingang um Simpel und ihre schwerkranke Mutter, da der Vater (Devid Striesow) die Familie schon vor Jahren verlassen hat. Hierfür hat Simpel eine logische Erklärung: Der Vater befände sich eben auf einer ungewöhnlich langen „Geschäftsverreise“. Nach dem plötzlichen Tod der Mutter, verfügt das Ordnungsamt, dass Simpel in ein Heim gebracht werden soll. Ben will sich mit dieser Entscheidung nicht abfinden, doch die zuständigen Behörden geben nicht nach. Als die Polizei Simpel abholt, kann Ben kann nicht mit ansehen, wie sehr sein Bruder unter der bevorstehenden Trennung leidet. In einer waghalsigen Aktion kapert Ben das Polizeiauto und flieht gemeinsam mit Simpel vor den überrumpelten Beamten.

„Ist die Polizei böse, Ben?“

„Ne, die ist nicht böse, die mag uns halt gerade nicht so.“

„Ich mag die Polizei, Ben!“

So beginnt Bens schwierige Mission Simpel vor dem Heim zu bewahren. In Hamburg will er seinen Vater finden und ihn dazu überreden einen Sorgerechtsantrag für Simpel zu unterschreiben. Auf dem Weg in die Großstadt treffen die beiden Brüder auf die unterschiedlichsten Gestalten. Dabei macht Simpel keinen Unterschied zwischen LKW-Fahrern, Prostituierten oder Punks. Er geht freundlich und offen auf alle Menschen zu, die er trifft und findet so schnell Mitstreiter für seine Sache. Kaum in Hamburg angekommen, treten jedoch die ersten Schwierigkeiten auf. Simpel ist mit der unvertrauten Situation komplett überfordert und es fällt Ben zunehmend schwer sich um ihn zu kümmern.

Erschwerend hinzu kommt, dass sich der Vater strikt weigert seinen Söhnen zu helfen. Als Ben seinen Vater in seinem schicken Autohaus in Hamburg überrascht, ist dieser zunächst überglücklich. Doch als er erfährt, dass auch sein anderer Sohn in der Hansestadt ist, löst sich seine gute Laune in Luft auf. Denn Simpel passt so gar nicht in das kleinbürgerliche Leben, das sein Vater sich aufgebaut hat. Ohne eine Miene zu verziehen, erklärt er Ben, dass er nichts mit Behinderten zu tun haben will und dass Simpel in fremde Hände gegeben werden muss. Nun steht Ben vor einer schwierigen Frage: Was ist wirklich das Beste für seinen kleinen Bruder?

Die rührende Tragikomödie „Simpel“ wurde von Markus Goller inszeniert. Sie überzeugt vor allem durch eine starke Besetzung. David Kross gelingt es Simpel sehr authentisch zu verkörpern, ohne sich zu vieler Klischees zu bedienen. Auch Frederick Lau brilliert in seiner Rolle des fürsorglichen Bruders. Es ist rührend mit anzusehen, wie liebevoll die Brüder miteinander umgehen. Simpels gute Laune ist sehr ansteckend und sorgt für viele lustige Momente im Film.

Wie sieht es nun im echten Leben aus?

Dabei beschönigt der Film nicht, dass sich Familien mit Kindern mit einer geistigen Behinderung im Alltag auch einigen Herausforderungen stellen müssen. Im Falle des Filmes ist Ben deutlich mit der Betreuung seines Bruders überfordert. Manchmal muss er Simpel zuhause alleine lassen, der sich dann meistens in Schwierigkeiten bringt und zum Beispiel die halbe Wohnung abfackelt. Außerdem gewinnt der Zuschauer an einigen Stellen den Eindruck, dass Ben sein eigenes Leben vernachlässigt und Chancen verpasst. Dennoch scheint die Familie keine therapeutischen Angebote wahrnehmen zu wollen und nimmt keine Hilfe von außen in Anspruch.

Dass das in der Realität oft anders aussieht, weiß Thomas Hofbrückl, der Geschäftsführer der Lebenshilfe Passau für Menschen mit Behinderung e.V.: „Es gibt viele Familien die sehr engagiert sind und auch eine angemessene Pflege und Betreuung für ihr Kind leisten können. Das Problem dabei ist eher, dass diese Familien mit der Betreuung und Pflege sehr belastet sind und oftmals Geschwisterkinder darunter leiden. Viele nehmen aber auch die Unterstützung in Anspruch. Wir von der Lebenshilfe Passau haben die „Offenen Hilfen“. In diesem Bereich versuchen wir möglichst passgenau Unterstützung anzubieten. Von der stundenweisen Betreuung in der Familie zu mehrtätigen Aufenthalten in unserem Freizeithaus über regelmäßige Freizeitangebote bis hin zu gemeinsamen Urlaubsfahrten.“ In Passau gibt es eine Fülle an Fördermöglichkeiten, wie etwa die Frühförderstelle der Caritas, die Unterstützung in vielfältiger Form anbieten. Von solchen Fördermöglichkeiten hätte sicher auch Simpel profitieren können.

Beim Thema Wohnen zeigt sich ein weiterer Unterschied zwischen der filmischen Darstellung und der Lebensrealität behinderter Menschen in Passau. Während der Protagonist Simpel gegen seinen ausdrücklichen Willen in ein Wohnheim gegeben werden soll, sind alle Bewohner der Wohnheime der Lebenshilfe Passau freiwillig dort. Besonders wichtig ist es den Verantwortlichen dafür zu sorgen, dass die Bewohner im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine große Selbstständigkeit erlangen. Einige Bewohner fahren alleine in die Stadt oder gehen abends aus.

Somit ist der Vater der Brüder deutlich im Unrecht, wenn er zu Ben sagt: „Barnabas ist behindert. Du nicht. Du kannst was aus deinem Leben machen. Er nicht.“ Menschen mit einer Behinderung können durchaus etwas erreichen und ein erfülltes Leben führen. Dazu muss aber noch einiges für eine stärkere Inklusion getan werden. Entscheidend sei hier, dass sich die Einstellung der Gesellschaft ändere, betont Thomas Hofbrückl. Dazu trägt „Simpel“ sicherlich auch seinen Teil bei.