Opfer und Täter zugleich? – Kindersoldaten im Völkerrecht

250.000 Kindersoldaten befanden sich laut Jahresbericht des UN-Generalsekretärs António Guterres 2018 im Einsatz – die meisten davon in Afrika. Eine Zahl die erschüttert, prompt tauchen Bilder von kleinen Kindern mit schweren Gewehren vor dem inneren Auge auf. Doch das Bild täuscht – die wenigsten sind tatsächlich unter 15 Jahre alt. Vergangenen Donnerstag gab Dr. Donald Riznik, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr München und Landeskonventionsbeauftragter des Bayrischen Roten Kreuz, während seines Vortrags in Passau „Kindersoldaten im Visier des Völkerrechts“ Einblicke in die Herausforderungen des Völkerrechts.

Die Grenze zwischen Opfer und Täter ist nicht immer klar auszumachen. Gleich zu Beginn illustriert Dr. Riznik dies anhand des ehemaligen Kindersoldaten Dominic Ongwens. Obowhl dieser selbst als Kind in Uganda zwangsrekutriert wurde, steht er als Täter vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die Kriegsverbrechen für die Ongwen angeklagt wird, hat er nämlich als Volljähriger begangen, aus diesem Grund ist er voll straffähig. Hier zeigen sich die Schwierigkeiten des Völkerrechts: Wo hört die Opferrolle auf und wo fängt Täterschaft an? In welchem Maß kann und soll das Gericht die Vorgeschichte des Angeklagten berücksichtigen?

Kindersoldaten – ein uraltes Phänomen?

Das Problem der Kindersoldaten ist weder historisch gewachsen, noch in der Natur des Menschen verankert: Erstmals wurden Kindersoldaten während des amerikanischen Bürgerkriegs und im zweiten Weltkrieg eingesetzt. Ab den 1960er Jahren erhöhte sich die Anzahl vor allem in den afrikanischen Staaten. Technische Fortschritte, die Abkehr vom Nahkampf sowie die Verwendung von Guerillataktiken glichen den physischen Nachteil der Kindersoldaten aus und erhöhten die Zahl an Eingliederungen und Zwangsrekrutierungen.

Herausforderungen des Völkerrechts

Bereits in den Begrifflichkeiten lauern Fallstricke für das Völkerrecht. Oft fällt die Klassifizierung nicht leicht – besonders nicht, wenn die Beweislage dünn ausfällt. Hier nannte Dr. Riznik beispielhaft das Berufungsurteil des internationalen Strafgerichtshofs vom Dezember 2014. Damals arbeitete er eng mit der Richterin Anita Ušacka zusammen, die dem Urteil nicht zustimmen konnte: Es konnte damals nicht eindeutig bewiesen werden, dass die Kindersoldaten tatsächlich unter 15 Jahre alt waren. Im Völkerricht ist dies jedoch die Voraussetzung für die Verurteilung beim Straftatbestand der Eingliederung oder Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten.

Während die Menschenrechtskonvention alle Personen unter 18 Jahren als Kinder definiert, legt das humanitäre Völkerrecht sowie das Völkerstrafrecht die Grenze auf 15 Jahre. Die progressiven Regelungen der Menschrenrechtskonvention sollen richtungsweisend wirken und politischen Druck auf die internationale Gemeinschaft ausüben. Der Drahtseilakt spielt sich dabei zwischen dem internationalen Strafgerichtshof und den Nationalstaaten ab. Lassen sich nationale Konflikte wirklich immer am Besten vor Ort lösen oder sollten die Genfer Konventionen stärker greifen? Jedem, der mehr über diesen Konflikt und die Problematik der Kindersoldaten erfahren möchte, empfiehlt Dr. Riznik das Buch „Reimagining Child Soldiers“ von Mark A. Drumbl.