„Kino ist wie Schokolade essen“

Wo die Discokugel sich unermüdlich im Kreis dreht und Lichtpunkte an den Wänden tanzen lässt, wo Nebelmaschinen die Sicht schummrig werden lassen und nur noch die Silhouetten zur Musik bewegender Menschen erkennbar sind, an solch einem Ort wie dem Zauberberg versammeln sich normalerweise all diejenigen, die dem Stress des Alltags entkommen wollen und sich mit laut wummernden Bässen durch die Nacht treiben lassen. Normalerweise. Denn heute wird die Tanzfläche nicht von zu Beats stampfenden Füßen okkupiert, sondern von ein Dutzend Stuhlreihen, die provisorisch vor einer aufgespannten Leinwand aufgebaut sind. An der Bar stehen an diesem Abend für einen Club erstaunlich wenig Menschen an, stattdessen zieht es die Leute zu einem leise knatternden, roten Kasten – einer Popcorn-Maschine, die einen süßlichen Geruch verströmt. Wohnzimmer-Stimmung kommt auf, wenn sich die Besucher langsam auf die Plätze begeben, sich in die Sofas in den ersten beiden Reihen fallen lassen, den Kopf auf die Lehne legen und sich unterhalten, während sich auf der Leinwand langsam ein Logo aufbaut. Ein Hund im Comic-Stil erscheint, genauso wie ein Trompete-spielender Mann mit Hornbrille und langen Haaren. Letztendlich, umringt von einer Filmrolle und verschiedenen Figuren, baut sich der Name des besonderen Programmkinos im Zentrum des Bildes auf: Kino Vagabundo.

Carolina sitzt manchmal an der Kasse, dann steht sie wieder bei der Popcorn-Maschine oder sprintet während der Filmvorstellung vor zum Mischpult, um den Ton perfekt auf das Bild abzustimmen. Die Kolumbianerin mit spanischem Akzent hat ihr eigenes, mobiles Programmkino nach Passau gebracht. Manchmal managt sie die Vorstellungen im Alleingang, manchmal helfen ihr Freunde und ihr Mann beim Aufbau und der Technik. „In Berlin war ich zum ersten Mal in einem Freiluftkino. Das hat mir so gefallen, dass ich auch etwas in dem Bereich machen wollte. In Passau habe ich so etwas noch nicht miterlebt, also kam mir der Gedanke, etwas ähnliches hier zu organisieren.“ So entsteht die Idee für das Sommerkino beim Fliegerbauer, einem Wirtshaus mit Biergarten. Carolina zeigt in Zusammenarbeit mit dem Mobile Kino aus Berlin, welches sich um die Filmlizenzen kümmert, teilweise Filmklassiker wie 2001: Odyssey im Weltraum, teilweise Geheimtipps mit What We Do In The Shadows, aber auch neuere Filme wie Call Me By Your Name. Für die kalten Herbst- und Wintermonate entscheidet sich Carolina ihr Programmkino fortzusetzen, nur jetzt unter anderem Namen und abwechselnd im Café Museum und dem Zauberberg. „Ich versuche die Filme an die jeweilige Location anzupassen. Im Zauberberg zeige ich jugendlichere Streifen und im Café Museum eher Arthouse-Filme.“ Das Vogelgezwitscher und der Sonnenuntergang während der Filme sind einer schummrigen Kinoatmosphäre gewichen, doch die familiäre Atmosphäre ist geblieben: manchmal spinnt noch die Technik, der Beamer überhitzt oder der Ton gibt ein Störgeräusch ab. „Während den Vorstellungen bin ich doch ab und zu sehr nervös und vermisse, dass ich den Film nicht so locker genießen kann. Vor Ort kann ich mich an keinen wenden und muss das Problem selber lösen. Aber ich habe auch viel gelernt, seitdem ich das mache.“

Die Namensänderung in Kino Vagabundo verbindet Carolina mit ihrer persönlichen Geschichte. „Vagabundo ist ein schönes Wort, mit dem ich mich sehr identifiziere. Hin und her zu laufen, kein festes Zuhause haben.“ Nach der Schule in Kolumbien lebt Carolina eine Zeit lang in Kanada, entscheidet sich dann aber durch die Bekanntschaft mit einer deutschen Freundin und einer Affinität für die germanische Sprache nach Deutschland zu ziehen. Hier wohnt sie erst in Stuttgart, dann in Passau und später in Berlin, hat den Wunsch entweder in der Hauptstadt oder München zu studieren und wird letztendlich aber an der Passauer Universität angenommen. „Passau war nicht mein Favorit, aber wenn ich nicht hierher gekommen wäre, wäre das auch wie ein guter Film gewesen, den ich verpasst hätte.“ Doch Carolina wusste lange Zeit selber nicht, ob ihr das ewige Umherziehen gefällt und so entscheidet sich die Kolumbianerin bei der Benennung ihres mobilen Kinos für das Geusenwort Vagabund: „Ein Geusenwort ist ein Ausdruck, mit dem früher eine bestimmte Bevölkerungsgruppe beleidigt wurde. Irgendwann haben sich diese Gruppen aber das Wort selber angeeignet und meinten: Ok, das sind wir jetzt und darauf sind wir stolz.“ Carolina zählt Beispiele wie Queer, Punk oder Nigger auf, diffamierende Worte, die teilweise mit einem gewissen Stolz nun von den beschimpften Personen genutzt werden. „Man muss nicht ortsabhängig sein, sondern sich einfach treiben lassen. Mit der Bezeichnung Vagabundo möchte ich mich nun selber davon überzeugen, dass ich den richtigen Weg gegangen bin.“

Trotz ihrer Ortsunabhängigkeit vermisst Carolina manchmal ihre Heimat Kolumbien. Doch gerade Kino ist für die Filmliebhaberin eine Möglichkeit, der Realität mindestens für einen kurzen Augenblick zu entfliehen: „Manchmal ist es ein Trost für mich. Kino ist für mich wie Schokolade essen. Im Kino kann ich wirklich alles um mich herum vergessen.“ Die Wirkkraft von Filmen macht sich auch an jenem Abend im Zauberberg bemerkbar, als The Room gezeigt wird, der bekanntlich beste schlechteste Film. Carolina hat Spielregeln mitgebracht, ausnahmsweise wird die goldene Kinoregel des Schweigens gebrochen und jeder wird ermutigt, lautstark Kommentare in den Raum zu werfen. So darf beispielsweise nach jedem Satz, die eine Frau im Film spricht, ein „because you’re a woman“ angehängt werden, um die offensichtliche Frauenfeindlichkeit im Film bloßzustellen. Die Leute machen enthusiastisch mit, beugen sich beim Lachen leicht in ihren Stühlen vor, jemand schlägt mit der Hand auf seinen Oberschenkel je abstruser die Szenen und die Kommentare der Kinobesucher werden. „Im Kinosaal gibt es eine gewisse Energie. Man merkt, dass die Stimmung im Saal manchmal fröhlicher und manchmal trauriger ist und das überträgt sich oft auf alle Zuschauer. Kino hat also auch durchaus etwas Gemeinschaftsstiftendes.“

Für die Zukunft plant Carolina schon weitere Projekte: „Ich möchte ein feministisches Festival oder zumindest eine Filmreihe in Passau organisieren. Weibliche Regisseure bekommen einfach viel zu wenig Anerkennung für ihre Arbeit. 90 Prozent der Filme, die ich schaue, stammen von männlichen Regisseuren.“ Seit dem Betreiben eines eigenen Programmkinos und der Liebe zum Film schaut Carolina mit einem etwas kritischeren Blickwinkel auf die Kinolandschaft: „Filme können ein Spiegel der Gesellschaft sein, haben aber auch die Macht, die eigenen Erwartungen und Werte unterbewusst zu steuern.“

Und so stellt Kino nicht nur ein Ort dar, um stillschweigend sich von Bildern berieseln zu lassen, sondern lässt seine Zuschauer kurzzeitig in eine alternative Welt abtauchen, während man sich von den Emotionen der Anderen mittragen lassen kann oder um reflektierend über das Gesehene nachzudenken. „Meiner Meinung nach nimmt Kino einen immer größer werdenden Stellenwert ein. Es wird schwieriger sich heutzutage wirklich auf eine Sache zu konzentrieren und eine der wenigen Möglichkeiten, die man hat, um mal von allem Abstand zu nehmen, ist das Kino.“

Programm des Kino Vagabundo für Februar:

Down by Law – Sa. 02.02.19 – 20 Uhr im Café Museum

Climax – Di. 05.02.19 – 20:30 Uhr im Zauberberg

Rafiki – Di. 12.02.19 – 20:30 im Zauberberg

Manifesto – Do. 14.02.19 – 20 Uhr im Café Museum

Chihiros Reise ins Zauberland – Mo. 18.02.19 – 20 Uhr im Café Museum

Raving Iran – Di. 19.02.19 – 20:30 Uhr im Zauberberg

Amy – Di. 26.02.19 – 20:30 Uhr im Zauberberg

2019 Oscar Nominated Short Films (Live Action) – Do. 28.02.19 – 20 Uhr im Café Museum

2019 Oscar Nominated Short Films (Animation) – Sa. 02.03.19 – 20 Uhr im Café Museum