„Ich will ein Amerika retten, das es nie gab“

Warum Michael Moore in seinem neuen Film ‚Fahrenheit 11/9‘ Donald Trump die Schuld am Untergang Amerikas gibt.  

Das Javits Center in New York City ist prall gefüllt mit jubelnden, blau gekleideten, Flaggen- und Plakate-wedelnden, patriotischen Amerikanerinnen und Amerikanern. Katy Perry tritt auf die Bühne und beglückwünscht die 45. Präsidentin der USA: Hillary Clinton. Kurze Zeit später ist wie auf einen Schlag in der Halle Stille eingekehrt. Die selbstsicheren, zweifellos überzeugten Anhänger der Demokratin sind in Schockstarre. Sie können nicht glauben, wie sich der meterhohe Bildschirm vor ihnen rot färbt. Rot, wie die Farbe der Republikaner. Rot, wie die Farbe von Donald Trump.

9. November 2016: „How the fuck did this happen?”, fragt der Regisseur und Oscar-Preisträger Michael Moore in einer Mischung aus Vorwurf und Selbstgespräch. Zu sehen ist nun das Empire State Building, auf dem ein riesiges, grimmiges Gesicht prangert: Der neue Präsident Amerikas. Die einzigen, die jubeln, sind eine Handvoll Menschen mit roten Caps auf Trumps Wahlparty. Sonst niemand, nicht sein Wahlteam, nicht einmal er selbst. Moore vergleicht die Zeremonie mit einem Trauerspiel, das auch auf die folgenden 128 Film-Minuten vorbereitet. Der Regisseur und Aktivist rechnet mit allen ab, die beim Untergang Amerikas ihre Finger im Spiel haben. Nicht einmal Barack Obama bleibt verschont.

Moore versteht sich gut darin, verschiedenste Filmausschnitte in einen neu definierten Kontext zu bringen, damit am Ende die Geschichte entsteht, die er erzählen will. Von Interviews unterschiedlichster amerikanischer Medienhäuser (oder wie Trump sagen würde, ‚Fake News‘), eigenen Filmaufnahmen oder gar Snapchat-Videos: Moore nutzt alles, was er kriegen kann, um Donald Trump in ein noch schlechteres Licht zu rücken. Er zieht sogar den Vergleich zum ehemaligen Gouverneur von Michigan, Rick Snyder, der die Vergiftung einer ganzen Stadt durch eine Wasserkrise veranlasste. 2015 leitete er bleihaltiges Wasser in das Trinkwassersystem der Stadt und fälschte alle alarmierenden Testberichte. „Wenn Snyder mit all dem durchkommt, was könnte er (Trump) sich dann noch alles erlauben?“, fragt Moore. Viel zu viel, wie man täglich in den Medien oder über seinen Twitter-Account, sein Sprachrohr, erfahren muss.

 

Wer hat Schuld an Trump?

„Ja, es waren die Russen“, erklärt Moore, „aber vor allem war es Gwen Stefani“. Auch diese Behauptung, die wir nicht so einfach glauben wollen, kann Moore belegen. Sie pflanzte die Idee der Präsidentschaft in Trumps Kopf. Diese wächst von Tag zu Tag, von Wahlkampfveranstaltung zu verpasstem Interview, immer weiter. Doch niemand will ihn aufhalten. Auch nicht Michael Moore, dessen Kritik wohl zwei Jahre zu spät kommt.

Der Werdegang Trumps wird als Wiederholung der Geschichte der Nazis dargestellt. Moore unterlegt Szenen einer Hilter-Rede mit Trump-Rhetorik und setzt dann (etwas zu dramatisch) den Reichstagsbrand mit 9/11 in Verbindung. Der Präsident umgehe die lückenhafte Verfassung und könne so, völlig legal, seinen Rassismus, seine Frauenfeindlichkeit und seine Machtgier ausleben.

Die einzigen Hoffnungsträger, die der Filmemacher dem Zuschauer gibt, sind junge Radikale. Moore besucht Jugendliche aus Florida, die nach einem Anschlag auf ihre Schule der Politik den Krieg erklären. Durch Reden und Proteste versuchen sie, andere zu mobilisieren und Veränderungen zu bewirken. Offenbar sympathisiert der Interviewer mit ihnen, weiß aber gleichzeitig, dass dies nicht die Lösung sein kann. Doch genau das ist es, auf das der Zuschauer vergeblich wartet: Eine Lösung. Ein ‚wie hätte es besser laufen können‘ oder ein ‚was sollen wir tun‘. Mit diesen Gedanken bleiben die Besucher ratlos im nun dunklen Kino sitzen. Moore will ein Amerika retten, das es nie gegeben hat.

Durch ironische Montagen und Vorwürfe gegen das Publikum versucht Fahrenheit 11/9 seine Zuschauer zu fesseln und zum Nachdenken zu bringen. Und das schafft er auch. Von lauten Lachern über Ungläubigkeit bis zu aggressiven Wutausbrüchen muss der Zuschauer bei dieser Dokumentation so einiges mitmachen. Deswegen bleibt sie wohl noch lange als Mahnung in Erinnerung.

 

Neugierig geworden? Der Film läuft noch bis kommenden Dienstag, 22.01., im Scharfrichter Kino in Passau.