Die neue Android-Version P – Digitales Wohlbefinden?

Wer kennt es nicht: Man wollte nur kurz ein Video auf YouTube schauen und schon sind zwei Stunden vergangen. Oder zehn Abonnements und eine halbe Stunde später fällt einem wieder ein, dass man eigentlich nur schnell eine Person auf Instagram suchen wollte. Doch damit soll mit Hilfe der neuen Android Version P, die Google auf der Entwicklerkonferenz vom 8.-10. Mai in Kalifornien vorstellte, Schluss sein.

Reduktion der „Fear of missing out“

Unter dem Begriff „Digitales Wohlbefinden“ fasst der Konzern alle Neuerungen zusammen, die dem Nutzer wieder mehr Kontrolle geben sollen. Die neue Version soll es den Usern nämlich einfacher machen, das Smartphone bei Seite zu legen. Es gibt eine Reihe neuer Funktionen, die die „Fear of missing out“ — kurz „Fomo“ — reduzieren. Stattdessen soll man sogar Freude dabei empfinden, nicht ständig soziale Plattformen zu checken. Hierfür führt Google den neuen Marketing-Begriff „Jomo“ („Joy of missing out“) ein. Bei der neuen Version gibt es beispielsweise eine Übersichtsseite, die anzeigt, wie oft man das Smartphone aus der Tasche zieht und wie viel Zeit man mit welchen Apps verbringt. Für jede Anwendung können Prioritäten und Zeitlimits festgelegt werden, wie lange man diese pro Tag nutzen „darf“. Ist das Zeitlimit überschritten, so lässt sich die App an diesem Tag nicht mehr öffnen.

Des Weiteren gibt es eine neue Funktion, durch die das Smartphone-Display vor dem Schlafengehen schwarz-weiß wird. Dadurch soll erreicht werden, dass man das Handy abends nicht mehr nutzt. Außerdem kann man bei der neuen Android-Version P nachts sein Handy einfach umdrehen, um nicht gestört zu werden. Das Smartphone ist dann nämlich stumm gestellt und nur wichtige Anrufe und der Wecker werden zugelassen.

Google möchte sich bewusst positiv inszenieren

Facebook, Instagram, Snapchat und Co. geraten zurzeit immer stärker in Kritik, da soziale Netzwerke gepaart mit einem Smartphone einen gewissen Suchtfaktor mit sich bringen. Mit der neuen Android-Version möchte Google sich also von diesen Anwendungen abgrenzen. Dies ist jedoch ironisch, da Google selbst soziale Plattformen wie YouTube und Google+ gehören. Google möchte sich also bewusst positiv inszenieren, obwohl die Produkte den gleichen Suchtfaktor wie andere soziale Netzwerke haben.
Gründer und Mitarbeiter sozialer Plattformen halten sich meist selbst von diesen fern, da ihnen die Gefahr sehr wohl bewusst ist. Der ehemalige Google-Angestellte Tristan Harris beispielsweise, der als Gesicht des Silicon Valleys bekannt ist, kündigte seinen Job und gründete die Organisation Time Well Spent und das Center of Human Technology. Er möchte den Menschen bewusst machen, dass die Kombination Handy und soziale Netzwerke eine gewisse Abhängigkeit verursachen — natürlich auch Googles Plattformen.

Funktionen sind keine allzu effektive Innovation

Es stellt sich des Weiteren die Frage, ob es wirklich notwendig ist, dass das Handy-Display abends schwarz-weiß wird und ob man das Smartphone nachts umdrehen kann ohne gestört zu werden. Denn: Man könnte das Gerät theoretisch auch einfach nachts ausschalten und einen analogen Wecker nutzen.
Die Funktion der Zeitlimits für bestimmte Apps kann manuell zurückgesetzt werden und dann können die Anwendungen wieder unbegrenzt genutzt werden, was die Nutzer höchstwahrscheinlich auch machen werden, wenn sie die App nach Überschreitung des Zeitlimits doch noch öffnen wollen. Somit ist diese Funktion vermutlich keine allzu effektive Innovation.
Google sollte also statt der Einführung neuer Marketing-Begriffe und Funktionen etwas an den sozialen Netzwerken selbst ändern, um den Suchtfaktor direkt an der Quelle zu mindern.