Die „Lebensschutz“-Bewegung: Wie Abtreibungsgegner Frauen einschüchtern

Der Anteil an Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ist seit 2003 um etwa 40% gesunken – obwohl sich an der bestehenden Gesetzeslage nichts geändert hat. Das geht aus Zahlen des Statistischen Bundesamtes hervor. Bei ihrem Vortrag „Kulturkampf und Gewissen“ stellte Eike Sanders Teile ihrer Analyse über die sogenannte „Lebensschutz“-Bewegung vor, die diesen Rückgang maßgeblich beeinflusst haben könnte. Sanders ist Mitarbeiterin des antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin und forscht seit etwa zehn Jahren über die „Lebensschutz“-Bewegung, Antifeminismus und Rechtsterrorismus.

„Lebensschutz“-Bewegung – Was verbirgt sich hinter diesem Namen, der zunächst so harmlos klingt? „Die Bewegung besteht aus über 60 Gruppen, die christlich-fundamentalistisch geprägt sind“, sagte Sanders. Sie sei Teil eines konservativen bis extrem rechten, in Teilen antidemokratischen Aufschwungs und besteht seit den späten 70er Jahren. Ihre Argumentationen stütze die Bewegung zu einem großen Teil auf Gott und die Bibel. Bestärkt werden diese durch jüngste Aussagen des Papstes, der im Oktober in einer Predigt sagte, der Abbruch einer Schwangerschaft sei, „wie jemanden zu beseitigen“. „Einen Menschen zu beseitigen ist wie die Inanspruchnahme eines Auftragsmörders, um ein Problem zu lösen“, sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche weiter. Neben dem Thema Abtreibung sprechen sich „Lebensschützer“ auch gegen Sterbehilfe, Pränatal- und Präimplantatsdiagnostik aus.

Ärztin wegen Informationen über Abtreibungen zu Geldstrafe verurteilt

In den Fokus gerückt war die sogenannte „Lebensschutz“-Bewegung im November 2017, als die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6000€ verurteilt wurde, weil sie online Informationen über Schwangerschaftsabbrüche anbot. Auf ihrer Homepage hatte Hänel das Spektrum ihrer ärztlichen Tätigkeiten aufgelistet, dabei erwähnte sie auch das Durchführen von Schwangerschaftsabbrüchen. Per Mail konnten Frauen ein PDF mit näheren Informationen über den Eingriff anfordern. Das Gericht klassifizierte dies als Werbung und somit als einen Verstoß gegen den Paragraphen 219a, der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche für rechtswidrig erklärt. Auch im Berufungsverfahren entschied das Gericht im Oktober gegen die Ärztin aus Gießen.

Angezeigt wurde die Ärztin von sogenannten „Lebensschützern“. Einer von ihnen ist der radikale Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen, der seit Jahren öffentlich seine rechten Ansichten verbreitet. Sanders erwähnte eine von Annen betriebene Homepage namens „Babycaust“, auf denen er Abtreibungen mit dem Völkermord an den Juden im Dritten Reich vergleicht und seine Aussagen mit schockierenden Bildern hinterlegt. Laut Sanders haben Klaus Günter Annen und andere „Lebensschützer“ in den vergangenen Jahren über 200 Ärzte und Ärztinnen angezeigt, die offen ersichtlich Schwangerschaftsabbrüche anboten. Kristina Hänels Fall sei also nur einer von vielen. Doch außer ihr habe scheinbar noch kein Arzt den Fall vor Gericht ausgetragen – viele löschten die Informationen in Folge der Anklage.

Der „Marsch für das Leben“ – Demonstrationen mit bis zu 6000 Teilnehmern

„Die Lebensschutzbewegung setzt alles gleich: Eine befruchtete Eizelle ist für sie das gleiche wie ein geborener Mensch“, erklärte Sanders die Ansichten der Bewegung. Mütter, die sich entscheiden, Schwangerschaften abzubrechen, bezeichnet die Bewegung als Mörderinnen, ebenso wie die durchführenden Ärzte. Um ihre Ansichten kundzutun, veranstaltet die „Lebensschutz“-Bewegung in Berlin regelmäßig den „Marsch für das Leben“, bei dem im September etwa 6000 Personen gegen Abtreibungen demonstrierten.

Eine weitere Methode seien die sogenannten „Gehsteigberatungen“: „Mitglieder der Bewegung stellen sich vor Abtreibungskliniken und sprechen Frauen an, die vorhaben, abzutreiben“, sagte Sanders. Dabei konfrontieren sie Frauen ungewollt mit schockierenden Fotos von abgetriebenen Föten, setzen sie unter Druck und versuchen, sie von einer Abtreibung abzuhalten.

Am Ende ihres Vortrages betonte Sanders noch einmal das größte Problem in Bezug auf die „Lebensschutz“-Bewegung: „Das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung gibt es in Deutschland nicht“, sagte sie. Die „Lebensschutz“-Bewegung könne sich dagegen in ihrer Argumentation auf das Gesetz berufen, das gemäß des Paragraphen 218 einen Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich als Straftat klassifiziert. Nicht strafbar ist eine Abtreibung, wenn sie in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen geschieht und wenn Frauen zuvor ein staatlich anerkanntes Beratungsgespräch wahrgenommen haben. Um das Erstarken der „Lebensschutz“-Bewegung zu verhindern und Frauen ihre Entscheidungsfreiheit zu ermöglichen, gibt es laut Sanders nur eine Lösung: „Die Paragraphen 218 und 219a müssen abgeschafft werden“.

Weitere Veranstaltungen der Reihe „My Body my Choice“ zum Thema Abtreibungen findet ihr hier.