„Die CSU hätte wahrscheinlich auch Jesus abgeschoben“

Politiker machen gewagte Vorschläge, der Newsfeed quillt über mit hitzigen Diskussionen und kontroversen Meinungen und die Parteien kämpfen um das beste Rampenlicht. In sechs Wochen sind Landtags- und Bezirkswahlen in Bayern. Auch hier im Landkreis Passau-Ost versucht jeder Kandidat die meisten Stimmen für sich und seine Partei zu holen. Doch wer ist jetzt eigentlich für und wer gegen die Cannabis-Legalisierung? Wer setzt wo seine Schwerpunkte und wer hat Pläne für mehr bezahlbaren Wohnraum?  Wir von blank haben uns je einen Spitzenkandidat der größeren Parteien für ein Interview geschnappt und vielseitige Fragen zu verschiedenen Themen gestellt. So kann man die Kandidaten und ihre Meinungen direkt vergleichen und dann am 14. Oktober guten Gewissens sein Kreuz setzen.

Der 1975 in Grafenau geborene Ergotherapeut Josef Ilsanker ist der niederbayerische Spitzenkandidat der Linken für die diesjährige bayerische Landtagswahl und Direktkandidat im Stimmkreis Passau-Ost. Er ist Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand seiner Partei, Kreisvorsitzender der Linken Passau und Leiter des örtlichen Bürgerbüros. Seit 2015 ist er Mitglied im Ver.di-Ortsvorstand und engagiert sich unter anderem beim „Runden Tisch gegen Rechts“.

Warum sollte ich als Student ausgerechnet Sie wählen?

Das einfachste Argument wäre der Geldbeutel, weil wir auf ein höheres BAföG setzen, das automatisch der Inflation angepasst wird. Das BAföG entspricht allein schon aufgrund der explodierenden Mieten nicht mehr den heutigen Anforderungen.

Heißt das, Sie sind für ein elternabhängiges oder elternunabhängiges BAföG?

Elternunabhängiges BAföG. Es gibt in vielen Bereichen einfach ganz knappe Härtefälle. Bildung sollte unabhängig von den Eltern und kostenlos sein und dazu gehört, dass man unabhängig von seinen Eltern seinen Bildungsweg gehen kann.

Was sind die drei wichtigsten Punkte Ihres Programms?

Auf Landesebene ist eines der wichtigsten Themen das Thema Pflege. Deutschlandweit fehlen viele 100.000 Pflegekräfte in Kliniken, 40.000 Pflegekräfte in den Altenheimen. Die Pflegekräfte sind schlecht bezahlt und überlastet, der Beruf ist unattraktiv. Hier müssen wir dringend ansetzen, wir müssen einen Personalschlüssel einführen und brauchen einen Pflegemindestlohn von 14,50 Euro/ Stunde, um diese Probleme in den Griff zu kriegen. Das ist auch für junge Menschen wichtig, weil auch junge Menschen mal alt werden oder ins Krankenhaus kommen. Im Landtagswahlprogramm ist das Thema Rente auch sehr wichtig. Hier brauchen wir einen Kurswechsel. Wir haben in der Region Niederbayern die niedrigsten Renten in ganz Europa, Altersarmut ist heute schon ein Problem. Wir wollen wieder ein Rentenniveau von 53 Prozent und eine Mindestrente von 1.050 Euro, weil das über der Armutsgefährdungsschwelle liegt. Außerdem ist ein höherer Mindestlohn sehr wichtig. Wir haben vom Arbeitsministerium berechnen lassen, dass man einen Stundenlohn von € 12,63 braucht, wenn man Vollzeit arbeitet, damit man aktuell Rente über Sozialhilfeniveau bekommt. Dazu kommt die ungerechte Einkommensverteilung in Deutschland. Das Privatvermögen in Deutschland liegt bei 6 Billionen Euro, ein Drittel davon gehören dem obersten Prozent. Eine Umverteilung muss her. Das ist auch ein wichtiger Schritt, um den Rechtsruck der Gesellschaft wieder zurückzudrängen.

Schauen Sie bezüglich des Rechtsrucks der Gesellschaft eher optimistisch oder pessimistisch auf die Landtagswahl?

Der Rechtsruck ist besorgniserregend. Die AFD muss in Bayern gar keinen Wahlkampf mehr machen, das macht die CSU für sie. Durch ihre Rhetorik gleicht sich die CSU immer mehr der AFD an, beispielsweise kommt der Begriff „Asyltourismus“ von Söder. Aber am Schluss wählen die Leute doch das Original und das ist die AFD. Wir sehen den Rechtsruck in Europa und Deutschland mit Sorge, aber Wir arbeiten daran, ihn zurückzudrängen. Wir wollen durch unsere Sozialpolitik den Menschen wieder an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben lassen und ihm Gehör geben. Das ist eine Herausforderung, die wir aber bewältigen können, wenn wir die Fehler der neoliberalen Politik zurückschrauben.

Glauben Sie, dass die Linke es dieses Jahr in den Landtag schafft? 2013 hatte sie ja nur 2,1 Prozent.

Wir sind zurzeit bei 4 Prozent, Tendenz steigend. Das ist gut, beim bayerischen Ergebnis der Bundestagswahl hatten wir 10 Wochen vor der Wahl 4 Prozent und nach der Wahl bayernweit 6,1 Prozent. Es wird kein Selbstläufer, es wird viel Arbeit, aber wir haben gute Punkte. Ich glaube schon, dass wir den Sprung in den Landtag schaffen.

Und wo sehen Sie die Linke realistisch gesehen bei den Landtagswahlen 2018?

Ich sehe uns zwischen 5 und 5,4 Prozent.

Was sind Ihrer Meinung nach typisch christliche Grundwerte? Setzen Sie diese im Parteiprogramm um?

Das Christentum ist unheimlich stark mit der Nächstenliebe verbunden. Wenn man sich heute mal eine Rede vom Papst anguckt, sind da viele soziale Aspekte drin. Und die haben wir auch in unserem Programm. Wir wollen weg von Rüstungsexporten und kriegerischen Auseinandersetzungen. Stattdessen wollen wir diplomatische Lösungen. Das ist zwar nicht einfach, aber langfristig werden dadurch Menschenleben verschont. Wir wollen den Menschen im Mittelmeer und den Menschen auf der Flucht helfen und wir wollen, dass die Menschen gar nicht erst fliehen müssen

Wie sehen Sie die Kreuzoffensive von Markus Söder?

Ich hab mal etwas gepostet und ich glaube, das trifft es ganz gut: „Söder fordert Kreuze an der Wand und wir fordern mehr Jesus im Herzen“. Es ist reine Symbolpolitik und völlig abstrus, was die CSU da macht. Es ist an den wirklichen Problemen der Menschen vollkommen vorbei, aber das macht die CSU die ganze Zeit. Auch mit der Flüchtlingsdebatte wird eine Regierungskrise inszeniert, obwohl in Passau am Tag nur fünf Menschen über die Grenze kommen. Aber Kinderarmut, Altersarmut und Pflegenotstand sind die wirklichen Themen. Die CSU sorgt mir der Flüchtlingsdebatte dafür, dass Rassismus normal wird und Menschenrettung im Mittelmeer kriminalisiert wird. Wenn sie das C in ihrem Namen ernst nehmen wollen, müssen sie sich um Menschen kümmern, die vor Krieg und Hunger fliehen und nicht ein Kreuz an die Wand nageln. Aber die CSU hätte wahrscheinlich auch Jesus abgeschoben.

Auf ihrem Parteitag wurde ja jüngst diskutiert, wie offen die deutschen Grenzen sein sollten. Für wie realistisch halten Sie komplett offene Grenzen?

Ich glaube, offene Grenzen für Menschen in Not sind gut. Wir müssen schauen, dass die Menschen in der Dritten Welt einfach nicht mehr zur Dritten Welt gehören. Wir haben sie mit unserer Außenhandels- und Agrarpolitik jahrelang ausgebeutet, da müssen wir langfristig ansetzen. Kein Mensch flieht freiwillig. Die Not ist groß, wenn man sein Leben riskiert, um über das Mittelmeer zu kommen.

Trotz der niedrigen Ankunftszahlen von Flüchtlingen derzeit sind die Flüchtlingsunterkünfte immer noch extrem überlastet und in furchtbarem Zustand. Wie kann die Unterbringung von Geflüchteten angemessener gestaltet werden?

Die Hälfte der Plätze, die 2015 geschaffen wurden, stehen leer. Es ist kein Interesse da, die Leute wirklich zu verteilen. Die Flüchtlingsunterkünfte in Bayern sollen als Abschreckung dienen, das muss man einfach so sagen. Wir brauchen einen guten sozialen Wohnungsbau und müssen mehr Wohnungen bauen. Viele Menschen in den Flüchtlingsheimen könnten schon ausziehen, sie finden aber keine Wohnungen. Mehr Wohnungen helfen nicht nur Geflüchteten, sondern allen Menschen. Ich bin Verfechter einer dezentralen Unterbringung, das ist super für die Integration. Es ist genug Geld da, um all die Fehler zu reparieren, man braucht nur einen Politikwechsel.

Ganz anderes Thema: Wie steht ihre Partei zu legalem Cannabis Konsum?

Ich habe vor kurzem beim Global Marihuana March gesprochen und vor 10 Jahren die Hanf -Tage in Passau organisiert. Ich glaube, damit kennen Sie meine Antwort (lacht). Wir sind natürlich für die Entkriminalisierung, sowohl von Cannabis, als auch von allen anderen Drogen. Bayern hat die meisten Drogentoten in Deutschland, setzt aber am stärksten auf Repression.

Aber glauben Sie nicht, dass dadurch der tatsächliche Konsum extrem ansteigen würde?

Schauen Sie nach Portugal, da macht man das seit zehn Jahren und die Zahlen sind rückläufig. Entkriminalisierung bedeutet ja nicht, dass jeder kaufen kann. Es gibt spezielle Geschäfte, in denen sich die Menschen ihren Stoff holen oder Hilfe bekommen können. Man entzieht dem Schwarzmarkt den Boden. Gleichzeitig geht mehr Prävention und Aufklärung einher, zum Beispiel durch einen Drogencheck in Diskos, wie es in Holland üblich ist. Chronische Drogensucht ist eine Krankheit und keine Sache für die Justiz.

Bayern gibt deutschlandweit am meisten Geld für Bildungseinrichtungen aus. Sehen Sie das Geld gut angelegt oder gibt es Verbesserungsbedarf?

Egal ob Bayern oder Deutschland, wir geben immer noch weniger Geld aus als der OECD -Durchschnitt. Bayern ist gleichzeitig das Land mit den meisten bezahlten Nachhilfestunden. Und nach einer OECD Studie ist Bayern auch das Land, bei dem der Bildungswerdegang am meisten vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Wir wollen ein anderes Bildungssystem, das längeres gemeinsames Lernen beinhaltet und nicht schon in der vierten Klasse so selektiv ist. Es kann nicht sein, dass die, die weniger Geld haben, auf der Strecke bleiben.  Außerdem brauchen wir mehr Lehrer für kleinere Klassen, damit auch die Integration besser läuft. Kinder, die die Sprache lernen und eventuell traumatisiert sind, brauchen bessere Betreuung. Kleine Klassen sind für alle von Vorteil.

Nicht nur die Universität Passau ist durch die hohe Anzahl an Erstsemestern komplett überlastet.

Ja, vor 6 Jahren wurde mir gesagt, dass ein Rekordwert erreicht worden ist und deshalb keine Studentenwohnheime mehr gebaut werden müssen. Aber es ist ja nicht so. Immer mehr Leute studieren und wollen auch ihren Master machen. Ich denke aber, dass die Zahlen auch so hoch sind, weil so viele ihren Studiengang wechseln oder abbrechen. Studierende sind nicht gut genug auf das Studieren vorbereitet, der Stress nimmt zu, die Unis sind zu klein, die Lehrbedingungen sind nicht gescheit. Man muss nebenbei arbeiten, wenn man sich das Zimmer oder die Wohnung nicht leisten kann. Gleichzeitig wird mit extrem schweren Klausuren stark selektiert. Das kann man ja auch machen, wenn man bessere Bildungsbedingungen schafft. Würden wir unsere Investitionen auf das Maß der OECD- Ausgaben erhöhen, wäre das Problem kleiner. Und selbst dann wären wir nur Durchschnitt. Wenn ich den Leistungsdruck habe und die Regelstudienzeit beachten muss, brauche ich mehr Hörsäle, kleinere Vorlesungen, gut bezahlte Dozenten und eine gute psychologische Betreuung. Wenn ein Studierender mit dem Leistungsdruck nicht fertig wird, muss er Anlaufstellen haben. Das gleiche gilt auch für Schulen.

Gibt es etwas, das Sie sich von potenziellen Wählern wünschen?

Ich glaube, man muss lernen, dass man wieder frecher wird und sein Recht einfordert. Man muss wieder rebellischer werden und man darf den Politikern nicht alles durchgehen lassen. Dazu gehört, für seine Rechte auf die Straße zu gehen.

Aber den großen Protest gegen das Polizeiaufgabengesetzt mit mehreren zehntausend Demonstranten bayernweit hat Innenminister Joachim Herrmann von der CSU als Minderheit abgetan, die Demonstranten seien nur aufgrund von „Lügenpropaganda“ auf die Straße gegangen. Da bekomme ich doch das Gefühl, Demonstrationen bringen sowieso nichts.

Wir haben gewusst, dass das PAG – trotz der großen Proteste – von der CSU durchgezogen wird. Aber man muss durchhalten und weitermachen und beispielsweise sagen „wir klagen jetzt“. Wenn der Herrmann sagt, es ist eine Minderheit, die demonstriere, muss man sich mit noch mehr Menschen zusammenschließen, beispielsweise auf sozialen Netzwerken und nächstes Mal sind es dann keine 40.000 mehr, sondern 80.000. Außerdem ist Hermanns Aussage falsch.

Die Kriminalitätsrate ist deutschlandweit auf einem Rekordtief und trotzdem hält es die Stadt Passau für notwendig, im Klostergarten das neue Sicherheitskonzept umzusetzen.

Also die Linke in Passau war komplett gegen die Kameraüberwachung. Andere Städte machen Kontaktläden auf, in denen Menschen mit Alkohol- und Drogenproblemen Anlauf finden. Da dürfen sie auch nicht konsumieren, aber sie kriegen Hilfe. Die Stadt Passau will einfach nur diese Leute abdrängen nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“. Im Klostergarten gab es grade mal 31 Ordnungswidrigkeiten, 15 Drogendelikte im Kleinmengenbereich, hauptsächlich Cannabis, keine schwere Körperverletzung. Im November hieß es noch, Passau sei so sicher wie nie. Daneben ist es noch überhaupt nicht klar, wo welche Kameras installiert werden und wann sie laufen. Es ist nicht klar, wer die Daten sieht und auswertet. Anstatt sozial zu arbeiten, will man den harten Mann spielen. Es gibt nur einen Sicherheitsdienst, der macht aber um 20 Uhr zu, weil das Verbrechen in Passau natürlich nach 20 Uhr schläft. Ich habe auch schon ganz klar gesagt, wenn ich das erste Mal gefilmt werde, lassen wir es rechtlich prüfen und verklagen wenn möglich die Stadt Passau. Wir werden das, falls  möglich wegklagen, sobald die Kameras stehen. Und, dass sich sogar die CSU den Linken angeschlossen hat, sagt ja auch schon ziemlich viel.

Sollten sich die anderen Bundesländer Bayern als Vorbild nehmen?

Nein. Wir haben extreme soziale Ungerechtigkeit, wir haben einen massiven Rechtsruck und eine massive Verrohung der Rhetorik, man schaue nur auf den Begriff „Asyltourismus“, der von Söder ins Leben gerufen wurde. Wir haben viele Probleme, auch auf dem Land. In Starnberg lebt ein Mensch im Durchschnitt zehn Jahre länger als in Hof und das hängt nicht vom Starnberger See ab, sondern von den Einkommensunterschieden. In der Region Donau-Wald ist im bayerischen Vergleich jeder Vierte von Armut bedroht. Wir haben ein massives Gefälle und die CSU macht Politik für ihr Klientel. Wenn man die bayerische Verfassung wieder ernst nähme, würde Bayern auch wieder schön werden. Bei der derzeitigen Politik möchte ich sicher nicht, dass man sich so ein Land zum Vorbild nimmt.

Sind Sie mit der GroKo zufrieden?

Nein. Was hat die GroKo denn an wichtige Themen momentan behandelt? Das ist doch ein jämmerliches Bild, die Union streitet sich wegen einer Scheindebatte und die SPD steht daneben und schaut zu. Was hat die GroKo denn bisher gemacht, außer sich selber mehr Geld zu geben? Sie haben viele Lippenbekenntnisse gemacht, aber sind denen nicht gefolgt. Da bin ich enttäuscht, sowohl als Mitglied der Oppositionspartei, als auch als Bürger und Wähler.