„Demokratischer Machtwechsel nicht mehr möglich“ – Orbáns Ungarn

Viktor Orbán. Eine Person, die für eine stark umstrittene und kritisierte Partei und Politik steht. Seine populistische Partei regiert seit 2010 Ungarn und veränderte das Regierungssystem systematisch so, dass die Partei möglichst viel Macht bekommt und diese auch behält. Um 8.30 Uhr hielt Beate Martin, die das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest leitet, im Rahmen der Vorlesung zur Internationalen Politik einen Gastvortrag zu Menschenrechten, Rechtsstaat und bürgerliche Freiheiten in Ungarn. Trotz früher Stunde war das Audimax relativ voll, was auch Martin positiv auffiel.

Zunächst erklärte Martin den Werdegang der Machtübernahme der Videsz-Partei. Sie waren zunächst von 1998 bis 2002 an der Macht und wurden danach abgewählt. Orbán arbeitete bis zu der Machtübernahme an einer Strategie, dass dies nicht noch einmal geschehen kann. Als er letztendlich Ministerpräsident von Ungarn wurde, änderte er die Verfassung, stellte seine eigenen Leute in die Schlüsselpositionen, zentralisierte die Medien und stellte diese unter die Macht seiner Partei, zunächst staatliche und dann auch private. Eines der unabhängigsten Medien in Ungarn ist der deutsche Sender RTL, was Orbán mit einer 40% Steuer verhindern wollte. Jedoch konnte Merkel dies verhindern, indem sie nach Ungarn reiste und somit deutsche Investoren beeinflussen konnte. Anschließend ging die Regierung gegen kritische NGOs vor und schränkte Wissenschaftsfreiheit ein. Als Beispiel nannte Martin die Central European University (CEU), die ihren Sitz nun sogar in ein anderes Land, nach Österreich, Wien, verlegte. Der Staat wurde, laut Martin, letzten Endes so umgebaut, dass ein demokratischer Machtwechsel nicht mehr möglich ist.

Ein neues Gesetz erlassen? In 48 Stunden fertig. 

Martin führte den Vortrag nun weiter, in dem sie auf die Geschichtsfälschung einging, die Orbán unternommen hat. Sie nannte es das „Trauma von Trianon“ von 1920. Dabei schlossen Ungarn und Österreich einen Vertrag zur Sezession des bis dahin bestehenden Königreiches Österreich-Ungarn. Dieses „Trauma“ wird nun immer wieder hochgekocht, die Fakten des Vertrages werden verdreht und somit nicht von der Nation verarbeitet. Andere geschichtliche Ereignisse werden dabei völlig ignoriert.

Aber warum kamen Orbán und die Fidesz-Partei letztendlich an die Macht? Der Grund war die Finanzkrise. Orbán wollte sehr schnell Geld mobilisieren und verstaatlichte somit die private Rentenkasse, um die Schulden abzubauen. Er zentralisierte ebenso das Schulsystem und erstellte eine zentrale Behörde für die Schuldirektoren. Er reformierte auch in kürzester Zeit das Wahlrecht, die Wahlbezirke und das Parlamentsverfahren. Inzwischen kann man in Ungarn in 48 Stunden ein neues Gesetz erlassen.

Was sagt die EU dazu?

Das alles klingt nach einem verfassungswidrigen Staatsstreich, was eigentlich in der EU nicht vorkommen kann. Das Problem daran ist, dass die EU, sobald ein Staat Mitglied geworden ist, wenig machen kann, um es wieder auszuschließen. Ungarn ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union, die Voraussetzung dafür sind die Kopenhagener Kriterien, unter anderem Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Eine Holländische Abgeordnete reichte eine Beschwerde bei der EU ein und versuchte sich auf den Artikel 7 zu beziehen. Das würde viele Schritte bedeuten, die zu einem Ausschluss führen würden. Allerdings ist das Scheitern am Europarat relativ wahrscheinlich, da dieser aus größtenteils konservativen Politikern besteht, die Orbán unterstützen.

Im März wurde jedoch die Mitgliedschaft der Videsz-Partei in der EVP Fraktion zunächst auf Eis gelegt. Die EVP hat einen Rat der Weisen gegründet, der der Videsz-Partei Kritikpunkte vorgelegt hat. Diese hat Orbán in einem langen Brief alle von sich gewiesen. Außerdem wird die Europäische Staatsanwaltschaft mit dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, kurz OLAF, 2020 gegen Korruption, Geldwäsche, Betrug gegen EU-Finanzmitteln und gegen grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug vorgehen. Ungarn ist das dritt-korrupteste Land der EU. Allerdings sind dem OLAF-System nur 20 Länder beigetreten, Ungarn gehört leider nicht dazu. Martin beschreibt die Situation der EU als einen Pfauentanz: Immer, wenn die EU interveniert, tritt die Regierung Ungarns einen Schritt zurück und schon stellt Orbán sich als Held dar, der die Interessen des Landes durchsetzen möchte, gegen die Bürokraten, die diese Interessen nicht verstehen. Dies ist einer der vielen Mittel, um den Westen und die EU schlecht dar stehen zu lassen als Institutionen, die Ungarn schon immer alleine gelassen hätten.

Zuletzt beschreibt Martin noch, wie Orbán es der Wissenschaft erschwert, in Ungarn zu arbeiten und den im Ausland lebenden Ungarn zu wählen. Außerdem wird dargelegt, wie er es geschafft hat, aus George Soros, ein wohlhabender amerikanischer Investor mit ungarischer Herkunft und jüdischen Wurzeln, ein Feindbild zu schüren. Soros spendete einen Teil seines Vermögens an Organisationen und Personen, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzten, ebenso ist er in politischer Beratung tätig. Soros Gesicht nutzte Orbán für Plakate für die Europawahl, um falsche Fakten zu verbreiten. Unter anderem suggeriert ein Plakat, dass Soros und Jean-Claude Juncker illegale Einwanderung nach Ungarn fördern wollen. Die Minderheiten werden in Ungarn systematisch unterdrückt und ein jüdischer Unternehmer als Feind dargestellt. Martins Fazit war:

„Es geht darum ein Klima der Angst zu schaffen und solange wie möglich an der Macht zu bleiben“.

 

Zum Abschluss wurden noch einige Fragen gestellt. Ein Student wollte wissen, ob die ungarischen Bürger EU-freundlich sind, was Martin bestätigte. Es sei selbstverständlich, Teil der EU zu sein. Eine weitere Frage war, ob sie selber spüre, das NGOs unter Druck gesetzt werden. Sie bejahte das, sagte aber, dass sie relativ sicher sei. Andere Organisationen, mit denen sie zusammenarbeite, spürten den Druck deutlicher als sie. Sie werden öffentlich stigmatisiert. Um das auszuhalten, brauche man viel Mut. Sie betonte auch, das Budapest anders ist als der Rest des Landes, dort sollte es möglich sein, dass auf kommunaler Ebene die Opposition an der Macht ist. „Der Großteil der Fidesz-Partei scheint einfach noch nicht unzufrieden genug.“ Obwohl es dem Mittelstand eigentlich gut geht. Ob es wohl anders gelaufen wäre, wenn man Orbán in der EU mehr geächtet hätte? Martin bleibt sachlich: „Die Machtübernahme der Videsz-Partei und die anschließenden Veränderungen gingen so wahnsinnig schnell“, man könne daher nicht genau sagen, ob das wirklich geholfen hätte.